"Agnes Bernauer" im Cuvilliéstheater: Krachert folkloristisch

Zwei interessante Informationen vor Vorstellungsbeginn: Die Feuerwehrleute, die sich um die Brandsicherheit des Cuvilliéstheaters kümmern, reisen aus Pasing an und von dort dauert die Fahrt zur Residenz, wenn es nicht brennt und kein Blaulicht eingesetzt werden darf, 23 Minuten. Entsprechend später begann die Premiere von "Agnes Bernauer", denn die Bayerische Schlösserverwaltung, die der Hausherr ist, hatte vergessen, die Feuerwehr zu engagieren. Aber Intendant Andreas Beck zeigte Verständnis, denn nach der langen Pandemie-Pause "müssen wir manches wieder lernen".
Die erste Produktion im Barocktheater seit vielen Monaten ist einer spätmittelalterlichen Heldin der bayerischen Geschichte gewidmet. Die Augsbuger Baderstochter Agnes Bernauer beginnt eine unstandesgemäße Liaison mit Herzog Albrecht III. Nach sieben Jahren sieht Herzog Ernst, Albrechts Vater, die Erbfolge der Wittelsbacher in Gefahr und verurteilt die Bernauerin unter anderem wegen Hexerei zum Tod. Im Herbst 1435 wird sie in der Donau bei Straubing ertränkt.
Agnes Bernauer in der Gegenwart
Franz Xaver Kroetz, der in den 70ern Mitglied der DKP war, witterte das klassenkämpferische Potential des Stoffs und verlegte die Handlung in seine Gegenwart. Agnes ist nun die Tochter eines pleite gegangenen Friseurmeisters. Sie hat keinen Beruf gelernt und will auch nicht arbeiten, sondern einen reichen Mann heiraten. Sie verliebt sich in Albrecht, den Erben des Unternehmers Ernst Werdenfels, der seinen Wohlstand mit Rosenkränzen gemacht hat und für die Produktion ein ganzes Dorf brutal ausbeutet.
Das "bürgerliche Schauspiel" in sperrigem Kunstbayerisch wurde 1977 in Leipzig uraufgeführt und nur ein einziges Mal nachgespielt: im gleichen Jahr in Wuppertal. Wenn der Text in den bundesdeutschen Dramaturgien geschmäht wurde, dann hatte das nicht den Grund, dass die DDR die Bernauerin zu antikapitalistischer Propaganda missbraucht hätte. Das Stück ist tatsächlich schlichte Propaganda mit einem Schuss Brecht-Lehrhaftigkeit hier und ein bisschen Horváth-Naturalismus da.
Der Gang in die ungewisse Zukunft
Regisseurin Nora Schlocker hat immerhin das Schlimmste verhindern können, indem sie den Schluss strich. Bei Kroetz gebiert Agnes in jesusmäßig ärmlicher Hütte ihr Kind, und der mitgeflohenen Albrecht freut sich darauf, endlich Musik studieren zu dürfen. Bei Schlocker geht das junge Paar nach dem finalen Streit im niederbayerischen Einfamilienschloss im offenen Schluss in eine ungewisse Zukunft, und auf der Bühne wird es gnädig dunkel. Bis dahin macht die Inszenierung sogar immer wieder Spaß, denn sie versucht gar nicht erst, die Geschichte ins Heute zu holen. Die Kostüme von Jana Findeklee und Joki Tewes bilden unerschrocken den Schick jener Jahre ab. Marie Roth stellte ein bewegliches und nussbaumgetäfeltes Bauwerk auf die Bühne, das mit den Worten des "Ave Maria" auf dem Fries etwas Sakrales hat. Aber es ist nicht nur die Kirche, sondern auch der Saal für den Faschingsball, der Rummelplatz, die Gemächer der Werdenfelser oder die Behausung der Arbeiter.
Es tobt ein über weite Strecken krachert folkloristisches Theaterspektakel. Und doch kann man den Figuren - vor allem den dreien, die im Zentrum stehen - gerne und interessiert zusehen. Antonia Münchow gibt ihrer Agnes viel verträumte Sanftheit vom "Engel von Augsburg" und irritiert gleichzeitig mit ihrer stupenden Naivität. Max Rothbart spielt den Albrecht als verhuschtes armes und nicht sonderlich lebenstüchtiges Hascherl, während Max Mayer als Albrechts Vater Ernst süffig der sich aus kleinsten Verhältnissen an die Spitze empor gearbeitete Selfmademan ist.
Cuvilliéstheater, 30.11. und 14.12., 19.30 Uhr, Tel. 21851940