Andrew Lloyd Webber, wo bleiben nur die Ohrwürmer?

Die Fortsetzung von Andrew Lloyd Webbers „Phantom der Oper“ ist nun in Hamburg angekommen. Doch dem Briten ist musikalisch offenbar nichts wirklich Neues eingefallen.
von  az

Die Fortsetzung von Andrew Lloyd Webbers „Phantom der Oper“ ist nun in Hamburg angekommen. Doch dem Briten ist musikalisch offenbar nichts wirklich Neues eingefallen.

Hamburg - Fünfundzwanzig Jahre können eine lange Zeit sein. Ein Vierteljahrhundert, in dem viel passieren kann. Nicht so offenbar bei Andrew Lloyd Webber: 25 Jahre nach der deutschen Erstaufführung des weltweit erfolgreichsten Musicals aller Zeiten erlebt nun die Fortsetzung des „Phantom der Oper“ ihre Deutschland-Premiere in Hamburg. Doch dem Briten ist in den über zwei Jahrzehnten zwischen dem ersten Spuk seines Maskenmanns und dem neuen Auftritt in „Liebe stirbt nie“ musikalisch offenbar nichts wirklich Neues eingefallen. Statt in den dunklen Operngängen bewegt sich das Phantom nun im New Yorker Vergnügungspark Coney Island als Impresario eines Vaudeville-Theaters. Doch die Vergangenheit lässt den physisch und psychisch Vernarbten nicht los, und so lockt er seinen einstigen One-Night-Stand, die Opernsängerin Christine nach Übersee. Im bühnennebel-durchwaberten Finale stirbt die begehrte Frau, durch einen versehentlichen Pistolenschuss ihrer Rivalin Meg.

Klingt an den Haaren herbeigezogen? Ist diese Story auch. Vor allem aber fehlt die Spannung, und so schleppt sich diese Kitsch-triefende Fortsetzung bisweilen im Zeitlupen-Tempo dahin – nicht zuletzt, da auch Lloyd Webber musikalisch kaum wirklich Neues, geschweige denn Originelles mehr eingefallen ist. Anleihen bei großen Komponisten vergangener Jahrhunderte wie auch Zeitgenossen hat der Brite für seine Mega-Musicals immer genommen, inzwischen klaubt er offenbar ohne größere Qualitätskontrollen Phrasen und Motive zusammen und zitiert sich selbst. Und das Ergebnis ist an diesem Abend vor allem eines: Schlicht, ja bisweilen geradezu dürftig und ermüdend in seinen kaum variierten Wiederholungen.

Natürlich beherrscht Sir Andrew noch immer das Handwerkszeug für melodramatische Gefühlsausbrüche und weiß, wie sich aufs Gemüt des Besuchers einwirken lässt. Doch über die Jahrzehnte hat sich Mr. Großmusical von ganzen Melodien verabschiedet, von Ohrwürmern gar, wie sie einst in „Evita“ oder „Cats“ erklangen, und begnügt sich nun mit Kopfmotiven und deren unaufhörlichen Wiederholungen. Was noch nicht einmal mehr für einen Verdi oder Puccini im Westentaschenformat reicht – und selbst die kurzen, rockigen Ausflüge vermögen nur kurz aus dem Dämmerzustand aufzuschrecken.

Dass die Stage Entertainment als größter Veranstalter in diesem Millionenmarkt dennoch an dem 68-Jährigen festhält und ihm im Operettenhaus nun eine neue Bühne bereitet, dürfte andere Gründe haben: Seine Name zieht noch immer, sein „Phantom der Oper“ hat zig Millionen Fans in aller Welt, und in puncto Arrangements macht Lloyd Webber nach wie vor keiner etwas vor. Vor allem aber wissen die Mega-Musical-Macher, wie sich selbst die dürftigste Geschichte eindrucksvoll aufbereiten lässt. Das beweist auch die Crew um Regisseur Simon Phillips in der Hansestadt: Über 300 phantasievolle Kostüme hat Gabriela Tylesova für die kunterbunte Freak Show auf Coney Island entworfen, verblüffend die Verwandlungen, beeindruckend die Lichteffekte – das Kuriositätenkabinett samt Karussell, kleinwüchsigen Menschen und aufgeplusterten Tänzerinnen rotiert, dass dem Publikum zwischen Zirkuszelt und Dampfer-Anlegemanöver zumindest das Sehen vergeht.

Umso misslicher, dass da die Musik nicht mithalten kann – und eben deshalb einen dauerhaften Erfolg des Stücks fraglich erscheinen lässt. In London war die Show nach ihrer Uraufführung 2010 keine anderthalb Jahre zu sehen, am Broadway fand die geplante Inszenierung gar nicht erst statt. „Mit Produktionen, die man aus England einkauft, ist kein wirklicher musikalischer Fortschritt zu erzielen“, sagt auch Adam Benzwi. Letzteren hat der musikalische Leiter des Musical-Studiengangs an der Berliner Universität der Künste zuletzt eher in den deutschen Produktionen beobachtet wie dem Udo Jürgens-Musical „Ich war noch niemals in New York“ oder auch Bully Herbigs Western-Parodie „Der Schuh des Manitu“. „Das sind Musicals mit deutschem Humor, mit deutschen Themen und Titeln, die die Menschen hier berühren.“

Und nicht zuletzt mit Ohrwürmern wie beim Abba-Musical „Mamma Mia!“, von denen bei allem hochtoupierten Klangschmelz und -schmalz oder Bühnenzauber der Erfolg eines solchen Großmusicals eben auch abhängt. Doch unsterbliche Melodien wie die Katzen-Arie „Memory“ oder „Don’t cry for me Argentina“ aus dem Klassiker „Evita“ sind Lloyd Webber schon länger nicht mehr in den Sinn gekommen – und so bleibt der Besucher in der Hansestadt nicht nur von Melodien verschont, die noch über Jahre durch seine Gehörgänge kreisen, sondern auch sonst seltsam unberührt.

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