Buchdeckel im TV-Format
Der französische Autor Philippe Djian versucht sich in dem Genre der literarischen Soap
Es kommt mitunter vor, dass man im Restaurant den Teller nicht leer bekommt. Wer den Nerv dazu hat, lässt sich das Übrige einpacken, in einer Tüte, auf Englisch „Doggy Bag“, weil das Haustier was abbekommen soll – oder nur als Vorwand. Die Soap nun, sie war schon immer Hort aller Lügen, eine Art Resteverwertung. Klischees werden hier ohne Reue und Vorbehalte verwurstet, die Ansprüche sind relativ gering. Man schaut sich so eine Seifenoper nach Feierabend an, vielleicht auch mit Hund.
Philippe Djian hat eine literarische Soap in sechs Teilen geschrieben, „Doggy Bag“ heißt sie und ist mit einer Kampfansage versehen: „Ich versuche mich auf demselben Terrain durchzukämpfen, auf dem sich das Fernsehen bewegt, und ich versuche die zurückzuerobern, die kein Buch mehr aufschlagen und nur noch auf den Bildschirm starren“. So liest sich sein Statement auf dem Buchrücken des ersten Teils, den der Diogenes Verlag mitsamt den zwei Folge-Folgen nun in einem Ruck veröffentlicht hat.
Suchtgefahr?
Eine Verkaufsstrategie liegt hinter der seriellen Produktion: Der Leser soll süchtig gemacht und zum Weiterlesen verführt werden. Insofern passt es auch, dass Djian das kapitalistische Nimmer-Satt-Prinzip innerhalb der Reihe stark macht. Von zwei Brüdern um die Vierzig erzählt er, David und Marc, die das Autohaus ihres Vaters weiter führen, Wagen in Serie verkaufen, und sich vor zwanzig Jahren angesichts eines gemeinsamen Objekts der Begierde, Edith, beinahe tödlich in die Wolle bekamen. Die Ex kehrt im Hier und Jetzt mitsamt Tochter zurück und will mit den Brüdern wieder verkehren.
Was damals geschah, enthüllt Djian schrittweise – so hält man bei der Stange, wobei das Klebemittel, mit dem er binden will, ein altbewährtes, für den 60-jährigen französischen Autor, der mit der erotischen Beziehungsschmerzballade „Betty Blue“ 1985 berühmt wurde, enervierend typisches ist: Das sexuelle Begehren befällt die Seiten wie eine gemeine Schweinegrippe und saugt die Moral auf wie ein Küchenschwamm. Marc kennt jede Prostituierte der Stadt, David schiebt mit seiner Freundin Josianne gerne mal eine Nummer im Fahrstuhl, Mutter Irène lässt sich von einem Handwerker ins Innere eines Lastwagens locken, während ihr einst untreuer Gatte Victor sich abmüht, sie wieder ins Bett zu kriegen.
Explizite Stellen
Djian kostet die Vorteile der Literatur aus – geschriebener Sex darf explizit, ja, bildlich sein –, deutet manches aber nur an und nutzt die dramaturgischen Spielräume des Vorbilds. Das Schicksal darf getrost und jenseits der Wahrscheinlichkeit oft und auch im größeren Maße zuschlagen. Fällt im ersten Roman das Autohaus einem Erdrutsch – wegen Tunnelbauten! – zum Opfer, überflutet im zweiten eine Regenkatastrophe die ganze Stadt. Der Versuch, die aus dem Ruder gelaufene Ordnung wieder ins Lot zu bringen, dieses verzweifelte bürgerliche Projekt steckt hinter dieser Soap, und man spürt Djians Genuss, Sittenwidrigkeiten unter dem kalten göttlichen Blick seines nach Belieben zwischen den Figuren hin- und herzappenden Erzählers zu sanktionieren.
Im zweiten Teil wird David in die Ehe gedrängt, weil Josianne (angeblich) ein Kind von ihm erwartet. Zu Beginn des dritten Teils kämpft Mutter Iréne seitenlang gegen den alles andere als normalen Handwerker. Selbst die Lust am Fahren nimmt Djian seinen Autoverkäufern: Überhöhte Geschwindigkeit und Handy am Steuer ahndet die Obrigkeit sofort. Dass die Polizistin als wenig schön beschrieben wird, überrascht nicht: Sie hat einen Männerjob. Josianne, die Krankenschwester mit Jennifer-Lopez-Po, lechzt nach Eigenheim, Swimming-Pool und Mini-Cooper, was sie durch David auch bekommt.
Die Männer träumen vom Leben auf der Überholspur, die Frauen bremsen und wollen woanders hin. Aus dieser bösen Dynamik gewinnt Djians Soap ihren ansehnlichen, auf Dauer ermüdenden Drive.
Michael Stadler
Philippe Djian: „Doggy Bag 1 – 6“, Diogenes, je Band 8,90 Euro, Teil 4 bis 6 im Oktober.