Bücher für den Urlaubssommer

Für Strand und Balkon: Lesetipps der Redaktion zur Verzierung der schönsten Wochen des Jahres
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Für Strand und Balkon: Lesetipps der Redaktion zur Verzierung der schönsten Wochen des Jahres

Wenn ein Buch und ein Leser zusammenkommen, entsteht Literatur. Aber noch schöner ist es, allein gemachte Erfahrungen mit anderen zu teilen. Birgit Andorf (Mitte), die Initiatorin des Münchner Lesekreises, trifft sich einmal im Monat mit Gleichgesinnten, um über ausgewählte Bücher in privater Runde zu sprechen. Ob nach Feierabend auf den Isarwiesen oder abends bei einem Teilnehmer in der Wohnung: Die Bücherwürmer tauschen sich zwanglos und ohne wissenschaftlichen Anspruch über ein zuvor bestimmtes Werk aus. Birgit Andorfs Gruppe umfasst rund 15 Mitglieder. Damit ihnen der Lesestoff nicht ausgeht, wagen wir auf dieser Seite ein paar Vorschläge. Sie sind natürlich auch für alle anderen Leser geeignet, die in den schönsten Wochen des Jahres noch nach der passenden Urlaubslektüre. Denn nichts ist Schlimmer, als beim hektischen Packen das falsche Buch für die lange Lesezeit ausgesucht zu haben

Für Bildungsbürger

Am 28. August vor 261 Jahren wurde Johann Wolfgang von Goethe geboren. Selbst in Jahren nicht besonders runder Jubiläen bleibt er das Ziel kluger Betrachtungen. Nachdem zuletzt Gustav Seibt die kurzen Treffen des Dichterfürsten mit Napoleon auslotete, widmet sich nun Eckart Kleßmann dem spannungsgeladenen Verhältnis des Weimarer Geheimrats zu seinen Landsleuten. „Johann Wolfgang von Goethe und seine lieben Deutschen“ heißt der leicht ironische Titel über eine schwierige Beziehung. Nicht nur tadelte Johann Wolfgang von Goethe sie wegen der Neigung zum Tabak als „Schmauchlümmel“, generell vermisste er Lebensart, Manieren, Geschmack. Seine „skandalöse“ Lebensführung mit der Vulpius schockierte dagegen das Bürgertum.

Die „innere Fäulniß“ des kleinstaatlichen Flickenteppichs hatte Johann Wolfgang von Goethe lange schon erkannt, Napoleons Zerschlagung des Heiligen Römischen Reiches löste bei ihm keine Tränen aus – im Gegenteil. Er zeigte sich im okkupierten Land stolz mit dem Napoleon-Orden und stieß damit viele vor den Kopf. Kleßmanns wunderbar erzähltes Buch ist ein Genuss, eine Bereicherung – nicht nur für den Urlaub im eigenen Land.

Volker Isfort

Eckart Kleßmann: „Johann Wolfgang von Goethe und seine lieben Deutschen“ (Eichborn, 310 Seiten, 32 Euro)

Für Westernfans

Der einsame Reiter trägt eine Lodenjacke mit Knöpfen von Hirschhorn. Das deutet auf die Gebirgswelt Ludwig Ganghofers, wären da nicht die „spitzen, ausgetretenen braunen Lederstiefel“ und der helle Staubmantel, wie ihn Clint Eastwood früher zu tragen pflegte.

Thomas Willmanns „Das finstere Tal“ frischt durch eine intelligente Kreuzung zwei ländliche Genres auf: Heimatroman und Western. Das erste Buch des Münchner Kulturjournalisten muss keineswegs „derschmissen“ werden wie die neugeborenen Kätzchen gleich auf der ersten Seite, die schöne Seelen vom Weiterlesen abhalten sollen. Denn Leichen pflastern den Bergweg des Manns im Staubmantel, der es mit dem klingonischen Sprichwort hält, Rache werde am besten eiskalt serviert.

Wie es sich gehört, sind die Dirndln sittsam und die Männer wortkarg. Der Satz „Des is kei guads Zeichen. Da kommt’s Übel zu uns“ gehört schon zu den längeren Passagen wörtlicher Rede. Wer Italowestern mag, wird viele Motive erkennen: Wie Django verdankt Willmanns Hauptfigur ihren Sieg dem waffentechnischen Fortschritt, der das Tal noch nicht erreicht hat.

