William Boyd: Herzschmerz in Dantes Stadt

William Boyd rollt in "Der Romantiker" ein an Abenteuern überreiches Leben im 19. Jahrhundert auf
von  Volker Isfort
Der schottische Schriftsteller William Boyd
Der schottische Schriftsteller William Boyd © Foto: Rolf Vennenbernd/dpa

Nein, man muss William Boyd nicht trauen. Der Mann, der 1998 gemeinsam mit David Bowie die New Yorker Kunstwelt narrte, indem er den angeblichen Picasso-Freund Nat Tate erfand und ausstellte, schreibt im Vorwort seines neuen Romans von einem Fund, den er gemacht hat: rund 100 Seiten einer aufgegebenen Autobiografie von Cashel Greville Ross (1799 - 1882), dazu ein paar Briefe, Karten, Fotos und persönliche Erinnerungsstücke.

Boyd also hat in seinem neuen Buch "Der Romantiker" das wahre Leben des Cashel Greville Ross (wie es im Untertitel heißt) aus dem gefundenen Material als Roman aufbereitet. Aber ganz offensichtlich ist dies nur eine literarische Wahrheit.

In seinen besten Romanen wie "Die neuen Beknntnisse", "Eines Menschen Herz" oder "Brazzaville Beach" hat der 1952 in Ghana geborene Schotte die fiktive Biografie zu einer eigenen Kunstform erhoben, mit "Der Romantiker" knüpft Boyd nahtlos an seine alte Klasse an. Das überpralle Lebenspanorama des Cashel Greville Ross beginnt mit seinem Leben als Waisenjunge in der irischen Provinz, wo er bei seiner Tante aufwächst, die schließlich mit einem verheirateten Mann nach Oxford zieht. Als sich für Cashel als Teenager die familiäre Lebenslüge entschleiert, sucht er sein Heil in der Flucht. Und er landet dort, wo für die meisten Streuner in der Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts das Abenteuer startete: in der Armee. So gerät Cashel 1815 im britischen Heer nach Waterloo, wird zwar verwundet, aber noch sehr lange von dem Ruhm zehren, an Napoleons letzter Schlacht beteiligt gewesen zu sein.

Die schwerwiegendste Verletzung seines Lebens aber ereilt den Romantiker - nach einer Militärzeit in Indien - in Italien. Hier macht er die Bekanntschaft mit Lord Byron und den Shelleys (Thema von Boyds nie abgeschlossener Doktorarbeit) und verliebt sich unsterblich in die - natürlich verheiratete - Contessa Raphaela Rezzo. Ein geheimes Liebesspiel beginnt in Dantes Geburtsstadt Ravenna, bis ein fürchterliches Missverständnis die Entflammten trennt und dem tragischen Helden klar wird, dass ohne Raphaela sein Leben ruiniert ist.

Cashel Greville Ross wird in England als Autor Erfolge feiern und Erfahrungen mit dem eitlen Literaturbetrieb und korupten Verlegern sammeln, ehe ihn Boyd auf große Abenteuer und auf zwei weitere Kontinente schickt.

Mit großem erzählerischem Atem gestaltet Boyd seinen tragischen Helden, der ein paar Mal fällt und wieder neu anfangen muss und dabei lernt, worauf es im Leben wirklich ankommt. "Der Romantiker" ist ein ausgesprochenes Lesevergnügen.

William Boyd: "Der Romantiker" (Kampa Verlag, 624 Seiten, 21.99 Euro)

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