Andreas Wiedermann inszeniert Verdis "Stiffelio" in Erwin Pelzigs Bühnenbild

Die freie Truppe „Opera incognita“ spielt Verdis „Stiffelio“ als Talkshow in der Dekoration von „Pelzig hält sich“
von  Robert Braunmüller

Sein Markenzeichen sind Opern-Raritäten, aufgeführt an ungewöhnlichen Orten. Voriges Jahr inszenierte Andreas Wiedermann mit seiner Truppe „Opera incognita“ Glucks „Orphée et Eurydice“ im Kunstforum an der Maximilianstraße. Heuer gibt es „Stiffelio“: einen unbekannten Verdi. Gespielt wird in der Dekoration des Satire-Talks „Pelzig hält sich“ in den Arri-Studios an der Türkenstraße.

AZ: Herr Wiedermann, ist Ihr „Stiffelio“ die Münchner Erstaufführung?

ANDREAS WIEDERMANN: Meines Wissens ja. „Stiffelio“ kam 1850 in Triest heraus. Es ist Verdis letzte Oper vor der Trias „Rigoletto“, „La traviata“ und „Il trovatore“. Deren Erfolg hat alles, was er davor komponiert hat, weitgehend aus dem Gedächtnis gelöscht.

Mittlerweile gehören Frühwerke wie „Macbeth“ oder „Luisa Miller“ aber zum Repertoire. Warum wurde „Stiffelio“ von der Verdi-Renaissance vergessen?

Vielleicht, weil nur abgründige Figuren auftreten. Verdi war mit der Oper nicht glücklich. Er hat sie 1857 zu „Aroldo“ umgearbeitet. Aber auch diese Version hatte keinen Erfolg. Die Urfassung war lange verschollen. Sie ist erst in den 1960er Jahren wieder aufgetaucht. Zuletzt gab es Aufführungen in Krefeld und Mannheim. Ich glaube, auch die New Yorker Met hat „Stiffelio“ im Repertoire. Frankfurt bringt die Oper in der nächsten Saison heraus.

Wer ist dieser Stiffelio?

Der Führer einer Sekte. Seine Frau ist untreu. Die Handlung konzentriert sich auf die Aufdeckung dieses Ehebruchs. Stiffelio verzeiht ihr, indem er einen Satz aus der Bergpredigt zitiert: „Wer nicht schuldig ist, werfe den ersten Stein“.

Trotzdem: Es muss einen Grund geben, wieso diese Oper so selten gespielt wird.

Vielleicht, weil es keine Figur gibt, mit der man sich identifizieren möchte. In fast allen Verdi-Opern ist die Sopranistin ein reines Opfer. Hier bleiben Linas Entschuldigungen, die sie für den Ehebruch vorbringt, sehr vage. Die anderen Figuren wollen sich rächen oder haben ständig cholerische Anfälle wie Stiffelio.

Was ist das für eine Sekte in Verdis Oper?

Die Ahasverianer. Die hat Verdis Textdichter Francesco Maria Piave frei erfunden. Es sind christliche Hardliner – mit einem Werteystem, das sich am Alten Testament orientiert.

In der Vorlage, einem französischen Drama, ist Stiffelo noch ein verheirateter evangelischer Pfarrer.

Eine solche Figur erlaubte die Zensur in Italien nicht. Verdi musste das ändern. In der Zweitfassung „Aroldo“ wurde die Figur zu einem Kreuzritter.

Was reizt Sie an dieser Oper?

Ich wollte schon lange einen Verdi machen. „Stiffelio“ ist musikalisch „Simon Boccanegra“ ebenbürtig. Die Szenen folgen Schlag auf Schlag. Es ist eine Oper mit großer Energie und Dynamik.

Wie bringt man das auf die Bühne?

Opern, bei denen man nur noch eine Prise Zimt nachwürzen muss, interessieren mich nicht. „Stiffelio“ braucht eine starke szenische Aufbereitung, weil die Handlung eher konfus und voller Seltsamkeiten ist.

Wie bereiten Sie diese Geschichte auf?

Religion ist für den mitteleuropäisch geprägten Kulturschaffenden und Opernbesucher eine eher fremde Welt. Da kamen wir auf die sehr eigene Welt der amerikanischen Fernsehprediger. Außerdem hatte ich die Salafisten im Kopf, die in der Hoch-Zeit von Pegida bei Markus Lanz und in anderen Talkshows saßen. Deshalb habe ich ein TV-Studio gesucht und hier in der Türkenstraße gefunden. Mit ihren Säulchen sieht die Dekoration von „Pelzig hält sich“ außerdem aus wie eine Verdi-Inszenierung in der italienischen Provinz.

Was hält Erwin Pelzig von der Zweit-Nutzung des Studios?

Pelzig wurde nicht gefragt. Wenn ich richtig verstanden habe, hat eine Produktionsfirma das Studio gemietet, die es wiederum ans ZDF weitervermietet hat. Im Moment ist es gerade frei.

Wie heißt Ihre Talkshow?

Es ist natürlich eine italienische Show: „Europa oggi“. Unsere aktuelle Folge nennt sich „Glaube und Zweifel: Die Rückkehr des christlichen Fundamentalismus“.

Wie finanzieren Sie sich als freie Opern-Truppe?

Wir bekommen eine Förderung durch die Münchner Stadtsparkasse. Die restlichen 80 Prozent müssen wir durch die Eintrittskarten einspielen. Unternehmen als Sponsoren bekommt man leider überhaupt nicht ins Boot. Für freie Opernproduktionen ist es überhaupt sehr schwer, eine Förderung zu bekommen. Tanz und Performance haben es da leichter.

Wieviele Mitwirkende gibt es bei Ihnen?

Etwa 50 auf und hinter der Bühne. Wie bei einer kleinen Stadttheater-Produktion, nur eben frei finanziert.

Wie wurde die Aufführung musikalisch bearbeitet?

Ich habe mit unserem musikalischen Leiter Ernst Bartmann ein paar Wiederholungen gekürzt. Mehr wäre bei einer unbekannten Oper auch nicht sinnvoll. Das Orchester besteht aus zehn Musikern, der Chor hat 20 Mitglieder. Das reicht für einen transparenten, präzisen Werkstatt-Verdi.

Was machen Sie, wenn Sie nicht Verdi inszenieren?

Ich habe neben „Opera incognita“ noch zwei weitere Truppen: das „Theater Impuls“ und seit einem Jahr die Auskopplung „Theater Plan B“ mit eher kleinem Ensemble. Es spielt von 26. bis 29. August noch das Stück „Juri“ im Teamtheater. Außerdem mache ich viel Freilichtspiel. Ich war heuer an „Agnes Bernauer“ in Straubing beteiligt und habe 2014 die „Nibelungen“ in Plattling inszeniert. Freies Arbeiten hat seine Vorteile: Man kann über alles bestimmen. Aber viele Opern, die ich gern inszenieren würde, sind nur an einem normalen Stadttheater möglich.

Premiere am Samstag, 22. 8,, 19.30 Uhr, Arri-Studios, Türkenstraße 91. Auch am 25., 26., 28. und 29. 8. Karten unter Telefon 5481 8181

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.