Kritik

Thoman Mann im Mekka der Schwindsüchtigen

Norman Ohler blickt in seinem Buch "Der Zauberberg, die ganze Geschichte" auf das, was in Davos geschah.
von  Volker Isfort
Volker Isfort
Volker Isfort © Imago

Die Thomas-Mann-Gemeinde darf gelassen bleiben: Der Berliner Autor Norman Ohler verspricht zum hundertsten Geburtstag des Romans zwar die ganze Geschichte des Zauberbergs, doch der vollmundig von Maxim Biller auf dem Buchumschlag angekündigte Denkmalsturz findet nicht statt. Er war ohnehin von Ohler nicht beabsichtigt.

In einer etwas dürren, aber unterhaltsamen Rahmenhandlung reist ein Berliner Autor mit seiner pubertierenden Tochter, deren Freundinnen und Eltern nach Davos und nistet sich für vier Tage im ehemaligen Sanatorium, dem Hotel "Schatzalp", ein. Die 270 Franken pro Nacht kann er sich eigentlich nicht leisten. Der Flug nach Zürich hat auch sein CO2-Konto über Gebühr belastet, aber das Hotel erinnert an den fiktiven "Berghof" in Thomas Manns Roman, der passenderweise auch in der Schublade des Nachttischschränkchens liegt.

Katja braucht eine Pause von Thomas 

Eigentlich will sich der Autor über eine unglückliche Liebe klar werden, aber beim Schmökern im Roman entdeckt er sein Interesse an Davos und begibt sich ins örtliche Archiv. Denn wenn er selbst ein Buch über Davos verfasst, sinniert er, könnte er doch die Reise als Recherche absetzen. Diese Sorgen hatte Thomas Mann nicht, als er am 15. Mai 1912 in Davos eintraf, wo sich Ehefrau Katja behandeln ließ.

Die Schatzalp oberhalb von Davos.
Die Schatzalp oberhalb von Davos. © Verena Wolff/dpa

Im wahren Leben hat Ohler die Geschichte von Davos und seinen prominenten Gästen natürlich nicht in vier Tagen recherchiert und er nimmt den Leser zu Beginn mit in die Mitte des 19. Jahrhunderts als der Medizinstudenten Alexander Spengler, Flüchtling der Märzrevolution, im bettelarmen Bergkaff entdeckt, dass dort niemand an Tuberkulose leidet.

Es brauchte nur noch mutige Investoren für Hotels und Sanatorien, einen folgenreichen Artikel von Arthur Conan Doyle über das noch nahezu unbekannte Skifahren und die Anbindung von Davos per Bahn an die Zivilisation und schon kamen die Gesundheitstouristen ins 1878 selbst ernannte "neue Mekka der Schwindsüchtigen".

Kein Beweis für einen Nutzen der Bahandlung 

Zwar konnte auch ein später gegründetes Institut nie wissenschaftliche Beweise für eine bessere Heilung in Davos liefern. Aber was lange Jahrzehnte überzeugte, war die Kraft der Heilungsfiktion.

Katja Mann war ohnehin nicht schwindsüchtig, eher vom Ehe-Burn-out geplagt und offen für einen mehrmonatigen Abstand zu Mann und Familie. Ohler zeigt, wie ähnlich Romananfang und Thomas Manns Besuch verliefen und moniert, der Autor habe nie gewürdigt, wie zentral Katjas Rolle für den "Zauberberg" war. Schließlich belieferte sie den Gatten auch nach dessen Abreise mit detaillierten Schilderungen der skurrilen internationalen Gäste.

Da der Zauberberg aber von Germanisten und Mann-Spezialisten besetzt ist, schweift Ohlers Blick auf Davos, wo auch der Dichter Klabund Heilung suchte und den Tod fand. Zuvor hatte er mit "Die Krankheit" (1917) seinen Davos-Roman verfasst, der einige Parallelen mit dem sieben Jahre später erschienenen "Zauberberg" aufweist. "Ob Thomas Mann bei ihm abgeschrieben hat, bleibt Spekulation", schreibt Ohler vorsichtig.

Ein Nazi, der das Gift in Davos verbreitete

Der interessanteste Teil von Ohlers Buch ist ohnehin die Spiegelung des internationalen Zeitgeistes mit dem Leben in der Höhe, die auch hier bald verpestet wurde. Wilhelm Gustloff, Nazi-Parteimitglied der ersten Stunde, gelang es den Ungeist auch in Davos zu verbreiten, Ortsgruppen und einen Art Überwachungsstaat für deutsche Staatsbürger in der Schweiz aufzubauen. Auf seinen Druck hin konnte Erika Manns Kabarett "Pfeffermühle" nicht in Davos auftreten.

Die Schweizer Behörden kuschten vor seinem Einfluss, deutsche Touristen waren als Wirtschaftsfaktor viel zu wichtig. Nur ein Verzweifelter wehrte sich gegen den auch von Gustloff propagierten Judenhass: Der jüdische Student David Frankfurter erschoss Gustloff am 4. Februar 1936 in Davos.

Im letzten Abschnitt dieses sehr lohnenswerten Hybrids aus Sachbuch und Roman setzt sich Ohler mit dem Weltgipfel der Verlogenheit, dem Davoser Wirtschaftsforum auseinander, das seinen Ursprung gewissermaßen im philosophischen "Duell" von Heidegger und Cassirer 1929 in Davos hatte.

Und dann gerät der Protagonist wie einst Hans Castorp ins Schneegestöber, um schließlich eine Erkenntnis zu gewinnen.

Norman Ohler: "Der Zauberberg, die ganze Geschichte" (Diogenes, 272 Seiten, 25 Euro)

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