Als Juror beim Finale des Mut-Wettbewerbs

Lorin Maazels Sohn holt für sein Musical „Believe Me“ den Hauptpreis bei Mut-Wettbewerb des Gärtnerplatztheaters
von  Robert Braunmüller
In der Mitte: Ilann M. Maazel, umringt von den anderen Autoren.
In der Mitte: Ilann M. Maazel, umringt von den anderen Autoren. © Christian P. Zach

Lorin Maazels Sohn bekommt für sein Musical „Believe Me“ den Hauptpreis der Jury beim Mut-Wettbewerb des Gärtnerplatztheaters

Was ist ein Musical? Für mich ein Theaterstück mit Popmusik. Es sollte eine Handlung haben. Lieber ist mir persönlich allerdings eine offene Form mit weniger Psychologie – wie bei „Hair“ oder „Jesus Christ Superstar“. Und das Entscheidende: Musik und Geschichte müssen mit dem Lebensgefühl des Publikums zu tun haben.

Das ist leicht gesagt, aber schwer getan. Das Gärtnerplatztheater veranstaltet jährlich den Mut-Wettbewerb für musikalisches Unterhaltungstheater. Voriges Jahr wurden Darsteller ausgezeichnet. Heuer konnten Komponisten, Liedtexter und Buchautoren ihre Stückideen einreichen. Eine Fachjury aus Intendanten und Dramaturgen wählte sechs Konzepte aus. Der Studiengang Musical der Bayerischen Theaterakademie führte sie im Finale vor – jeweils die ersten zehn Minuten und eine weitere Szene aus jedem Musical, einstudiert von Nicole Claudia Weber und am Klavier begleitet vom famosen Tom Bitterlich.

Ein talentierter Sohn

Ich durfte in der Medienjury abstimmen. Den Anfang machte „The Virtual Mirror“ von Stefan Wurz, Wolfgang Walk und Marc L. Barrett. Es dreht sich, mit etwas viel Mord und Totschlag, um Auseinandersetzungen zwischen Machern und Figuren eines Videospiels. Den Stoff fand ich gut, die Durchführung hopplahopp wie ein Comic. Von der Musik ist mir nicht viel hängen geblieben.

„Wolfsjagd“ von Jasper Sonne spielt in einer deutschen Kleinstadt im Herbst 1945. Untergrund-Nazis wollen einen von den Alliierten eingesetzten Bürgermeister umbringen. Ein Musical-Stoff? Warum nicht? Aber die Figuren wirkten konstruiert wie in einer öffentlich rechtlichen Doku-Fiction: geflüchtete Adelige aus den Ostgebieten, eine Kommunistin, ein jüdischer Arzt, eine Sozialdemokratin. Die Musik: flott im Zeitgeschmack der Fünfziger. Aber was hat das mit unserem Lebensgefühl zu tun? Gibt es keine neuen Nazis, an denen man sich abarbeiten könnte?

Das dritte Stück stammte von Ilann M. Maazel, einem Sohn des Dirigenten Lorin Maazel: ein hauptberuflicher Bürgerrechtsanwalt, der ein Musical über einen Bürgerrechtsanwalt geschrieben hat. Der kämpft in den faschistisch gewordenen „Unified States“ gegen die Internal Security Agency. Recht ehrenwert und musikalisch recht ambitioniert mit ein paar rhythmischen Widerhaken. Ein talentierter Sohn.

Dann der Publikumsliebling: „Der (ein)gebildete Kranke – Reloaded“ von Sebastian Brandmeir und Florian Stanek frei nach Moliére. Klamauk über Ärzte, als seien Georg Thomalla und Peter Alexander wieder auferstanden. Mir war’s zu flach, aber der Riesenbeifall kündigte bereits an: Dieses Musical bekommt den Publikumspreis. Und es wird bald sein Publikum auch außerhalb dieses Wettbewerbs finden: Im August läuft es in der Sommerkomödie Bad Freienwalde nahe Berlin.

Eine Momentaufnahme

Zuletzt gab es noch zwei sehr uramerikanische Stoffe: In „Love on Ice“ von Jeffrey Lodin, Bill Nabel und William Squier. Da lässt sich ein Mann in der Lebensmittenkrise einfrieren, um nach stattgehabtem medizinischen Fortschritt den erotischen Ansprüchen seiner Braut besser gewachsen zu sein. „Change of Hearts“ von Alan Becker wirkte trotz eingängiger Musik ähnlich altbacken: Es drehte sich um das Coming out eines Bibliothekars in einer US-Kleinstadt.

Die Fachjury kürte Maazel jr. zum mit 5000 Euro dotierten Sieger: Das handwerklich solide Stück spiegelt einfach zu gut das europäische Unbehagen am gegenwärtigen Amerika. Die Medienvertreter waren sich uneins – „Der (ein)gebildete Kranke reloaded“ vergab den Medienpreis (1000 Euro) an „Der eingebildete Kranke reloaded“. Ich plädierte wegen des ungwöhnlichen Stoffs für „The Virtual Mirror“, wobei mich nur eine Kollegin unterstützte.

Ein Wettbewerb ist immer nur eine Momentaufnahme, gewiss. Alle vorgestellten Musicals klangen, als sei die Popgeschichte schon vor 30 Jahren zu Ende gegangen. Ich würde mir mehr Risiko wünschen und weniger Konfektion. Mehr Gegenwart in den Geschichten und in der Musik.

Wahrscheinlich hilft nur eins: Die öffentlich subventionierten Theater müssen mehr Aufträge für Uraufführungen vergeben. Das ist natürlich riskanter als das Nachspielen bewährter Klassiker. Und vielleicht brauchen wir nicht nur eine Biennale für Neues Musiktheater, sondern auch eine für Neues Musical. Nicht zur kulturellen Verstaatlichung eines Genres, das sich am Markt behaupten muss. Sondern als Anstoß.
Denn die wunderbar vielseitigen Musicalstudenten der Theaterakademie brauchen frische Stücke, in denen sie sprechend, singend und tanzend auftreten können.
 

 

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