Büchners „Leonce und Lena“ im Volkstheater
Mit Hanna Rudolphs Inszenierung von Georg Büchners Lustspiel „Leonce und Lena“ eröffnet das Volkstheater seine Spielzeit.
Wenn der Eiserne Vorhang fällt, soll zusammenwachsen, was zusammengehört: Diese Hoffnung hat schon in der jüngsten deutschen Geschichte getrogen. Sie trügt leider auch in Hanna Rudolphs Inszenierung von Georg Büchners Lustspiel „Leonce und Lena“, mit der das Volkstheater seine Spielzeit eröffnete. Wenn nach einer Stunde krachend die Metallwand, vor der vorher alles spielte, umfällt, hofft man, dass sich die versprengten Einzelszenen endlich zu einem auch bildhaften Ganzen fügen. Doch da ist der Regisseurin bereits das Stück abhanden gekommen: Die Aufführung bleibt Stückwerk.
Büchners 1836 geschriebenes Spiel von den zwei Königskindern, die nicht zusammenkommen wollen, aber vom Zufall doch zusammengeführt werden, ist eine böse Satire auf deutschen Kleingeist und Kleinstaaterei. Prinz Leonce vom Mini-Staat Popo verzweifelt aus Langeweile am Sinn des Daseins: Jean-Luc Bubert zeigt einen existenzialistischen Lebensflüchtling nicht ohne Hedonismus. Im arbeitsscheuen Valerio findet er seinen Meister: Robin Sondermann spielt mit Verve den Anarcho-Clown, Alltagskünstler und Genießer. Am Hof, dem sie entfliehen, befehligen der geistlose, geschniegelte König Peter (Thomas Kylau) und sein Hofmeister (Stefan Ruppe) weißgekleidete Mafiosi mit Sonnenbrillen und Krinolinen-Damen (Kostüme: Sara Schwartz). Die Mätresse Rosetta (Kristina Pauls) ist mit der Biografie der Hure Marion aus „Dantons Tod“ ausgestattet, den Laufpass, den Leonce ihr gibt, begießt sie frustriert mit Sekt.
Zunächst spielt alles an der Rampe vor dem Eisernen Vorhang und halb im Zuschauerraum. Wenn die Wand fällt, gibt sie den Blick frei auf eine Drehscheibe vor der Brandmauer (Bühne: Steffen Schmerse). Hier treffen Leonce und Valerio auf die ebenfalls geflohene Prinzessin Lena: Xenia Tiling spielt in Tüllröckchen und Jeansjacke ein handfestes Mädchen. Ihre Gouvernante ist mit Nico Holonics ein Gouvernant, der wie ein eifersüchtiger Liebhaber über Lena wacht und ihr das Sterntaler-Märchen aus „Woyzeck“ erzählt.
Offenbar aus Angst vor Sentimentalität und Romantik hat Rudolph dem Text alle Poesie ausgetrieben. Im Schnellgalopp geht’s zu Ende. Leonce tanzt in hellblauen Unterhosen mit Lena, ihre Hochzeit als vorgebliche Automaten vollzieht sich in einem Satz, die Enthüllung der Identitäten wird nur mit einem weggenuschelten „Ich bin betrogen“ quittiert. Oder ist nun doch „Leben und Liebe eins“? Das weiß das Pärchen selbst nicht. In dieser Werkstatt-Inszenierung überzeugt nur die Musik von Kriton Klingler-Ioannides. Gabriella Lorenz
Volkstheater, 9., 10., 23., 24. Okt., 19.30 Uhr, Karten Tel. 523 46 55