Kritik

"Agamemnon" im Residenztheater

Im Kreislauf der Rache: Das Drama von Aischylos in der Inszenierung von Ulrich Rasche
von  Anne Fritsch
An einem choreografisch wie optisch opulenten Abend wird deutlich, wie die Menschheit seit über 2000 Jahren moralisch auf der Stelle tritt. Als Silhouette: Pia Händler als Klytämnestra.
An einem choreografisch wie optisch opulenten Abend wird deutlich, wie die Menschheit seit über 2000 Jahren moralisch auf der Stelle tritt. Als Silhouette: Pia Händler als Klytämnestra. © Patroklos Skafidas

Okay, es ist definitiv nicht Sommer in Epidauros, Griechenland, sondern Winter in München, Deutschland mit gefrierenden Schneehaufen. Und deshalb ist es auch gut, dass dieser "Agamemnon" nun im warmen Residenztheater Premiere hat und nicht unter freiem Himmel im Amphitheater. Ulrich Rasche, Meister monumentaler Sprach- und Bewegungschoreographien und ebensolcher Bühnenmaschinerien, hat die Tragödie von Aischylos 2022 beim Athens Epidaurus Festival inszeniert. Nun ist die Aufführung beim Koproduktionspartner in München angekommen.


"Agamemnon" spielt nach dem Ende des Trojanischen Krieges. Zehn Jahre haben Agamemnon, der Herrscher von Mykene, und seine Männer gekämpft, bis das einstige Troja "nur noch am Rauch" erkennbar war. "Um eines Weibes willen haben wir die Stadt in Staub zertreten", wie der Heerführer resümiert. Sie sind in den Krieg gezogen, um die nach Troja entführte Helena, die Frau seines Bruders Menelaos, zurückzuholen. Für guten Wind brachte Agamemnon den Göttern vor der Abreise ein Opfer: seine Tochter Iphigenie.

Diese Tat, den Mord an der Tochter, kann ihm seine Frau Klytämnestra nicht verzeihen. Zehn Jahre wartet sie auf seine Rückkehr, zehn Jahre plant sie ihre Rache. Gemeinsam mit ihrem neuen Partner Ägisth ermordet sie den heimkehrenden Gatten sowie die Seherin Kassandra, die der sich als Trophäe aus Troja mitgebracht hat.


Das Stück ist der erste Teil der "Orestie", einer Trilogie über den ewigen Kreislauf des Mordens und der Blutrache. "Wer schlug, wird geschlagen. Und wer gemordet hat, fällt", bringt der Chor es auf den Punkt. Man muss nur hinaus in die Welt blicken, um zu erkennen, dass die Tragödie des Aischylos nichts an Aktualität eingebüßt hat seit ihrer Uraufführung vor bald 2500 Jahren.

Alles auf einer gigantischen Drehscheibe

Diesen Kreislauf nun nimmt Rasche wörtlich, er ist genau sein Ding. Rasche übersetzt das Geschehen in eine Körperlichkeit, den Text in einen Soundtrack des Krieges. Wie bereits häufiger lässt er sein Ensemble auf einer gigantischen Drehscheibe entgegen der Fahrtrichtung marschieren. Ein endloser Lauf, ein ewiges Auf-der-Stelle-Treten. Nicht das schlechteste Bild für dieses überzeitliche Kriegs-Drama.

Auf einem Steg in der Mitte untermalen Sebastian Hausl, Felix Kolb, Cristina Lehaci und Fabian Strauss das Geschehen mit eindringlicher Percussion. Das Pochen und Schlagen erinnert an einen kollektiven Herzschlag, mal schneller, mal langsamer, mal leiser, mal lauter, aber immer drängend, vorantreibend.

Gezeichnet von der Kriegshölle

Der Chor berichtet vom Leid, vom Warten, vom Morden. In immer neuen Konstellationen lässt Rasche diese Menschengruppen aufeinandertreffen, die nur eines eint: das Leiden unter dem Krieg. Die Frauen, die verzweifelt und oft vergeblich auf die Heimkehr der Männer warten. Und die Männer, die aus der Kriegshölle zurückkehren, gezeichnet für immer.

Aus dem Bühnenhimmel herabsinkende Spiegel heben das Geschehen ins Unendlich-Menschliche, die unten Marschierenden werden zum Sinnbild des Unheils, das der Mensch beharrlich über die Welt und die Seinen bringt. (In Epidauros blickte man wohl auf die über den Hügeln untergehende Sonne, hier schaffen die Spiegel und das Licht von Gerrit Jurda zusätzliche Bedeutungsebenen.)


Für ein Freudenfest ist hier niemand mehr zu haben. Agamemnon und seine Mannen kehren als Verstörte und Zerstörte zurück, Sieger zwar, aber um welchen Preis. Das wird schon in der Siegesrede von Thomas Lettow spürbar, dessen Agamemnon nichts Glorreiches mehr an sich hat. Pia Händler spielt die Kytämnestra von Anfang an als Vereinzelte, eine Königin, die ihr Volk meidet. Mechanisch und einsam marschiert sie vor sich hin, in diesem Rasche-Duktus, der nichts Fließendes hat, ruckig, ein wenig zwanghaft.

Ihren großen Auftritt hat sie, als sie am Ende nackt eine Plane auf die Bühne zieht, darauf die Leichen von Agamemnon und Kassandra, und ihre erfolgreiche Rache verkündet. In Epidauros hatte man aus den Rängen des Amphitheaters eine Draufsicht auf die Bühne, sah die Drehscheibe und das Geschehen von oben. Hier im Residenztheater kann man aus dem ebenen Parkett in dieser Szene einiges leider nur erahnen.


Später gesellt sich der ebenfalls nackte Lukas Rüppel zu ihr, Ägisth, ihr neuer Mann. Wie Adam und Eva stehen sie an der Rampe, zwei, die sich versündigt haben und deren Sünden neue nach sich ziehen werden. Der Abend endet mit dem Verweis auf Orest, Agamemnons und Klytämnestras Sohn, der kommen wird, seinen Vater zu rächen. Es wird leise auf der Bühne, dunkel. Das Morden wird weiter gehen. Daran lässt Rasche keinen Zweifel. Dieses Ende ist nur ein kurzes Innehalten.

Für diese Botschaft setzt der Regisseur auf viel Effekt, vielleicht ein wenig zu viel. Der Abend ist genau so, wie man ihn von Rasche erwartet. Das ist ein bisschen schade. Dieses Theater ist anstrengend, es nervt und zermürbt. Es ist aber ohne Frage eines, das der Welt da draußen ziemlich nahekommt. Die Spirale der Gewalt dreht sich unaufhörlich weiter. Wie Rasches Drehscheibe. Das "Raubtier", von dem Agamemnon spricht, ist der Mensch. Er kommt nicht wirklich weiter. Bis heute.

Wieder am 22. und 28., 29. Dezember und 31. Januar, tickets.staatstheater.bayern

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