Wie München Franz Kafka feiert

Ein dumpfer Fall, Verwirrung im Saal, man trug eine ohnmächtige Dame hinaus", schrieb Max Pulver Jahrzehnte später über die Lesung des Schriftstellers Franz Kafka. "Zweimal noch streckten seine Worte Ohnmächtige nieder. Die Reihen der Hörer und der Hörerinnen begannen sich zu lichten. Manche flohen im letzten Augenblick, bevor die Vision des Dichters sie überwältigte. Niemals habe ich eine ähnliche Wirkung von gesprochenen Worten beobachtet."
Franz Kafka, an dessen 100. Todestag heuer vielfach erinnert wird, hatte keine starke Beziehung zu München. Aber er ist hier öffentlich aufgetreten: Am 10. November 1916 las er in der Galerie Hans Goltz am Odeonsplatz seine noch unveröffentlichte Erzählung "In der Strafkolonie" vor höchstens 50 Hörern, darunter Kafkas Verlobte Felice Bauer, die eigens aus Berlin angereist war. Auch Rilke war sehr wahrscheinlich anwesend. Dass damals wirklich Menschen in Ohnmacht gefallen sind, ist unwahrscheinlich: Zeitgenössische Zeitungsberichte schweigen darüber.
Ausstellungen, Konzert, Lesungen
Wie dem auch sei: Kafka wird in München ausführlich gefeiert - im Rahmen des Projekts "Kafka 2024", bei dem sich deutsche, österreichische und tschechische Institutionen vernetzt haben, um Ausstellungen, Diskussionen, Lesungen, Vorträge und Konzerte gemeinsam zu organisieren. Noch bis zum 11. Februar beschäftigt sich eine Ausstellung in der Villa Stuck mit der Wirkmacht des Schriftstellers auf die Bildende Kunst. Auszüge auf dem Comic-Klassikers "Kafka für Anfänger" von Robert Crumb und David Zane Mairowitz führen unterhaltsam wie informativ in die jeweilige Thematik ein. Von dieser Ausstellung geht der Tanzabend "Kafka:1924" von Marie Stockhausen (Choreografie) und Norbert Zehm (Musik) aus, der am 11. Februar in der Villa Stuck zu sehen ist.
Das tschechische Musikprojekt "Kafka Band" um den Schriftsteller Jaroslav Rudiš und den Comic-Zeichner und Sänger Jaromír 99 eröffnet am 17. Januar im Literaturhaus mit dem literarisch-musikalischen Konzert "Der Prozess" das Gedenkjahr. Zur Einstimmung stellt der Zeichner und Autor Nicolas Mahler seine Comic-Biografie "Komplett Kafka" sowie seinen Band "Kafka für Boshafte" (beide bei Suhrkamp) vor. Er setzt auf pointierte Weise Kafkas Leben und Werk in Szene und würdigt dabei auch dessen komische Seite.
Mit Partizipation
Mit einer Intervention des Künstlers Sebastian Jung erinnert das Jüdische Museum München an Franz Kafkas Schwestern Elli, Valli und Ottla, die ab 1942 in deutschen Vernichtungslagern ermordet wurden. Ihre heute vergessenen Biografien stehen stellvertretend für die Auslöschung des deutschsprachigen Prager Judentums, als dessen Symbolfigur ihr Bruder heute gefeiert wird.

Ab 27. Januar zeigt das Residenztheater eine Bühnenfassung des unvollendeten Romans "Das Schloss" in der Regie von Karin Henkel. Am 3. Februar verplaymobilisiert Michael Sommer im Showroom der Stadtbibliothek im Motorama Romane und Erzählungen des Schriftstellers, und und zwar mit Musik und - laut Ankündigung - "echter Publikumspartizipation".
Am 7. März liest Antje Rávic Strubel im Literaturhaus aus Kafkas Briefen an Felice Bauer. Am 9. April unternimmt das Prager Performance-Kabarett "Das Thema - To téma" im Saal X des Gasteig HP8 den Versuch, sich Kafkas Texten mit jener Ernsthaftigkeit zu nähern, bei der einem das Lachen im Hals stecken bleibt, um das Publikum zum Nachdenken über den eigenen Blick auf Kafka und sein Werk anzuregen.
Lesenacht zu "Der Prozess"
"Jemand mußte Josef K. verleumdet haben": So lautet ein Romananfang, den jeder kennt. Der Kafka-Biograf Rainer Stach hat einen Kommentar zu "Der Prozess" geschrieben. Wer den Roman noch einmal liest und mitbringt, darf sich am 6. Mai im Literaturhaus auf neue Einsichten freuen. Dem Roman ist am 14. Juni außerdem eine Lesenacht im Gasteig HP8 gewidmet.
Einen Tag später lesen dort Wiebke Puls und Max Simonischek aus Kafkas Werken. Der 100. Todestag am 3. Juni scheint bisher veranstaltungsfrei zu sein. Und wird an die legendäre Münchner Lesung von 1916 gar nicht erinnert? Doch: Die Villa Stuck widmet ihr in der aktuellen Ausstellung eine Vitrine, weil die grausame Erzählung "In der Strafkolonie" besonders anregend auf die Bildende Kunst gewirkt hat. Und außerdem gab es bereits eine Lesung im Rahmen von "Kafka 2024": Sie fand schon am 2. Dezember im Habibi Kiosk der Kammerspiele statt.
Infos zum Kafka-Jahr in München und anderswo auf der Website kafka2024.de