Bücher oder Datenwolken?
Auch wenn Weihnachten nicht unter dem Baum entschieden wird, ist das Weihnachtsgeschäft für den Buchhandel und die Literaturverlage doch die wichtigste Zeit im Jahr. Die Branche leidet seit Jahren unter großer Verunsicherung. Die Handelskonzentration und der erwartete Siegeszug des e-books könnten den Markt bald stark verändern. Die Münchner Verlegerin Antje Kunstmann kennt die Branche seit Jahrzehnten, sie ist eine Art Vorzeigefrau für die unabhängigen Kleinverlage.
AZ: Frau Kunstmann, alle reden über das e-book. Ist das für kleinere Verlage schon wichtig?
ANTJE KUNSTMANN: Das ist für alle wichtig, und gerade für kleinere Verlage bietet es neue Chancen.
Wird das e-book das gedruckte Buch langfristig ersetzen?
Das e-book wird das gedruckte Buch nicht substituieren. Aber es wird einen größeren Marktanteil bekommen, je mehr Leute ein Gerät haben, auf dem sich Bücher gut lesen lassen. Für das e-book muss ein Preisbewusstsein geschaffen werden. Im internet hat man sich leider daran gewöhnt, alles zu sehr niedrigen Preisen zu kriegen, wenn nicht umsonst, und wie man schon bei der Musik beobachten konnte, kann das verheerende Folgen für die Urheber haben. Das darf man nicht unterschätzen. Es werden sich neue Geschäftsmodelle entwickeln, aber kostenlos sind Inhalte und Qualität sicher nicht zu haben. Das e-book wird aber auch dem schön gestalteten Buch einen neuen Auftrieb geben. Die Bücher, die einem etwas bedeuten, möchte man konkret in die Hand nehmen können, sie nur in einer „cloud” zu wissen, ist einfach nicht befriedigend.
Viele Verlagsgründungen aus den letzten zehn Jahren stehen schon wieder vor dem Aus. Was waren die Fehler der Kollegen?
Wer etwas macht, macht auch Fehler. In den 70er Jahren, als Kunstmann gegründet wurde, wurden ja auch viele Verlage und Buchhandlungen gegründet, die wieder eingegangen sind. Aber damals war es insgesamt einfacher, neu zu starten. Es gab eine sogenannte Gegenöffentlichkeit, die wild gelesen hat, es gab mehr Aufmerksamkeit für das Buch, weniger Konkurrenzmedien. Man braucht einfach eine relativ lange Anlaufzeit, um einen Verlag zu etablieren, um Autoren aufzubauen. Das kostet Geld. Und man braucht das unberechenbare Glück eines Bestsellers. Wenn man sich zum Beispiel die Geschichte des von uns allen so geschätzten Diogenes Verlags anschaut, dann war der Welterfolg von Patrick Süskinds Roman „Das Parfüm” sicher ein Wendepunkt in der Erfolgsgeschichte des Verlags, auch wenn davor schon namhafte Autoren sein Profil geprägt haben. Und ein Bestseller zieht oft andere nach sich.
Auch Sie brauchen jede Saison ein Zugpferd.
Stimmt. Wir hatten allerdings schon ziemlich früh das Bestseller-Glück, erst mit Fay Weldon, dann mit Axel Hacke. Und wir konnten Autoren aufbauen, die inzwischen auch sehr erfolgreich sind, so dass man bei ihren neuen Büchern mit anderen Zahlen kalkulieren kann. Dazu gehören Rafael Chirbes, Tim Parks, Barbara Gowdy oder zuletzt Kristof Magnusson. Auch im Sachbuch hatten wir große Erfolge mit Donata Elschenbroichs „Weltwissen der Siebenjährigen” oder David Servan-Schreibers „Anti-Krebs-Buch”. Wir haben also inzwischen eine gute Basis mit Autoren, die dem Verlag auch treu bleiben.
Dieses Jahr heißt Ihr Zugpferd Philipp Lahm.
