Zum 80. von Bob Dylan: Jede Menge neuer Lesestoff
Über manche historische Figuren gibt es ja mehr Bücher, als ein Mensch in seinem Leben lesen könnte. Bei Bob Dylan ist es noch nicht ganz so weit, doch die Sekundärliteratur ist schon zu seinen Lebzeiten nicht ganz leicht zu überschauen. Und anlässlich des 80. Geburtstags am Pfingstmontag sind natürlich einige Bände hinzugekommen.
18 Persönlichkeiten bringen ihre Verehrung zum Ausdruck
Etwa das Interviewbuch "Forever Young. Unsere Geschichten mit Bob Dylan" von Stefan Aust und Martin Scholz (Hoffmann & Campe, 288 Seiten, 22 Euro). Die Journalisten geben 18 bekannten bis weltberühmten Menschen die Gelegenheit, ihrer Verehrung für Dylan Ausdruck zu verleihen.
Darin dürfte auch deren einzige Gemeinsamkeit liegen: Denn was sonst verbindet wohl Patti Smith mit Ursula von der Leyen, Robert Plant mit Otto Schily, Carla Bruni mit Reinhold Messner?
Pete Townsend und Bob Dylan: Sprach- und Hilflosigkeit
Bei so gut wie allen Gesprächen mit Berufspolitikern, Bergsteigern und Schauspielerinnen muss man an Karl Valentin denken: Es ist über Bob Dylans Großartigkeit schon alles gesagt, nur noch nicht von allen. Nun eben noch von einigen mehr.
Umso interessanter sind die Interviews mit den Rock-Schwergewichten, die eben nicht nur als Fans, sondern auch als Kollegen und Kumpel erzählen können. So schildert der höchst eloquente Pete Townshend die Sprach- und Hilflosigkeit, die seine Gespräche mit dem Literaturnobelpreisträger seit fünfzig Jahren prägen.
Gene Simmons und Bob Dylan: Schockstarre
Zugänglicher war Dylan für Gene Simmons: Der Kiss-Spaßrocker fragte in den Neunzigern dessen Manager keck, ob Bob nicht mal einen Song mit ihm schreiben würde. Und verfiel in Schockstarre, als Dylan umgehend zurückrief und ankündigte, morgen vorbeizukommen.
Elvis Costello wiederum erzählt von den Spielchen, die Dylan bei einem Live-Duett mit ihm trieb: Eine Strophe lang sang er bei "Tears of Rage" gar nicht, dann eine andere Textfassung als bei der Probe - und hatte großen Spaß daran, wie Costello ins Schwitzen geriet. Das Spannende an all diesen Interviews: In jeder Schilderung wirkt Dylan komplett anders.
Auch Niedecken hat über Dylan geschrieben
Befragt wurde selbstredend auch Wolfgang Niedecken, Deutschlands bekanntester Fan, der eine seiner Töchter nach Dylans Song "Isis" benannte. Er hat aber auch ein eigenes Buch herausgebracht, den Reisebericht "Wolfgang Niedecken über Bob Dylan" (Kiepenheuer & Witsch, 226 Seiten, 14 Euro, auch als Hörbuch bei Argon, 10 Euro): 2017 machte sich Niedecken mit einem Filmteam auf den Weg nach Amerika, um Dylans Spuren zu erkunden.
Man folgt dem sympathischen Kölner gern auf dieser Reise: nach Washington, wo der junge Dylan 1963 mit Joan Baez sang, bevor Martin Luther King seine "I Had A Dream"-Rede hielt; ins New Yorker Greenwich Village, das heute derart gentrifiziert ist, dass ein Folk-Sänger schon Erfolg Dylan'schen Ausmaßes haben müsste, um sich eine Wohnung leisten zu können; nach Duluth und Hibbing, die Heimatorte im nördlichen Minnesota, die nur wenig mit ihrem großen Sohn anzufangen wissen; nach New Orleans, wo Dylan 1989 mit Daniel Lanois "Oh Mercy" aufnahm und wieder zu alter Größe fand; und an die Westküste, wo Niedecken schließlich ein Konzert des leibhaftigen Dylan in einem albtraumhaften Casino-Komplex erlebt.
Zwischendrin schweifen Niedeckens Gedanken immer wieder in alte Zeiten, und man erfährt mehr über ihn als über Dylan, aber das macht das Buch nicht weniger charmant und unterhaltsam.
