Kritik

Pflichtlektüre für aufgeklärte Patrioten: "Das Land der Bayern"

Das Buch des Historikers Bernhard Löffler beschreibt, wie Bayerns Identität geschaffen wurde
von  Robert Braunmüller
Das Motiv der Wallfahrtskirche St. Johann bei Raisting mit den Antennen der Erdfunkstelle wurde durch ein Wahlplakat der CSU aus dem Jahr 1972 zum Symbol der Harmonie aus Tradition und Fortschritt im modernen Bayern.
Das Motiv der Wallfahrtskirche St. Johann bei Raisting mit den Antennen der Erdfunkstelle wurde durch ein Wahlplakat der CSU aus dem Jahr 1972 zum Symbol der Harmonie aus Tradition und Fortschritt im modernen Bayern. © imago stock&people

Entweder hat sich die Gegend um Gaza in den vergangenen 200 Jahren verändert. Oder womöglich die Umgebung von Regensburg. Herzog Maximilian in Bayern - bekannt als Zitherspieler und Vater der österreichischen Kaiserin Elisabeth - zog 1838 jedenfalls auf seiner Orientreise diesen landschaftlichen Vergleich. Er glaubte sich beim Anblick Gazas und der "wahrhaft reizenden Gebirge Judäas "einen Augenblick im bayerischen Vaterlande, so wie überhaupt der Charakter des Ganzen mich an Gegenden Deutschlands mahnte", weil sich dort "überall Olivenbäume und wilde Feigen" zeigten.

Bernhard Löffler, Professor für Bayerische Landesgeschichte an der Universität Regensburg.
Bernhard Löffler, Professor für Bayerische Landesgeschichte an der Universität Regensburg. © picture alliance/dpa

Der in Regensburg lehrende Historiker Bernhard Löffler zitiert diese Passage in seinem Buch "Das Land der Bayern" als Beleg dafür, dass man vor allem sieht, was man sehen will. Und das ist bei einem Herzog, der dem "alten Vater Nil" zu Ehren einen Walzer komponierte und ihn auf dem Schiff gemeinsam mit dem ihn begleitenden Zithervirtuosen spielte, jetzt nicht ganz so überraschend.

Querschnitte durch die Geschichte des modernen Bayern

Löfflers Buch beschäftigt sich mit dem Wandel der Bayern-Bilder von 1800 bis zur Gegenwart. Die politische Geschichte des Wandels von der Monarchie zur Demokratie mit allen ihren Verwerfungen setzt er in Grundzügen als bekannt voraus, was aber niemand daran hindern dürfte, seinen aufschlussreichen Querschnitten durch die Geschichte des modernen Bayern zu folgen.

Markus Söder (CSU) und die damalige Bundeskanzlerin auf dem Weg zur Insel Herrenchiemsee.
Markus Söder (CSU) und die damalige Bundeskanzlerin auf dem Weg zur Insel Herrenchiemsee. © picture alliance/dpa/dpa/Pool

Eingangs weist Löffler auf die wohlbekannte, von Außenstehenden gern vergessene Tatsache hin, dass Bayern nicht nur aus dem Voralpenland besteht. Auch das erst nach 1800 im Gefolge der napoleonischen Kriege hinzugekommenene fränkische Neubayern wird angemessen berücksichtigt, selbst die 1946 ausgeschiedene Pfalz hat der Autor nicht vergessen.

Bei der Entstehung dieses modernen Bayern arbeiteten Kartographen und Verkehrsplaner eng zusammen. Löffler skizziert die Bedeutung der Eisenbahn, die Städte wie Wasserburg abwertete und Orte wie Rosenheim als Verkehrsknotenpunkten aufwertete. König Ludwig I. beschrieb die moderne Mobilität in einem Gedicht als Vernichtung der "Liebe des Volks" zum "Land der Geburt". Und dann blättert der Leser um und stößt verblüfft auf Edmund Stoibers Transrapid-Rede, die Löffler als durchaus vergleichbare Verwirrung eines modernen Mächtigen im Raum-Zeit-Komplex versteht.

