Interview

Was unser Vorname über uns aussagt: "Jeder Name lebt von der Balance"

Wie wir heißen, sagt viel mehr über uns aus, als wir denken - und setzt Emotionen frei. Das sagt der Autor Joachim Schaffer-Suchomel über die geheime Kraft unserer Vornamen.
von  Rosemarie Vielreicher
Vornamen sagen viel über die Erwartungen der Eltern aus
Vornamen sagen viel über die Erwartungen der Eltern aus © imago images/Cavan Images

AZ: Herr Schaffer-Suchomel, Ihr Fachgebiet sind Vornamen und was diese über den jeweiligen Menschen preisgeben. Sie haben es gerade mit einer Rosemarie zu tun - was sagt Ihnen dieser Vorname denn zum Beispiel?
JOACHIM SCHAFFER-SUCHOMEL: Es ist ein Doppelname aus Rosa und Maria. Die Rose steht für die Liebe und für das ursprüngliche Wilde. Was ich bei Rosa, Rosemarie, Rosamunde und welche Variationen es noch gibt, immer wieder erlebe: Sie haben eine liebevolle Art. Marie steht dafür, dass sie es auf den Punkt bringt.

Autor Joachim Schaffer-Suchomel
Autor Joachim Schaffer-Suchomel © Privat

Auf welcher Grundlage beschreiben Sie Namen?
Ich beschäftige mich schon seit den 80er Jahren mit Worten und Namen und deren emotionalem Gehalt. Die traditionelle Wissenschaft untersucht nur die Entwicklung eines Wortes. Sie erforscht nicht, was ein Name in uns auslöst. Ich dagegen untersuche auch die emotionale Kraft eines Vornamens. Mir geht es dabei nicht um Esoterik oder die Überdehnung, dass in einem Namen alles abzulesen sein soll. Jeder Name hat eine kollektive und eine individuelle Bedeutung. Nicht alle Alexander sind gleich. Aber ich finde die unterschiedlichen Klänge und Gefühle, die von einem Vornamen ausgelöst werden, interessant. Ich habe dazu auf Basis von Vokalleitern den Grundbestand gelegt. Beispiele: Rosemarie etwa ist eine Melodie. Der Konsonant K wirkt dagegen kraftvoll. Klaus, Kai, Karl.

"Vornamen sagen viel über die Erwartungen der Eltern aus"

Im Untertitel Ihres Handbuches der Vornamen heißt es, was diese über den Menschen aussagen. Sagt es in erster Linie nicht erst einmal etwas über die Eltern aus, die diesen Namen ausgesucht haben?
Ja, richtig. Die Vornamen sagen viel über die Erwartungen der Eltern. Eine solche Erwartung an das Kind schwingt unbewusst mit. Ein Beispiel: Ein Bekannter von mir hat seinen ältesten Sohn Caesar genannt.

Oha. Diese Erwartung kann man ja gar nicht erfüllen.
Er ist ein Computer-Crack geworden und wirklich außergewöhnlich. Es hätte aber natürlich auch ins Gegenteil umschlagen können, dass die Erwartungen dieses Namens zu groß sind und ihn erdrücken. Auch hier ein bekanntes Beispiel: Ein Ehepaar in den USA hat ihre Söhne Winner (Gewinner) und Loser (Verlierer) genannt. Der Loser hat sich so sehr angestrengt, dass aus ihm doch etwas wird. Der Winner dagegen hat sich nicht bemüht und ist im Gefängnis gelandet.

In Ihrem Buch haben Sie auf über 700 Seiten rund 3.000 Vornamen systematisch aufgearbeitet - von Herkunft, historischen Bezügen bis hin zu Kräften und Schwächen, die damit einhergehen können. Welcher Name war besonders schwierig beim Herleiten?
Lydia zum Beispiel. Auch Claudia. Claudia heißt in diversen Lexika zufolge die Lahme, Hinkende. Ich habe lange recherchiert, im Russischen steht es für gebrochen. Eine positive Eigenschaft - es ist mir wichtig, immer einen positiven Aspekt zu finden - kann hier sein, dass Claudia mit Altem bricht und Neues angeht. Claudias haben oft eine unglaubliche Energie, sind extrovertiert.

