Absturz eines Autorenfilmers: Marc Minkowski und Mariame Clément scheitern an "Les contes d'Hoffmann"

Salzburg – Vor genau einem Jahr drehte Orson Welles im Großen Festspielhaus in Christoph Marthalers Verdi-Inszenierung einen Falstaff-Film: mit eher mäßigem ästhetischen Mehrwert. Heuer steht am gleichen Ort das Set für "Les contes d'Hoffmann", in dem der Dichter als Autorenfilmer seine Erzählungen dreht. Der Intendant Markus Hinterhäuser setzt offenbar auf die Vergesslichkeit ihres überwiegend älteren Publikums. Oder er wird selbst vergesslich. Anders ist dieser Missgriff nicht zu erklären.

Auch sonst spricht eher wenig für diese Neuproduktion von Jacques Offenbachs unvollendeter Oper. Denn in der Premiere wirkte die Kommunikation zwischen dem Dirigenten Marc Minkowski, den Wiener Philharmonikern und der Bühne ziemlich gestört. Das Orchester knallte ohne Rücksicht auf die Sänger. Jeder halbwegs heikle Einsatz wackelte, die Steigerung am Ende des Antonia-Akts wirkte sehr bemüht.
Ein Füllhorn voller Enttäuschungen
Nach der ersten Pause wurde es besser. Aber es ist wie so oft bei Dirigenten, die vom sogenannten Originalklang kommen und eigenen Ensembles berühmt geworden sind: Minkowski setzte kaum eigene Akzente, wirkte umspontan und erwies sich als unsensibler Begleiter. Mit dem Ergebnis, dass diese Festspielpremiere auf weite Strecken an eine beliebige Repertoireaufführung erinnerte. Und was daran interessant sein könnte, diesen Dirigenten sich mit den Wiener Philharmonikern zusammenzubringen, teilte sich nicht mit.

Auch die Besetzung enttäuschte auf hohem Niveau. Benjamin Bernheim hat eine helle, metallische, typisch französische Tenorstimme. Er singt mit Geschmack und ist ein engagierter Darsteller. Für das hintere Parkett des Großen Festspielhauses ist seine Stimme aber zu klein. Der lyrischen Episode des Klein-Zack-Lieds und dem Duett mit Giulietta fehlt der überwältigende Überschwang. Man bewunderte die Kunst dieses Sängers und sein Stehvermögen, mit seiner Geschichte musikalisch berühren konnte er nicht.
Ähnlich kalt bleibt die Kunst der amerikanischen Koloratursopranistin Kathryn Lewek. Ihre Olympia klingt eher scharf, die Antonia bleibt eine Kunstfigur. Noch am besten zu ihrer Stimme passt Giuliettas Arie "L'amour lui dit: la belle" aus der hier verwendeten Version von Michael Kaye and Jean-Christophe Keck. Aber das Zirzensische, das die Darstellung von vier Rollen an einem Abend haben müsste, wirkte wie eine Fleißarbeit. Und das ist zu wenig,

Christian van Horn, einst Mitglied des Opernstudios der Bayerischen Staatsoper und nun vor allem in den USA gefeiert, lieh seinen schlanken Bass den vier Bösewichtern. Musikalische Wandelbarkeit und Charakterisierungskunst, bei der es hier ankäme, ist seine Sache leider nicht. Am ehesten passte zu seiner Stimme eine bisher selten oder gar nicht gespielte Diamantenarie im Venedig-Akt, die ein wenig an die von der Offenbach-Forschung als Fälschung entlarvte "Spiegel-Arie" erinnert.
Das Lebenswerk im Einkaufswagen
Auch mit Kate Lindsey als Muse wird man nur bedingt glücklich. Aber sie singt und spielt sich langsam in die Rolle von Hoffmanns Begleiter Niclausse hinein. Die Mezzosopranistin durfte eine in der traditionellen Fassung der Oper fehlende Nummer mit spanischem Kolorit singen. Sie war hübsch anzuhören, trägt aber wie die meisten Funde dieser Art zur Geschichte Hoffmanns wenig bei.

Der Dichter bewahrt in Mariame Cléments Inszenierung sein filmisches Lebenswerk samt Alkoholika in einem Einkaufswagen auf. Mit ihnen umkreist er als Penner das Filmstudio, wo seine einstigen Erfolge entstanden, die er nun in der Kantine vorführt, während das Publikum im Großen Festspielhaus die Entstehung eines trashigen Science-Fiction-Streifens miterleben darf, in der Hoffmann eine frühreife Lolita als Barbarella auftreten ließ.

Auf diese in der Hippie-Zeit spielende Geschichte folgen die Dreharbeiten zu einem zweitklassigen Kostüm-Melodram über Antonia, an dessen Ende der genervte Regisseur zusammenbricht. Der Giulietta-Akt erweist sich als Delirium, in dem Augen und Kameras mäßig fantastisch herumgeistern, ehe Hoffmann zuletzt seine Kreativität wiederzufinden scheint. Womöglich wechselt er auch unter dem vereinten Schutz der Muse, von Stella und Lindorf in die Literatur hinüber. So richtig klar wird das nicht, weil Deutlichkeit keine Stärke dieser recht bemühten Inszenierung ist.
Im falschen Raum
Mariame Clément verschwendet einen ungeheuren Aufwand, um eine Geschichte in Anführungszeichen zu setzen, der sie offenbar nicht traut. Ihre Backstage-Tragikomödie eines verzweifelnd fuchtelnden B-Picture-Regisseurs ist aber auch nur von mäßiger Originalität - wie alles Schielen von der Oper zum Film.
Für Offenbachs Musik, wie sie sich nach jahrzehntelanger Rekonstruktionsarbeit darstellt, ist das Große Festspielhaus die falsche Spielstätte: Schärfe und Ironie funktionieren in diesem für dieses Werk viel zu großen Raum nicht. Und für die eher subtilen Wirkungen der französischen Musik und des damit verbundenen feinsinnigen Gesangsstils ist dieser Ort auch falsch, der alles in Große Oper verwandelt.
Bleibt nur zu hoffen, dass die Festspiele wenigstens durch das Recycling der Filmrequisiten des Vorjahrs ein paar Euro gespart haben. Und wenn man einen Wunsch an Markus Hinterhäuser frei hätte, wäre es der, Hauptwerke des Opernrepertoires nicht nur als künstlerisch irrelevanten Goldesel zu betrachten, mit dem Schönberg-Zyklen und liebevoll besetzte Raritäten von Prokofjew oder Weinberg in der Felsenreitschule querfinanziert werden.
Wieder am 16. 21., 24., 27. und 30. August um 18.30 Uhr. Restkarten unter salzburgfestival.at. Arte zeigt am 16. August um 22 Uhr eine Aufzeichnung