Schaut man, von dem Buch angeregt, ein paar Szenen aus „Spiel mir das Lied vom Tod“ an, werden Grenzen deutlich. Der Italowestern verfremdete kritisch die idealistischen Hollywood-Klischees. Ähnliche Absichten sind Willmann fremd: Sein Buch bleibt eine pure, wenngleich auch sprachlich glänzende Stilübung in zwei Genres.

Die Frage, für wen der Roman geschrieben ist, lässt sich nicht leicht beantworten. Tante Erna, die Heimatromane liebt, wird es brutal finden. Liebhaber regionaler Krimis könnte die unkonkrete Alpenlandschaft enttäuschen. Fans von Western und Kinoliebhaber kommen voll auf ihre Kosten. Und alle anderen intelligenten Leser auch, weil der Autor kraftvoll-altertümliche Bilder wie den mit Knochen klappernden Winter gleich auf der ersten Seite liebt.

Robert Braunmüller

Thomas Willmann: „Das finstere Tal“ (Liebeskind, 315 Seiten, 19.80 Euro

Für Geschichtsliebhaber

Wenige Jahre vor seinem Tod stieß der portugiesische Nobelpreisträger José Saramago auf eine besondere Geschichte: Im Jahr 1551 reiste – wohl auf Geheiß des Königs Johann III. – ein Elefant von Lissabon bis nach Wien. Salomon heißt der Dickhäuter, der heimliche Chef des von einem großen Soldatenaufgebot begleiteten Unternehmens ist aber sein listiger Mahut. Dieser weiß, wann man dem König oder dem Truppenchef gegenüber demütig zu sein hat, auch wenn man im Besitz der Wahrheit ist. Aber natürlich ist Saramago kein Schöpfer von herkömmlichen Historienromanen. Er nutzt als Freigeist mit spielerischer Hand und sehr viel Ironie die Handlung, um sie mit seinen Lebensthemen zu würzen: der Kritik an staatlicher Obrigkeit und der Religion sowieso.

So führt die Suche nach Unterkunft für Tier und Tross den Schöpfer dieser Geschichte zu Jesus, der sich „in seinen besten Tagen damit gebrüstet hat, er könne zwischen Morgen und Nacht einen einzigen Tempel zerstören und wiederaufbauen“. Wohl aus Mangel an Arbeitskräften, konstatiert Saramago in diesem leicht spleenigen, aber sehr unterhaltsamen Buch.

Volker Isfort

José Saramago: „Die Reise des Elefanten“ (Hoffmann und Campe, 236 Seiten, 19.95 Euro)

Und hier noch eine Warnung

Als Kulturredakteur ist man natürlich feuilleton-abhängig. Als vor zwei Jahren ein Begeisterungssturm zu Uwe Tellkamps „Turm“ einsetzte, wurde auch ich erfasst: Die neuen „Buddenbrooks“, und das im untergehenden Bildungsbürgertum der Neuen Bundesländer, einer Schicht, von der viele gar nicht wussten, dass es sie in einer Reinform im Arbeiter- und Bauernstaat gab, wie man es in der Post-68er-Bundesrepublik gar nicht mehr kannte.

Ich ließ mir das Buch zu Weihnachten schenken. Es hatte durch den knapp tausendseitigen Umfang und den Niveau-Verlag Suhrkamp eine gigantische Wichtigkeitsaura, die bleischwer auf meinem Nachttisch lag. Der Sommer kam und ein Urlaub im baskischen Biarritz. Die Hitze – sogar auch nur die Wärme im Schatten der Verandabäume – vertrug sich nicht mit der Kühle des sperrig-aufgeladenen Stils. Ich hatte schon nach wenigen Seiten den Überblick über Personen und Orte, die nebulös und gleichzeitig hastig eingeführt wurden, verloren. Von wegen „Buddenbrooks“!

Ich fing nach zwei Abenden wieder von vorne an, kam diesmal bis Seite 80 – und brach wieder ab. Das ist jetzt schon wieder ein Jahr her. In zwei Wochen fahre ich zu meinem Bruder nach Dresden. Er wohnt seit 1992 gegenüber vom Stadtteil „Weißer Hirsch“ an der Elbe, wo „Der Turm“ spielt. Das Buch bekommt noch eine Chance. Der Genius Loci stehe mir bei!

Adrian Prechtel

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