Kritik

Zwei Romane über Joseph Roth

Lea Singer und Jan Koneffke schreiben über den österreichischen Autor
Volker Isfort
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Stefan Zweit mit Joseph Roth (rechts) 1936 in Oostende.
Wikimedia 3 Stefan Zweit mit Joseph Roth (rechts) 1936 in Oostende.
Der Schriftsteller Jan Koneffke vor dem Haus, in dem Joseph Roth 1914 sein erstes Jahr in Wien verbrachte.
Koneffke 3 Der Schriftsteller Jan Koneffke vor dem Haus, in dem Joseph Roth 1914 sein erstes Jahr in Wien verbrachte.
Die Münchner Autorin Lea Singer alias Eva Gesine Baur hat ein Buch über Joseph Roth und seine Geliebte Andrea Manga Bell verfasst.
imago stock&people 3 Die Münchner Autorin Lea Singer alias Eva Gesine Baur hat ein Buch über Joseph Roth und seine Geliebte Andrea Manga Bell verfasst.

Manche Themen kann man sich als Autor nicht aussuchen. Als der Schriftsteller Jan Koneffke herausfand, dass in dem Haus, das er in Wien bewohnt, Joseph Roth 1914 für ein paar Monate seine erste Wiener Bleibe hatte, war es um ihn geschehen.

Denn anders als die Exiljahre, die Joseph Roth, oft umringt von Stefan Zweig, Hermann Kesten, Ernst Toller, Klaus Mann, Egon Erwin Kisch und vielen anderen Autoren als Epizentrum in Cafés zwischen Südfrankreich, Belgien, Paris und Amsterdam verbrachte, sind die Wiener Anfangsjahre des Schriftstellers schlecht dokumentiert und lassen große Lücken zur fiktiven Gestaltung.

Koneffke bietet dem aus dem östlichen Galizien, kurz vor der russischen Grenze stammenden Roth im Roman "Im Schatten zweier Sommer" ein Zimmer als Untermieter in der fiktiven Schusterfamilie Fischler. Hier wird er neugierig von der jungen Fanny beäugt, die über ihre unschuldige Annäherung an den Studenten Tagebuch führt. In einer Rahmenhandlung wird es ihr Neffe sein, der Jahrzehnte später Fannys Tagebuch und besprochene Kassetten vermacht bekommt und die Geschichte von ihr und Roth aufschreibt.

Launisch und eifersüchtig

Der jüdische Provinzler, ohne Vater aufgewachsen und auf die Zuweisungen seines Onkels angewiesen, gerät in Wien in eine aufgehetzte Stimmung. Die zu Zehntausenden nach Wien geflohenen Ostjuden stoßen in der Hauptstadt auf Ablehnungen, sowohl beim etablierten, jüdischen Bürgertum, als auch bei den nationalistisch aufgeputschten Österreichern. Roth tut alles, um seine Herkunft zu verschleiern. Er legt sich einen feinen Wiener Akzent zu, und unterstreicht mit Stock und Monokel auch optisch sein aus der Zeit gefallenes Dandytum. Passend dazu hat er altmodische Manieren, aber auch wenig fortschrittliche Ideen, die Fanny empörend findet. Denn Frauen gehören für Roth in den Haushalt, nicht in den Hörsaal.

Dennoch bildet sich bald ein zartes Vertrauensverhältnis zwischen Fanny und Joseph, sie spazieren gemeinsam durch den Prater und schließlich traut er sich sogar, ihr seine Gedichte vorzutragen. Fanny wird seine Muse. Doch bald lernt Fanny an dem großherzigen, meist klammen Dichter auch andere Charakterzüge kennen: Roth kann launisch und eifersüchtig sein und ist nicht immer verlässlich. Denn was ist schon die Wahrheit gegen eine viel besser erzählte Geschichte? Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges entsetzt den Pazifisten, zwei Jahre später aber tritt der ursprünglich Ausgemusterte doch in die k. und k.-Armee ein und wird später von Fronteinsätzen, russischer Kriegsgefangenschaft und Ausbruch erzählen, alles Abenteuer, die er nur in seinem Kopf erlebt hat.

Der Heimatlose ist haltlos verloren

Koneffke, der Fannys Tagebuch mit einigen wienerischen Vokabeln auffrischt, gönnt ihr nach Roths Auszug zunächst nur kurze Wiedersehen: 1920 schließlich befreit eine Begegnung mit Roth Fanny von ihrer "verhatschten Vergangenheit". Denn Roth ist in Begleitung von seiner Verlobten Friedl Reichler, die er zwei Jahre später heiraten sollte.

So gut Koneffkes Konzept bis dahin aufgeht, so wenig verfängt es im letzten Teil des Buches, da er die fiktive Fanny nach der Wiederbegegnung mit Roth in Paris 1938 auch noch an den übervollen Exilantentisch der realen Berühmtheiten platzieren muss. So wird selbst Andrea Manga Bell zur Randfigur, die länger mit Roth zusammenlebte als jede andere Frau.