Die beste Pointe hat mit keinem von beiden zu tun: Da erzählt ein kerniger Krabbenfischer aus Delacroix, Louisiana, seinem Gitarre-zupfenden Besucher, dass schon mal ein freundlicher Musiker mit seinem Wohnmobil da war und mit ihm einen Joint geraucht habe. Er könne sich aber partout nicht an dessen Namen erinnern. Seine Frau kann auf Nachfrage aushelfen: "Na klar, Paul McCartney!"
Maik Brüggemeyer: Literarische Hommage an Bob Dylan
Eine literarische Hommage an den Jubilar zum Achtzigsten ist "Look Out Kid. Bob Dylans Lieder, unsere Geschichten" (Ullstein, 272 Seiten, 18 Euro), herausgegeben von dem "Rolling Stone"-Redakteur und versierten Dylan-Kenner Maik Brüggemeyer. In den Kurzgeschichten, Reiseberichten, Reportagen und Autofiktionen seiner Autoren spielt Dylan eine unterschiedlich große Rolle.
In Frank Goosens Erzählung, einem kleinen Zeitporträt der Siebziger Jahre, steht lediglich das Album "Bringing It All Back Home" im Regal des langhaarigen Studenten, der ins Haus des kleinen Ich-Erzählers zieht und von dessen Vater wegen Frisur und Tätigkeit verdächtigt wird, ein "Bombenleger" zu sein.

Musiker des Münchner Trikont-Labels schreiben Texte für Anthologie
Bei Stefan Kutzenberger spielt Dylan eine kleine, aber wichtige Nebenrolle: Der österreichische Autor erspinnt einen höchst subtilen Ehekrieg zwischen "Notting Hill"-Drehbuchautor Richard Curtis und dessen Frau Emma Freud, Urenkelin des großen Sigmund, und kreuzt dabei feinsinnig RomCom-Schmonzetten, Psychoanalyse, Sprachtheorie und Dylan'sche Biographiedetails.
Auch zwei Musiker des Münchner Trikont-Labels haben Texte für die Anthologie geschrieben, Bernadette La Hengst und Eric Pfeil: Der befragt in einem Interview seine gemeinsame Tochter mit Charlotte Roche, Polly Roche, ob er ihr "das Leben versaut" habe, als er sie als 12-Jährige mit Dylan anfixte. Zur Erzählfigur wird dieser bei Michael Köhlmeier, der Schachpartien zwischen Dylan und Weltmeister Bobby Fischer ersinnt, und bei Tom Kummer, der im Jahr 2000 mit seinen erfundenen Star-Interviews im SZ-Magazin für einen der größten deutschen Medienskandale gesorgt hatte.
Im Zentrum seiner ins Jahr 1965 verlegten Fiktion stehen Manager Albert Grossman und dessen Frau Sally, die sich anlässlich der Aufnahme von "Ballad Of A Thin Man" höchst besorgt über Dylans künstlerische und menschliche Entwicklung zeigt.
"Am wichtigsten war es mir immer, Musiker zu sein"
Apropos Fiktion: Der junge Dylan erfand bekanntlich viele Geschichten, die romantischer und wilder klangen als seine Mittelschichts-Biographie, zum Beispiel, dass er mit einem Jahrmarkt durch die Lande gezogen war. Im Wortlaut nachlesen kann man das in "Bob Dylan: Ich bin immer nur ich selbst, wer immer das ist. Gespräche aus sechzig Jahren" (Kampa Verlag, 352 Seiten, 24 Euro), herausgegeben von Deutschlands bekanntestem Dylan-Forscher, dem Literaturwissenschaftler Heinrich Detering.
In den Interviews seit den Siebzigern war es mit den Rollenspielen längst vorbei, über den wahren Menschen und seine Haltungen erfährt man dennoch nicht übermäßig viel. Denn zeit seines Lebens ließ sich Dylan auf viele Fragen nicht ein. Mal sind seine Antworten lässig, witzig und originell - oft aber auch ausweichend, mehrdeutig, kryptisch oder einfach nichtssagend.
Spannend sind die Gespräche aber stets dann, wenn es um Musik geht, wenn Dylan über seine eigenen Songs spricht oder sein enzyklopädisches Wissen über die amerikanische Musik ausspielt. "Am wichtigsten war es mir immer, Musiker zu sein", sagte der spätere Literaturnobelpreisträger in einem Interview 1991. Man kann daraus wohl auch ableiten: Wenn man sich zu Ehren seines 80. Geburtstags in diese oder andere Bücher über den Jahrhundertkünstler vertieft, sollte man parallel unbedingt seine Alben hören.