Kritik

"Aida" bei den Salzburger Festspielen: Ausweglos und Hoffnung spendend

Salzburger Festspiele: Shirin Neshat hat ihre "Aida" überarbeitet. Aber es ist der Abend des Tenors Piotr Beczala.
Walter Weidringer |
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Piotr Beczala vor einer Videoprojektion in Shirin Neshats Inszenierung von Verdis "Aida" in Salzburg.
Piotr Beczala vor einer Videoprojektion in Shirin Neshats Inszenierung von Verdis "Aida" in Salzburg. © Monika Rittershaus

Verdis "Aida", verquickt mit unausgesprochenen Spannungen in muslimisch geprägter Gesellschaft: Shirin Neshat hat ihre Inszenierung von 2017 nun stärker mit ihrer Filmarbeit verbunden und kassiert trotzdem oder gerade deshalb einige erboste Buhs. Jubel gibt's für den musikalischen Anteil, den Piotr Beczala prägt: ein lyrisch fundierter Radamès mit heldentenoralen Reserven.

Was kann man vorab für das Gelingen einer Opernaufführung tun? Räuchern! Frauen in schwarzem Hidjab ziehen vor dem geschlossenen Vorhang des Großen Festspielhauses quer über die Bühne. Sie tragen die Schüssel vor sich her, aus der sich der reinigende, schützende Rauch erhebt. Wispern und Murmeln dringt aus den Lautsprechern: Gebete?

Shirin Neshats Filmbotschaften schwappen über auf die Bühne

Immer wieder wird es die Umbaupausen untermalen, während projizierte Gesichter im Dunkel erscheinen: Frauen, Männer, vom Leben gegerbt und gekerbt – und einmal auch Fußsohlen, geschunden, vielleicht gemartert, mit dem Etikett des Leichenschauhauses am großen Zeh.

Was Frauen in der muslimischen Gesellschaft machen (dürfen), was Männer machen, wie sie dabei gekleidet sind: Regisseurin Shirin Neshat zeigt es gewöhnlich kommentarlos in ihren Filmen, und es schwappt über, findet sein Echo auf der Bühne.

Elena Stikhina trägt als Aida nur ein schwarzes Kleid

Diese "Aida" war 2017 ein Comeback für Riccardo Muti. Der Dirigent war nach längerer Pause noch einmal für eine szenische Produktion zurückgekehrt. Seither begnügt er sich hier mit Konzerten. Aber eigentlich galt die Unternehmung als Cashcow und Starvehikel für Anna Netrebko, die auf dunkelbraun geschminkt und im Swarovski-Glitzeroutfit ihr Rollendebüt als äthiopische Sklavin gab.

Seither ist viel Wasser die Salzach hinuntergeflossen, die Sopranistin ist hier durch ihre Putin-Nähe (vorerst?) ebenso passé wie Blackfacing: Elena Stikhina trägt als Aida nun bloß ein schlichtes schwarzes Kleid und geht barfuß.

Markus Hinterhäuser wollte es der aus dem Iran stammenden und in New York lebenden Videokünstlerin, Filmemacherin und Fotografin Shirin Neshat ermöglichen, ihre erste Operninszenierung nachzuschärfen und stärker mit ihrer übrigen Arbeit in Verbindung bringen. Das ist gelungen, lässt den Abend aber immer noch nicht richtig abheben – zumal Alain Altinoglu am Pult die Partitur zunächst allzu schönheitstrunken und detailverliebt ausbreiten will und dabei nicht genügend auf dramatischen Zug achtet, während die Wiener Philharmonikern einen Hauch mehr routiniert als inspiriert klingen und der Staatsopernchor merkwürdigerweise wackelt. Zusammen mit Neshats wisperndem Trauerflor, der über allem liegt, lässt das ohnehin retardierende Genreszenen langatmig wirken. Erst nach der Pause nimmt das Ganze etwas Fahrt auf.

Verdis "Aida" im Großen Festspielhaus
Verdis "Aida" im Großen Festspielhaus © Monika Rittershaus

Die Bühne: Bunkerartige, variierte Einheitsarchitektur

Christian Schmidts Bühne beherrscht ein Mittelding aus weiß getünchter Kaaba und jener Styroporbox, in der man das Eis aus dem Lieblingssalon nach Hause trägt. Auf der Drehbühne schafft diese bunkerartige, variierte Einheitsarchitektur Zusammenhalt und bietet im wörtlichen Sinn Projektionsflächen für Neshats Filme.

Gegen Rampensingen und Händeringen tut sie wenig, scheint sie als Stilisierung, ein wichtiges Element ihrer Arbeit, sogar einzufordern – und überblendet die Handlung in Kostüm und Bild mit einem Kommentar zur Gegenwart: Das bedeutet einige erboste Buhrufe im allgemeinen Jubel.

Sängerisch gehört der Abend Piotr Beczala und seinem Rollendebüt als Radamès. Anfangsnervosität und kleinere Unebenheiten beiseite gerückt: Er wagt es, den traditionellen Tenormachismo hinter sich zu lassen und das abschließende hohe B der Arie "Celesta Aida" als ätherischen Kopfton zu absolvieren, im Pianissimo, so wie Verdi es sich gewünscht hat – und der Effekt, der ja nicht gleichbedeutend ist mit Lautstärke, gibt ihm Recht.

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Beczala gelingt ein eindringliches Vokalporträt

Mit Stamina und subtil schattiertem Vokalglanz gelingt Beczala in Summe ein eindringliches Vokalporträt: die nächste dramatischere Partie des italienischen Fachs im Portfolio des Tenors. Elena Stikhina lässt daneben einen gedeckten, perlmuttfarbenen Sopran hören, der auch dann und wann an seine Grenzen stößt. Dennoch weiß Stikhina ein gewisses Leidenstimbre zu kultivieren, das zur Aida gut passt.

Shirin Neshat und Piotr Beczala in Salzburg,
Shirin Neshat und Piotr Beczala in Salzburg, © Salzburger Festspiele

Bei Ève-Maud Hubeaux, während der Proben für Anita Rachvelishvili eingesprungen, hört man, dass die Amneris auch ohne metallisch-explosive italienische Mezzosoprankraft respektabel gesungen werden kann – und vermisst dennoch die entsprechenden Eruptionen. Und Luca Salsi fleht als Amonasro nicht immer ganz auf Linie, aber mit nachdrücklichen Baritonkantilenen für seine Landsleute.

An die Gnade der Ägypter kann die Regisseurin freilich nicht glauben: Die Kriegsgefangenen werden noch im allgemeinen Triumph getötet – und Amonasro dazu. Im Nilakt ist das Liebespaar also bloß mit den internalisierten Regeln ihrer Gesellschaft konfrontiert, ausgedrückt durch Amonasros Stimme aus dem Reich der Toten: ein besonders trister Moment. Ausweglos und dennoch Hoffnung spendend der Film zum Schluss mit dem eingemauerten Paar: Da stechen flüchtende Frauen in einer Nussschale in See…


Wieder am 19., 23., 27. und 30. August im Großen Festspielhaus, Restkarten. Piotr Beczala gibt am 21. November einen Arienabend in der Isarphilharmonie. Infos und Karten unter muenchenmusik.de

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