Alvin Ailey American Dance Theater macht Halt in München

Eine ewige Tanzoffenbarung: Das Alvin Ailey American Dance Theater im Deutschen Theater.
Woher nur nehmen Alvin-Ailey-Tänzer diese unverschämt ansteckende Bewegungslust, die sich dynamitartig auf der Bühne ausbreitet? Da ist der charmante Gummi-Torpedo Yannick Lebrun aus Cayenne in Französisch-Guyana. Sheila Chandras im Rhythmus des indischen Kathak-Tanzes aus dem Off abgehackt surrende Stimme verführt Lebruns Oberkörper immer wieder zu Kontraktionskaskaden. Seine von roten Missoni-Hosen umhüllten Beine katapultieren ihn – urplötzlich scherenförmig gespreizt hoch in die Luft. Und in „Takademe“ aus dem Jahr 1999, dem fünfminütigen Solo konzipiert von Kompaniechef Robert Battle, ist die vorwärtstreibende Klang-Energie Inspiration für dynamische Fußarbeit und flattrige Koordinationswunder.
Am Gastspieleröffnungsabend verwandelte Lebrun diese technisch superschwere Choreografie gewitzt in einen Klacks überwältigender Leichtigkeit – auch weil er sich augenzwinkernd mit dem Publikum verschwor. Highlights wie dieses Juwel, das noch bis Ende der Woche in sechs verschiedenen Besetzungen zu erleben ist, kann man mit größtem Vergnügen ebenso unendlich oft sehen wie den 1960 kreierten Geniestreich „Revelations“ („Offenbarungen“). Die drei farb- und stimmungsunterschiedliche Teile umfassende Suite zu traditionellen Spirituals und Gospels machte Alvin Ailey und seine New Yorker Kompanie damals auf einen Schlag berühmt.
Sie entspinnt sich aus einer rotbrauen Tänzergruppe, die mit ausgebreiteten Armen an einen Vogelzug erinnert, dessen Individuen eng beieinander Zusammenhalt und Schutz suchen. Nach mehrmaligem Ausschwärmen kehren die Akteure in ihre Anfangsformation zurück. Auf ein temperamentvolles Trio folgt zu „Fix me, Jesus“ ein in seiner bedächtigen Ästhetik anrührendes Duett, bevor sich dann in der weißgekleideten Tauf- und schließlich schwarz-gelben Betgemeinschaft die bodenständige, afroamerikanische Seele in einem Überschwang von Tratschlaune und fröhlicher Gefühligkeit Bahn bricht: auf absolut durchtrainiert-kunstfertige, nonchalant leichtfüßige Art und Weise. Die letzte Zugabe riss die Zuschauer von den Stühlen. Mit weitem Südstaatenrock und Sonnenschirm gab‘s die markanteste Lady am Verkaufstand auch als Pin für Zuhause zu erwerben.
Begeistert gejohlt wurde aber schon nach dem ersten Stück: „Four Corners“ (2013) von Ronald K. Brown zelebriert den Tanz in afrikanischem Look – barfuß und in der ensembletypischen, oft an der Hüfte nach vorn oder hinten gekippten Haltung. Obwohl sich das Schulterkurbeln, kleine Dreh- und Rutschsprünge oder flinke Nachstellschritte in Variationen ständig wiederholen, entwickelt sich unter den elf Mitwirkenden 25 Minuten lang eine erstaunlich aufregende und zugleich beruhigende Sogkraft.
Der Dramaturgie des Abends tat es richtig gut, dass der Hip-Hop-Choreograf Rennie Harris in seinem – zwischen bester Street-Dance-Manier und Modern Dance dahinströmendem – „Exodus“ knallharte Irritationsmomente setzte: einige davon herbeigeführt durch akustische Schüsse. Der Tod ist in seinem Stück allgegenwärtig. Auch wenn am Ende seiner Reise, die für fast alle Tänzer zerlegt am Boden beginnt, spirituelle Erleuchtung steht. Eine Hymne auf das Leben, die man nicht so schnell vergisst.
Noch bis 27.8. (verschiedene Besetzungen), Deutsches Theater, Karten: Tel. 55 234 444