Urlaub kann den Spaß verderben

Ein Essay über den Tourismus und eine Liebeserklärung an die Autobahnraststätte Garbsen Nord können helfen, die Trauer über den ausgefallenen Osterurlaub zu verarbeiten.
Robert Braunmüller
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Kein Sehnsuchtsort, trotzdem schreibt Autor Florian Werner der Raststätte Garbsen Nord eine Liebeserklärung.
Kein Sehnsuchtsort, trotzdem schreibt Autor Florian Werner der Raststätte Garbsen Nord eine Liebeserklärung. © Sebastian Kahnert/dpa

Nach den Feiertagen, darf das Geheimnis gelüftet werden: "Ich glaube an die Wunscherfüllung im Urlaub auf ziemlich ähnliche Weise wie ich an das Christkind, den Weihnachtsmann und den Osterhasen glaube", schreibt der Historiker Valentin Groebner. In allen diesen Fällen gehe es mehr um ein Ritual und den Glauben an etwas, was es angeblich früher mal gegeben habe: saubere Berge, urige Einwohner und unberührte Traditionen.

Groebners kleines Buch "Ferienmüde. Als das Reisen nicht mehr geholfen hat" ist die ideale Lektüre für alle, die sich über den ausgefallenen Osterurlaub ärgern und nun etwas Trost brauchen. Der Autor ist zwar eigentlich Experte für die Geschichte des Mittelalters und der Renaissance. Aber er lehrt in Luzern, und da hat er den Overtourism in den engen Gassen der historischen Altstadt vor Augen. Es ist dort nicht ganz so schlimm wie in Salzburg, aber fast.

Das Bändchen verschmilzt geschickt mehrere bereits andernorts erschienene Essays zum Reisen und zum Tourismus. Sie lesen sich elegant, können einem aber ziemlich den Spaß am Urlaub verderben. Beispielsweise mit der These, das Reisen habe im Phänomen des Souvenirshops oder dem unvermeidlichen Gummibärchen auf dem Hotelkopfkissen mit dem Christkind und dem Osterhasen die Tendenz zur Infantilisierung Erwachsener gemeinsam.

Tourismus wirtschaftet parasitär

Schwerer wiegt die ökonomische These. Der Tourismus, so Groebner, wirtschaftet parasitär. Er zieht Gewinn daraus, den Zugang zu etwas zu vermarkten, das er selbst nicht produziert habe. "Die Dienstleistungsindustrie Fremdemverkehr lagert die Kosten für Erhaltung und Infrastruktur ihrer Sehenswürdigkeiten an staatliche Institutionen aus. Hotels und Souvenirshops finanzieren keine Musik- oder Theaterfestivals, geschweige denn Naturparks und Museen". Reisebüros bauen auch keine Parkplätze und Toiletten. "Und Touristen fühlten sich - im Gegensatz zu den Anwohnern - nicht für das verantwortlich, was am Ziel ihrer Wünsche nach ihrer Abreise geschieht."

Die Wahrheit dieser These beweist jeder öffentliche Mülleimer in einem Tourismushotspot. Aber Groebner beschreibt nicht nur das Grauen und die vergebliche Suche nach dem Authentischen, das zur Ware verkommt. Die Corona-Pandemie lehrte den Autor auch die Einsicht, das Schönste am Reisen sei die Vorwegnahme im Kopf, "das Versprechen, dass alle diese Mietautos, Hotelzimmer und Wellness-Slots" auf ihn warten würden.

Diesem imaginären Aspekt des Reisens widmet sich auch Florian Werners "Die Raststätte. Eine Liebeserklärung". Dem Autor dürfte es wie den meisten von uns gegangen sein: Er kann sich nicht daran erinnern, in seiner Kindheit jemals einen solchen Ort betreten zu haben, weil die Eltern belegte Brote mitnahmen und zum Tanken aus Sparsamkeit die Autobahn verließen.

Fischfreier Heringssalat 

Werner wiederholt zur Begründung eine von seinem Vater erzählte Anekdote: Der habe einmal in einer Raststätte einen Heringssalat bestellt, der fischfrei gewesen sei, worauf der Ober auf die Beschwerde schnippisch mit "Da haben Sie aber Pech gehabt" geantwortet habe. Das ist insofern bedauerlich, als Werner im Zuge seiner Recherchen feststellen musste, dass diese Geschichte noch in der Glanzzeit der Raststätten passiert sein muss, die in den Siebzigern verblasste, ehe sie nach der Privatisierung des Monopolisten "Tank & Rast" vor gut 20 Jahren unwiderruflich zu Ende ging.

Werner konzentriert sich bei seiner Recherche auf die Raststätte Garbsen Nord bei Hannover. Er wirft einen Blick ins Gästebuch, wo sich Prominente wie Herbert Wehner ("Danke für die Gastlichkeit"), Udo Jürgens und Uwe Seeler ("Im Falle solchen Falles, heißt's: Dankeschön für alles") verewigten. Der Feinschmecker Alfred Biolek dankte im April 1981 sogar für den guten Pudding.

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Auch der Betreiber, ein Flaschensammler und der Chef der örtlichen Polizeidienststelle kommen zu Wort. Der verrät das Geheimnis, dass die höchste Anzahl an Wildpinklern typischerweise Bussen auf Kaffeefahrt entsteige. Das hat wiederum Auswirkungen auf die Pflanzenwelt, wie ein Botaniker erläutert. Ein Bundestagsabgeordneter der Linkspartei öffnet den Blick hingegen einen Spaltbreit in die skandalösen Abgründe der Privatisierung von "Tank & Rast", ehe er nach einer Verstaatlichung ruft und der Autor in einer Philosophie der Sanifair-Toilette gedankliche Höhen erklimmt.

Die Raststätten im Wandel der Zeit

Ein historischer Exkurs berichtet über die heroischen Konzepte der Raststätten in der Nazi-Zeit und ihre unterschiedliche Weiterentwicklung in Ost und West. Für Stirnrunzeln mag eine Zeitzeugin sorgen, die vom Flambieren am Rand von DDR-Autobahnen berichtet. Der Autor dieser Rezension hat sich eigens bei ehemaligen Bürgern des anderen Deutschland umgehört und nur Kopfschütteln wahrgenommen. Nein, die Sache klinge unwahrscheinlich, und ohnehin habe man weder an Raststätten angehalten, noch dort gegessen.

Das bestätigt Werners Grundthese, und auch Groebner würde wohl zustimmen. Einen Sozialismus mit Raststätten, in denen vor Bildern von Marx, Engels, Lenin und Erich Honecker auf silbernen Platten aufgetragen und vorgelegt wird, schmeckt ziemlich nach Reiseprospekt.

Und man stellt sich nach unserer historischen Erfahrungen diesen Sozialismus auch besser zu Hause im Lehnstuhl lesend vor.

Valentin Groeber: "Reisemüde. Als das Reisen nicht mehr geholfen hat" (Konstanz University Press, Wallstein Verlag, 152 Seiten, 18 Euro);
Florian Werner: "Die Raststätte. Eine Liebeserklärung" (Hanser Berlin.192 Seiten, 22 Euro

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