Und die Lydia?
Ursprünglich bedeutet das Streit. Ich ziehe daraus die positive Bedeutung: Sie ist streitbar.

"Ich mag das Melodische in Namen sehr gern"

Helfen Ihre Namensforschungen auch in der Praxis?
Ich bin ursprünglich auch Pädagoge und konnte einmal in einer Schule helfen, in der Lehrer Probleme mit einem Dominik hatten. Ein Dominik oder eine Dominique gehen auf das Lateinische Dominus, der Herr, zurück. Sie wollen dominieren, gesehen und geachtet werden. Meine Empfehlung war, ihm ein Projekt zu geben, mit dem er sich zeigen und auf der Bühne stehen kann. Es ist grundsätzlich aber auch wichtig, dass der Pol und Gegenpol eines Namens in Einklang sind. Deswegen ist es für einen Dominik wichtig, zu lernen, dass er sich auch zurücknehmen kann. Jeder Name lebt von der Balance.

Kann man wirklich sagen, dass das auf alle zutrifft? Noch dazu, wenn wir gar nichts von der Bedeutung ahnen?
Es muss nicht auf jeden zutreffen. Dem Unbewussten ist es jedoch egal, ob wir etwas wissen oder nicht. Wenn wir es wissen, können wir es nutzen und darauf Einfluss nehmen, um uns selbst zu verstehen und Impulse zu setzen.

Joachim Schaffer-Suchomel, Michaela Suchomel: "Handbuch der Vornamen. Was der Vorname über einen Menschen sagt"; mvg Verlag: 736 Seiten; 15 Euro.
Joachim Schaffer-Suchomel, Michaela Suchomel: "Handbuch der Vornamen. Was der Vorname über einen Menschen sagt"; mvg Verlag: 736 Seiten; 15 Euro.

In den vergangenen Jahren waren die beliebtesten Vornamen für Babys weitestgehend gleichbleibend. Kurze Namen wie Emilia, Noah, Leon, Paul, Hanna standen etwa weit oben in der Gunst. Welche Vornamen würden Sie zur Abwechslung gern öfter hören?
Rosemarie (lacht). Also ich mag das Melodische in Namen sehr gern, das hat auch etwas mit Zeit, die man sich nimmt, zu tun. Es wird auch wieder eine Phase kommen, in der diese vielen kurzen Vornamen weniger gewählt werden - sie stehen für das Kurze und Bündige, gleichzeitig Fokussierte. Ein Blick in die Geschichte zeigt: In den 40er Jahren zum Beispiel war der Hans sehr gefragt. Der Hans, der kann's - hieß es so schön. Damals herrschte der kollektive Wunsch, dass mehr Können wieder eine Rolle spielt. Ein Jahr später kam noch Peter als beliebter Vorname dazu, was dem Wunsch nach Beständigkeit nachkam. Sieben, acht Jahre später sind diese Namen wieder verschwunden oder nur noch als Beinamen aufgetaucht.

"Also ich möchte keinen anderen Namen haben"

Der Namenstag wird hierzulande wenn überhaupt dezent gefeiert. Sollte der jeweilige Tag mehr Aufmerksamkeit bekommen und damit auch unsere Vornamen und deren Bedeutungen?
Das fände ich genial. Ich bin im Übrigen in Unterfranken aufgewachsen und dort haben wir unseren Namenstag noch ähnlich wie den Geburtstag gefeiert.

Wenn Sie die Chance hätten: Welchen Namen würden Sie sich selbst aussuchen?
Ich bin sehr zufrieden mit Joachim. Ursprünglich bedeutet er: Gott richtet auf. Ich bin tatsächlich immer wieder in großem Chaos gelandet, musste vieles wieder aufbauen und habe Schicksalsschläge erlebt. Also ich möchte keinen anderen Namen haben.


Joachim Schaffer-Suchomel, Michaela Suchomel: "Handbuch der Vornamen. Was der Vorname über einen Menschen sagt"; mvg Verlag: 736 Seiten; 15 Euro.

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