"Unser Risiko ist unsere Freiheit": Zwei Verleger gründen nachhaltigen Kjona Verlag

München - "Schön, dass Du da bist! Wir sind Lars und Flo. Wir sind unser halbes Leben lang Freunde - und wir lieben Bücher!" So einladend empfangen Lars Claßen und Florian Keck die Besucher auf der Webseite ihres neuen Verlags Kjona, den sie als "unser größtes gemeinsames Abenteuer" bezeichnen und der "nachhaltig, neugierig und unabhängig" sein soll. Zwar gelten Verlagsgründungen als durchaus gewagte Projekte, warum sich die beiden mit Kjona aber sicher sind, erklärt Verleger Lars Claßen der AZ.
AZ: Herr Claßen, wie kam es zu der Gründungsidee eines nachhaltigen Verlags?
LARS CLASSEN: Florian Keck und ich haben uns vor gut 15 Jahren kennengelernt als Volontäre von Joachim Unselds Frankfurter Verlagsanstalt. Ich bin im Buchgeschäft geblieben, habe später bei Suhrkamp und bei dtv gearbeitet. Florian hat einen anderen Weg eingeschlagen und ist in eine Digitalagentur eingetreten. Wir sind aber enge Freunde geblieben und haben uns auch im Lockdown darüber ausgetauscht, was man aus der Situation auch positives beziehen könnte. Es ging dabei viel um Werte, private und unternehmerische und so haben wir zunächst ein theoretisches Geschäftsmodell entwickelt.
"Alles muss in den Kreislauf zurückgespielt werden"
Welche Werte meinen Sie konkret?
Auf den Verlag bezogen geht es besonders um nachhaltige Produktion, faire und gleiche Vergütung für Autorinnen und Autoren, kollaboratives Arbeiten. Wir haben alles durchkalkuliert und festgestellt, dass wir es schaffen könnten. Und dann haben wir das Projekt vom Kopf auf die Beine gestellt. Das geht nur, weil wir ein ganzes Team von Partnerinnen und Partnern haben. Den Verlagskern bilden nur Florian und ich und wir arbeiten erst einmal dezentral. Florian sitzt in Frankfurt, ich in München. Ich arbeite von Zuhause aus oder im Impact Hub in Sendling. Den Vertrieb beispielsweise übernimmt der Hanser Verlag, die Pressearbeit Kirchner Kommunikation in Berlin. Wir arbeiten exklusiv mit der Gugler Druck in Österreich zusammen, die Cradle to Cradle alles produziert.
Endloses Recycling und sparsame Ressourcen
Was bedeutet das im Buchgeschäft?
Cradle to Cradle meint ganz vereinfacht Kreislaufwirtschaft. Alles was eingespielt wird, muss später entweder in den biologischen oder den technologischen Kreislauf zurückgespielt werden. Theoretisch könnten Sie unsere Bücher - das würde ich mir allerdings nicht wünschen - in die Erde legen und sie würden vollständig ohne Schadstoffrückstände zu Erde werden. Das kann man bei Recyclingpapier beispielsweise nicht, weil sie nicht wissen können, was im Ursprungspapier drin war. Bei Cradle to Cradle können sie immer wieder ohne Qualitätsverlust recyclen und sie können auch den schonenden Umgang mit Wasser an allen Punkten der Wertschöpfungskette zertifizieren. Das Gebäude der Gugler Druck besteht zu 90 Prozent aus recyceltem Material, die versorgen sich komplett selbst. Das sind weltweit Visionäre und Pioniere auf ihrem Gebiet.
Macht Ihre Philosophie das Buch dann eher teurer oder billiger?
Weder noch, unsere Bücher sind nicht wegen der Produktion teurer. Aber alle Autorinnen und Autoren bekommen die gleiche Beteiligung, und zwar höher als sonst marktüblich: zwölf Prozent ab dem ersten verkauften, nicht-remittierten Exemplar auf den Ladennettopreis.
Ist Nachhaltigkeit auch inhaltlich das zentrale Thema bei Kjona?
Nein, wir sind ja nicht der Umweltverlag. Tatsächlich findet sich im ersten Programm gar kein Buch zum Thema Nachhaltigkeit. Wir sind ein nachhaltiger Verlag für Literatur und Sachbuch.
"Wir haben kein Buch zum Thema Nachhaltigkeit im Programm"
Lange galt der Spruch, dass eine Verlagsgründung die schnellste Art sei, Geld zu verlieren. Haben Sie potente Geldgeber im Rücken?
Wir haben keine stillen Teilhaber im Hintergrund, wir wollen unbedingt unabhängig sein. Unser Risiko ist unsere Freiheit. Aber natürlich benötigen wir Startkapital. Wenn man ein Darlehen für ein nachhaltiges Startup aufnimmt, kann man allerdings schlecht zur Deutschen Bank gehen. Es gibt in dem Bereich in Deutschland nur die GLS Gemeinschaftsbank.
Der Name Kjona klingt so, als habe eine Wortfindungsagentur für ein asiatisches Mittelklasse-E-Auto einen Namen gesucht.
Nein, den Namen haben wir uns selber ausgedacht. Wir wollten einen Namen finden, der möglichst noch keine Assoziationen weckt, sondern eine Marke schaffen, die nach und nach für sich selbst steht.
Das Remissionswesen, also das Zurückschicken nicht verkaufter Bücher der Buchhandlungen an die Verlage, ist natürlich ein ökologisches Problem auf dem Buchmarkt.
Wenn wir es schaffen, dass die Buchhändlerinnen die Bücher, die sie von uns nicht verkaufen, die sie normalerweise an die Verlage zurückschicken, zurück an die Druckerei senden, dann könnten wir aus den Büchern neue Bücher machen. Das wäre dann wirklich ökologisch, aber es ist auch noch ein bisschen Utopie.
Nicht so grüne E-Books
Sind nicht eigentlich E-Books von sich aus die ökologischere Lösung?
Das einzelne E-Book, das auf Ihrem Reader liegt, hat mutmaßlich nicht so viel Energie verbraucht wie die Produktion eines Buches. Aber das Gerät hat natürlich signifikant mehr Ressourcen verbraucht in der Herstellung. Und vor allem wissen wir gar nicht, auf welchen Servern die E-Books gelagert werden, wie sie gekühlt werden, mit welcher Energie und wer dafür in welchem Land Steuern zahlt, oder dies vermeidet.
Wann starten Sie mit ihrem ersten Programm?
Unser erster Titel ist Dana Spiottas Roman "Unberechenbar". Er erscheint am 23. Januar und handelt von einer Frau, die mit Mitte Fünfzig radikal ihr Leben ändert und sich neu sortiert. Unser erstes Frühjahrsprogramm umfasst insgesamt fünf Titel.