Sie dagegen steht im Mittelpunkt des im Spätherbst erschienenen Romans "Die Heilige des Trinkers - Joseph Roths vergessene Liebe" von Lea Singer. Der Münchner Autorin gelingt es deutlich besser, Genie und Verzweiflung von Joseph Roth einzufangen und auch seine Werke, vom "Hiob" über den "Radetzkymarsch" bis zur "Legende vom heiligen Trinker" einzubauen. Als Andrea Manga Bell im Sommer 1929 in Berlin auf Roth trifft, ist der Autor von "Hotel Savoy" und "Das Spinnennetz" schon ein gefeierter Schreiber, als Mensch aber haltlos verloren. Seine Frau Friedl ist schwer an Schizophrenie erkrankt. Roth fühlt sich schuldig und ertränkt seinen Schmerz in Alkohol.

Der Schriftsteller Jan Koneffke vor dem Haus, in dem Joseph Roth 1914 sein erstes Jahr in Wien verbrachte.
Der Schriftsteller Jan Koneffke vor dem Haus, in dem Joseph Roth 1914 sein erstes Jahr in Wien verbrachte. © Koneffke

Idealisierte Donaumonarchie

Obwohl er hohe Vorschüsse erzielt, ist er durch die Sanatoriumsaufenthalte seiner Frau, seinen verschwenderischen Lebensstil und seine Großzügigkeit in permanenter Geldnot. Mit dem Untergang der Donaumonarchie hat er seine von ihm idealisierte Heimat verloren. Er hält störrisch am Glauben fest, Otto von Habsburg könnte die Zukunft seines Landes werden. Es kommt bekanntlich anders.

Andrea Manga Bells Biografie klingt schon wie ein Roman. Die 1902 in Hamburg geborene Grafikerin und Journalistin, Tochter eines kubanischen Pianisten, ist mit dem Sohn des letzten Douala-Königs aus Kamerun verheiratet, dessen Vater die Deutschen gehenkt haben. Er hat sie und die zwei gemeinsamen Kinder verlassen und gewährt keinerlei Unterstützung. Singer beschreibt plakativ die rassistischen Übergriffe, denen Bell in Berlin ausgesetzt ist.

Roths Lebensschmerz ist ihr nicht fremd, die beiden Heimatlosen werden sieben Jahre gemeinsam verbringen und Andrea Manga Bell wird währenddessen Roths Antrieb und wichtigste Mitarbeiterin sein.

Trinkrunden im Exil

Die unsteten Jahre im Exil und die Freundschaft mit Stefan Zweig hat Volker Weidermann 2014 in seinem Buch "Ostende 1936 - Sommer der Freundschaft" meisterhaft beschrieben. Aber auch Singer gelingt es, die Atmosphäre der Eifersüchteleien und der Verzweiflung einzufangen. Denn die Autoren in Roths Trinkrunden haben nach Hitlers Machtergreifung und dem Anschluss Österreichs nicht nur Heimat und Hoffnung verloren, sondern auch den Markt für ihre Bücher, um die sie dennoch weiter ringen.

Die Münchner Autorin Lea Singer alias Eva Gesine Baur hat ein Buch über Joseph Roth und seine Geliebte Andrea Manga Bell verfasst.
Die Münchner Autorin Lea Singer alias Eva Gesine Baur hat ein Buch über Joseph Roth und seine Geliebte Andrea Manga Bell verfasst. © imago stock&people

Roth, der in seinen ersten Wiener Wochen zur Wohnung des damals schon erfolgreichen Stefan Zweig pilgerte, diesen aber nicht antraf, ist zwei Jahrzehnte später der Mittelpunkt der Runden und gilt allen - Zweig eingeschlossen - als das größte erzählerische Talent.

Doch weder Manga Bell kann ihn vor seiner systematischen Selbstzerstörung retten, noch Irmgard Keun, die nach 1936 zwei Jahre an Roths Seite verbringt, ehe sie ihn verlässt und er in wehleidigen Briefen Manga Bell zu einer Rückkehr bewegt.

Aber es ist alles zu spät: Ernst Toller hat sich im New Yorker Exil das Leben genommen, fünf Tage später, am 27. Mai 1939, stirbt Roth im Alter von 44 Jahren in einem Pariser Armenkrankenhaus. Und Friedl Roth wird 1940 ein Opfer der Nazi-Euthanasie.

Jan Koneffke: "Im Schatten zweier Sommer" (Galiani, 298 Seiten, 24 Euro), Lea Singer: "Die Heilige des Trinkers" (Kampa, 302 Seiten, 24 Euro). Lea Singer liest am Sonntag, den 17. März um 17 Uhr im Jüdischen Gemeindezentrum am St.-Jakobs-Platz aus ihrem Buch. Karten über das Literaturhaus.

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