Kritik

"Treue" von Hernan Diaz: Vier Versionen einer Story

Was bleibt von Liebe und Investment? Das untersucht Hernan Diaz in seinem neuen Roman "Treue".
von  Roberta de Righi
Der Schriftsteller Hernan Diaz.
Der Schriftsteller Hernan Diaz. © Pascal Perich

Im Vergleich zu Jay Gatsby muss man sich Andrew Bevel als glücklichen Menschen vorstellen. Die Hauptfigur in Hernan Diaz' zweitem Roman "Treue" ist viel reicher als Fitzgeralds' Großer Gatsby und er heiratet seine große Liebe.

Diaz' faszinierende Grundidee ist, von zwei seltsamen Obsessionen zu erzählen: Es geht um Liebe – und Investment. Bei beiden liegen Vernunft und Verrücktheit, Erfolg, Verlust und Absturz nahe beieinander. In den USA wurde sein Buch allseits in den höchsten Tönen gepriesen, die Verfilmung mit Kate Winslet beschlossen. Mit dementsprechendem Getöse wurde "Treue" auf den deutschen Markt geworfen. Leider gibt der Titel im Deutschen nicht alles wieder, was darin steckt: Das englische "Trust" bedeutet eigentlich Vertrauen – und führt zudem direkt in den Finanzsektor.

Roman spielt in den USA der Zwanziger Jahre

Diaz' Roman-Palimpsest entfaltet sich in vier Zeit-Schichten und Perspektiven: Unter dem Titel "Verpflichtungen" erzählt der erste Teil die Lebensgeschichte des New Yorker Investors Benjamin Rask und seiner Frau Helen nach; ohne Sympathie, aber mit dem Willen zur Genauigkeit eines naturalistischen Gemäldes. Dass das Ganze ein Schlüsselroman eines Buch-im-Buch-Autors über den echten Rask – Andrew Bevel – sein soll, klärt sich im zweiten Teil.

Den historischen Rahmen dafür bieten die USA der Zwanziger Jahre bis zum großen Crash – eine Zeit, in welcher der wohlhabende Andrew Bevel durch nüchterne Marktbeobachtung, breite Investments, gigantische Leerverkäufe und perfektes Timing sagenhaft reich wird.

Die zweite Version der Story stammt von Bevel selbst, der einiges richtigstellen will und – hier wird der Mann des Geldes menschlich – in höchsten Tönen seiner geliebten Frau und Muse Mildred huldigen: ein Wesen nicht von dieser Welt. Dem Wahren, Guten und Schönen verschrieben, tat sie als Mäzenin und Wohltäterin mit seinem Geld unendlich Gutes.

Er erklärt aber auch die Gesetze des Marktes, offenbart das "Geheimnis" seines Erfolges an der Wall Street – und seine eigenwillige Selbstsicht als Philantrop und gar Retter der US-Wirtschaft. Dass er so etwas wie eine Moral in seine an sich amoralischen Transaktionen legt, ist das Interessanteste an der Figur. Charakteristisch für diese Memoiren sind die teils stichpunktartigen Aufzeichnungen mit unvollendeten Notizen, geprägt von mühsamem Ringen um innere Wahrhaftigkeit.

Absichtsvoll verrutschen Fiktion und Wirklichkeit

"'Wenn man fünfzig Milliarden Ein-Dollar-Scheine aneinanderlegt, kommt man zehnmal bis zum Mond. Und zurück.' Mich verblüffte nicht diese absurde Kalkulation. Sondern Bevel selbst. Bisher hatte er noch nie so etwas Albernes gesagt." Diese dritte Stimme gehört der jungen Ida Partenza, Tochter eines Kommunisten, die Schriftstellerin werden will, und von Bevel als Ghostwriterin engagiert wird. Sie lernt seine Version von Mildred kennen, ohne die echte je zu Gesicht zu bekommen.

Ida ist endlich ein echter Mensch, deren schicksalhafte Erlebnisse eine weitere Erzählebene eröffnen. Während die ersten beiden von Männern verfassten Versionen von Distanz geprägt sind, wirken die Figuren hier nahbar. Dies ist der schillerndste und tiefgründigste Teil von "Treue", in dem die Charaktere plastisch werden – und Diaz absichtsvoll Fiktion und Wirklichkeit verrutschen lässt.

Der vierte und letzte Teil besteht schließlich aus Mildreds Aufzeichnungen, auf die Ida im Laufe ihrer Recherchen stößt. Hier versetzt sich der Autor in die Seelenlage einer todkranken Frau, und sucht Worte, die ihre letzten Wochen charakterisieren sollen: Gefühle und Spiritualität im Angesicht des Todes. Heraus kommt dabei ein Sterbens-Kitsch.

Der unbedingte Wille zum Geniestreich

So kunstvoll ineinander führend "Treue" aufgebaut ist, so sehr krankt das Buch an seinem Konstrukt: Teil eins, der "Roman" im Roman, hat weder Herzblut noch Humor und – es handelt sich ja um das Werk eines drittklassigen Schriftstellers – weder Spannung noch Rhythmus. Aber um sich für die darin umrissene Biografie zu interessieren, müsste einen irgendetwas packen. Das Vertrauen des Autors in die Neugier des Publikums, dass dies nicht alles gewesen sein kann, ist groß.

Bleibt die Frage: Was will uns der Künstler damit sagen? Warum hat Hernan Diaz diesen geschliffenen und anspielungsreichen Roman geschrieben; in der Form ambitioniert, aber nicht innovativ, im Stil altmeisterlich? Weil er es kann. Er führt uns sein Kunststück vor. Er zeigt, dass er diverse Erzähltemperaturen von kühl bis schwelgerisch beherrscht. Eine tiefere Wahrheit steckt nicht darin – am Ende bleibt der unbedingte Wille zum Geniestreich.


Hernan Diaz stellt "Treue" (Hanser, 411 Seiten, 27 Euro) am 15. September um 19 Uhr im Literaturhaus vor

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