Vom Märchenkönig zu Bhagwan

Harte, aber erkenntnisreiche Fügungen und wilde Zeitsprünge sind eine Stärke dieses Buchs, das in anderen Kapiteln Altötting mit dem Obersalzberg zusammenbringt. Oder den auf einer Weltausstellung angekauften maurischen Kiosk des sogenannten Märchenkönigs mit der Hippie-Kultur, einem "Raijneesh Meditation Centre" und dem mittlerweile zum Luxushotel mutierten Esoterik-Schlosses Elmau zwischen Garmisch und Mittenwald.

In Kloster Banz tagt nicht nur die CSU, hier ist auch Bayerns peinlichstes Museum zu besichtigen.
In Kloster Banz tagt nicht nur die CSU, hier ist auch Bayerns peinlichstes Museum zu besichtigen. © picture alliance/dpa

Vieles, was Löffler schreibt, dürfte bayerischen Patrioten längst bekannt sein: Etwa die Erfindung der angeblich so ursprünglichen Tracht als bayerisches Identitätssignal durch die Monarchie im mittleren 19. Jahrhundert, die auf einen förmlichen Befehl des Königs Max II. zur "Hebung des Nationalgefühls" zurückgeht. Aber auch hier gelingen Löffler verblüffende Einsichten: Die Trachtenmode, so der Autor, kehre wellenartig wieder: etwa in der Wiederaufbaugesellschaft oder heute als "Geborgenheitsreserve" angesichts der Globalisierung, wie der Historiker unter Berufung auf eine Formulierung von Herfried Münkler schreibt.

Aber wer weiß schon, dass der beliebte touristische Begriff "Mainfranken" historisch belastet ist und dass man unter dem Bayerischen Wald lange Zeit nur die vordere Hügelkette verstanden hat und nicht den höheren Bereich um Arber, Rachel und Lusen? Eher spezielle Themen wie die Gebietsreform und die sehr spezielle Historie der bayerischen Landesgeschichte bereitet der Autor so spannend auf, dass sie auch für Laien interessant sind. Auch die gescheiterte Wiederaufbereitungsanlage von Wackersdorf und das von Heimatschützern lange bekämpfte Walchenseekraftwerk finden ihren Platz.

Orient in Bayern: Der Maurische Kiosk im Schlosspark von Linderhof.
Orient in Bayern: Der Maurische Kiosk im Schlosspark von Linderhof. © imago/imagebroker

Ein Manko gibt es

Bedauerlicherweise leidet "Das Land der Bayern" unter einem Problem vieler Bücher von Historikern: Kultur muss stark abgehangen sein, ehe sie Geschichtswissenschaftler interessiert. Und so kommen zwar Ludwig Thoma, Ludwig Ganghofer und Lion Feuchtwanger vor. Und Herbert Achternbusch hat zwei Gastauftritte. Aber das weite Feld der Popkultur zwischen Gerhard Polt, der Biermösl Blosn und den Eberhofer-Filmen, die dem Autor brillanteste Beispiele hätten liefern können, kommt so gut wie gar nicht vor.

Wer mit dem Orient-Reisenden Herzog Max übrigens vor allem Schloss Possenhofen am Starnberger See verbindet, verkennt die gesamtbayerische Strahlkraft dieses Herrn, der seinerzeit neben drittklassigen Antiquitäten auch Sklaven mitgebracht hat, die in der Münchner Frauenkirche auf urbayerische Namen wie Karl und Georg getauft wurden. Im fränkischen Kloster Banz befinden sich die Memorabilien dieser Orientreise. Sie gelten - und für dieses Urteil braucht es keinerlei postkoloniale Strenge - als Bayerns "peinlichstes Museum".

Bernhard Löffler: "Das Land der Bayern. Geschichte und Geschichten von 1800 bis heute" (C.H. Beck, 400 S., 39 Euro)

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