Ja, und das ist besonders, weil man so ein Buch bei uns eigentlich eher nicht erwartet. Aber als Philipp Lahms Berater an uns herangetreten ist, war ich sofort begeistert, weil ich schon in dem ersten Gespräch den Eindruck hatte, dass das ein interessantes Buch werden kann. Und in der Zusammenarbeit von Philipp Lahm und Christian Seiler auch geworden ist. Und es passt auch gut ins Programm, denn es ist ja kein Skandalbuch.
Auch wenn die Wahrnehmung der Presse genau darauf ausgerichtet war.
Das hat mich auch erstaunt. Aber eigentlich ist es ein leises Buch, das reflektiert, was es heute eigentlich bedeutet, ein Spitzensportler zu sein.
Wie plant man einen Bestseller?
Den kann man nicht wirklich planen, jedenfalls nicht in der Literatur. Das erste Buch eines unbekannten Autors ist immer ein Abenteuer. Bei Philipp Lahm ist das natürlich etwas Anderes. Aber Platz 1 der Bestsellerliste ist trotz aller Prominenz und Beliebtheit keine gemahte Wiesn. Manchmal wird ein Buch zum Bestseller, weil es zum richtigen Zeitpunkt mit dem richtigen Thema da ist. Als Donata Elschenbroichs kluges Buch „Das Weltwissen der Siebenjährigen” erschien, kam die erste Pisa-Studie, und Erziehung war plötzlich ein großes Thema. Kristof Magnussons Roman „Das war ich nicht” war der Roman zur Finanzkrise. Aber als er angefangen hat zu schreiben, war die noch gar nicht absehbar. Und ganz abgesehen davon, hat er sich mit über 100 Lesungen in einem Jahr auch sein Publikum erarbeitet.
Kunstmann ist vor Jahrzehnten mit einer klaren Ideologie gestartet.
Ideologie würde ich nicht sagen, es geht mir mehr um eine – gesellschaftskritische – Haltung. Und der folgt das Programm bis heute. Zum Beispiel mit Rafael Chirbes grandiosem Familienepos „Krematorium”, das davon erzählt, wohin Wachstumswahn, Wohlstandsfanatismus und die Zerstörung von Europas schönsten Landschaften führen werden. Oder mit Fabrizio Gattis bewegender Reportage „Bilal”, die die afrikanischen Flüchtlinge auf ihrem Weg nach Europa begleitet.
Kann ein Verlag wie Kunstmann beim internationalen Bieten um Bestseller mithalten?
Nein, aber die meisten dieser Bestseller würden auch gar nicht in unser Programm passen. Das Interessante an unserer Arbeit ist das Entdecken von Autoren. Alexander Fest hat damals Jonathan Franzen entdeckt, da waren seine Bücher noch keine Bestseller. Auch Joanne Rowling war eine Entdeckung, hier hatte Klaus Humann, der Verleger des Carlsen Verlags, die berühmte „Nase”. Auch bei noch unbekannten Autoren steht man in Konkurrenz mit den Kolleginnen und Kollegen, und da bieten wir natürlich mit.
Gibt es in der Krise denn eine neue Vernunft?
Das glaube ich nicht. Jeder ist angewiesen auf bestsellerverdächtige Stoffe. Meiner Wahrnehmung nach ist das Rennen darum eher noch verrückter geworden, weil der Markt sich weiter zuspitzt: Wenige Titel machen immer mehr Umsatz, das Mittelfeld dünnt aus.
Trotzdem stehen sich viele Verleger eher freundschaftlich gegenüber, die Branche hat etwas Familiäres.
Das stimmt. Und hat vielleicht damit zu tun, dass Verleger und Verlegerinnen immer auch Leser sind und sich für die Bücher aus anderen Verlagen begeistern. Bei aller Konkurrenz haben wir einen gemeinsamen Diskurs.
Und gemeinsame Probleme?
Man kann vieles bedauern. Zum Beispiel, dass die interessanten Literatursendungen im Fernsehen zu einer Sendezeit laufen, wo auch hartnäckig Interessierten die Augen zufallen. Oder dass die Verweildauer eines Romans in den Buchhandlungen immer kürzer wird. Aber was soll das? Da ist man schnell bei dem Satz „Früher war alles besser”, und der ist einfach dumm.
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