Buchmesse: Mystery und Menschenrechte

Die größte Kultur-Messe der Weltsteckt mal wieder im Konflikt zwischen Markt und Politik. Das Gastland China bringt Zensur und Ärger mit nach Frankfurt
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Die größte Kultur-Messe der Weltsteckt mal wieder im Konflikt zwischen Markt und Politik. Das Gastland China bringt Zensur und Ärger mit nach Frankfurt

Volker Neumann, ehemaliger Chef der Buchmesse und legendär für seine Provokation, diese von Frankfurt nach München verlagern zu wollen, hatte einen Traum: Er wollte China, das Land des unbeschränkten Wachstums und der eingeschränkten Freiheit, als Gastland für die Buchmesse gewinnen. Für offene Diskussionen – auch über Tibet, Menschenrechte und andere heikle Themen. Nach einigen Vorgesprächen mit chinesischen Delegationen wurde ihm schnell klar, dass sein Plan sinnlos war.

Sein Nachfolger Jürgen Boos aber führte die Verhandlungen weiter – zielgenau in den aktuellen Konflikt. Partner der Buchmesse ist die staatliche Verwaltung für Presse und Publikationen (GAPP), die als oberste Zensurbehörde entscheidet, was in China veröffentlicht werden darf – und auch die Teilnahme an der offiziellen Delegation bestimmt. In die Auswahlliste der chinesischen Autoren gelangen nun auch Parteidichter, während regimekritische Autoren gar nicht erst nach Frankfurt reisen dürfen, so wie der Vorsitzende des unabhängigen PEN-Clubs in China, Liu Xiaobo, der seit Dezember in Haft sitzt und auf seinen Prozess wegen „Untergrabung der Staatsgewalt“ wartet.

Das ist zwar wenig erstaunlich, aber für das Gastland imageschädigend und kontraproduktiv: Denn natürlich möchte China seine Buchverkäufe im Ausland ankurbeln, was bisher misslang. Und selbstverständlich wollen auch die deutschen und internationalen Verlage auf der Messe Lizenzen für den gigantischen Buchmarkt in China verkaufen.

Die Anstrengungen im Vorfeld der Messe waren – wie immer – riesig. Den Auftritt begleitet China mit einem gewaltigen, deutschlandweiten Kulturprogramm, zudem wurden Dutzende von Titeln ins deutsche übersetzt. Den meisten winkt das übliche Gastland-Schicksal. Sie werden im Ramschhandel enden.

Das ohnehin fragwürdige Gastland-Konzept bringt regelmäßig Politik auf die Messe. Vor zwei Jahren entsetzte der engstirnige, katalanische Auftritt viele Beobachter. Denn dem ungezügelten Nationalismus fielen die auf Spanisch schreibenden Autoren Kataloniens zum Opfer. Nun droht der diplomatische Messe-Eiertanz mit China. Doch auch viele Kritiker sind für den Buchmessen-Auftritt: „Es ginge den chinesischen Schriftstellern keinen Deut besser, wenn es die Buchmesse nicht gäbe“, sagte etwa Amnesty- Generalsekretärin Monika Lüke. „Wichtig ist, dass die Buchmesse als Forum genutzt wird, um die Diskussion zu führen, verfolgten Autoren eine Stimme zu geben und den chinesischen Behörden vor Augen zu führen, dass sie sich an die Menschenrechte zu halten haben. Und diese Diskussion darf auch nach dem Ende der Buchmesse nicht vorbei sein.“

Dabei wird die Buchmesse als Hort der geistigen Freiheit oft überschätzt. Vor genau zwanzig Jahren erschien Salman Rushdies Roman „Die Satanischen Verse“ in Deutschland, ein halbes Jahr nachdem Khomeini eine „Fatwa“ gegen den Autor verkündet hatte. Auf der Buchmesse wurde der Roman damals „aus Sicherheitsgründen“ nicht gezeigt.

Immerhin, zumindest im nächsten Jahr kann sich die Messe wieder ganz auf die Kultur konzentrieren: Im Gastland Argentinien, einem der größten Fleischlieferanten der Erde, werden allenfalls Vegetarier ausgegrenzt.

Wenn sich am Mittwochmorgen die Hallen zum ersten Messetag füllen, ist das Gastland meist nur noch ein Randthema. Königin der Messe ist dann natürlich Herta Müller, frisch gekürte Literatur-Nobelpreisträger sind auch in Frankfurt eine Seltenheit. Günter Grass, der die Auszeichnung vor zehn Jahren erhielt, ist sowieso immer da. Der Autor, der wahrscheinlich mehr Buchmessen auf dem Buckel hat als jeder andere, erinnert nicht an sein aktuelles Werk, das ziemlich verunglückte Tagebuch aus der Wendezeit, sondern an die Buchmesse 1959, die ihn schlagartig ins Rampenlicht rückte: Vor genau 50 Jahren debütierte er dort mit seiner „Blechtrommel“, wurde über Nacht ein Star und stellt nun an seinem 82. Geburtstag in Frankfurt eine Jubiläumsausgabe des Wälzers vor, der in vierzig Sprachen übersetzt und mehr als vier Millionen Mal verkauft wurde.

Solche Zahlen kann zwar auch der geniale Selbstvermarkter Frank Schätzing vorweisen, doch wer sich auf tausendseitige Unterhaltungsromane beschränkt, bleibt ein gemeiner Bestsellerautor ohne die höheren politischen Weihen. Schätzing wird sich mit „Limit“ wohl bis Weihnachten das Kopf-an-Kopf-Rennen mit Dan Brown liefern, dessen „verlorenes Symbol“ genau zum Start der Buchmesse in der deutschsprachigen Ausgabe erhältlich sein wird. Sechs Übersetzer und (in der Endphase) 17 Lektoren haben diesen Kraftakt in gut drei Wochen bewältigt, selbst das Hörbuch ist schon eingelesen und wird am Stand präsentiert. Nur das Wunder, den scheuen Dan Brown auf die Messe zu locken, hat der Verlag nicht geschafft. Dafür sind in diesem Jahr ungewöhnliche Gäste wie der australische Rocker Nick Cave dabei, auch Reinhold Messner hat sich nach Frankfurt abgeseilt.

Das beste Buch zur Einstimmung auf den Marathon zwischen Messefluren und Verlagspartys hat der ewig agile Großanalyst und Pop-Literat Rainald Goetz geschaffen, es beginnt mit der letztjährigen Messe: „Ich war froh, dass ich seit so vielen Jahren zum ersten Mal wieder auf der Buchmesse war, auch wenn ich merkte, dass ich in den Jahren des Nichtdabeiseins die Normalität des sich hier Bewegens, des Mitredens und Mitfloatens eventuell ein bisschen oder auch ziemlich stark vielleicht sogar verlernt hatte.“ Der Bericht aus den Party-Macht-Zentralen trägt den Titel, der wie ein Imperativ für Frankfurt klingt: „Loslabern“.

Volker Isfort

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