Takis Würgers Roman "Unschuld": Das bleierne Land

Auch eine soziale Zustandsbeschreibung der USA: Takis Würger stellt seinen Krimi "Unschuld" am Dienstag in München vor.
von  Adrian Prechtel
Takis Würger (geboren 1985) gewann mit seinen Reportagen zahlreiche Preise. 2017 erschien sein Debütroman "Der Club", für seinen aktuellen Roman "Unschuld" hat Würger mehrere Monate im Hudson Valley recherchiert.
Takis Würger (geboren 1985) gewann mit seinen Reportagen zahlreiche Preise. 2017 erschien sein Debütroman "Der Club", für seinen aktuellen Roman "Unschuld" hat Würger mehrere Monate im Hudson Valley recherchiert. © Peter Rigaud

München - "Wenn sie von einem Vergewaltiger angegriffen werden, dann schützt Sie keiner Ihrer linken Politiker, dann schützt Sie keine der liberalen Zeitungen oder die Blauhelme... Dann sind Sie allein. Solo."

Mr. Rosendale sagt das mit der Bestimmtheit eines Mannes, der wenig Widerspruch duldet. Er ist Zementmilliardär und Ostküstenpatrizier, dessen Vorfahren angeblich mit der Mayflower ankamen. "Aber wissen Sie, wer Sie dann beschützen kann? Der Zweite Zusatzartikel, der Ihnen erlaubt, eine Waffe zu tragen." Vor ihm steht Molly Carver, die sich unter falschem Namen als Hausmädchen bewirbt.

Takis Würgers Mr. Rosendale ist der Inbegriff eines superreichen Republikaners 

Nach einem Drittel der nur 300, locker bedruckten Seiten sind die Gegenspieler zusammengekommen. Aber Rosendale wittert, dass da etwas nicht stimmt - mit dieser leicht stotternden, etwas abgestürzten, fahrigen jungen Frau.

Mr. Rosendale ist einer der größten Unterstützer der Waffenlobby und von Takis Würger gezeichnet als Inbegriff eines superreichen Republikaners. Molly Carver wiederum stammt aus dem Gegenmilieu, das oft zynisch als "White Trash" bezeichnet wird: Mutter früh abgehauen, aufgewachsen in einer Wohnwagensiedlung mit einem zwar netten Vater, der aber schwer krank ist, sich keine Krankenversicherung leisten kann - und einen Mord gestanden hat: am älteren Sohn der Rosendales, wo er Angestellter war, sich um den Fuhrpark kümmerte und bei den Söhnen sehr beliebt war.

Takis Würger ist ausgezeichneter "Spiegel"-Reporter, sein zweiter Roman "Stella" über die historische Jüdin, die Hunderte von untergetauchten Juden in Berlin an die Gestapo verraten hatte, löste 2019 eine Literaturkontroverse aus. Jetzt, zwei Bücher später, ist er in unverminteres Gelände an die US-Ostküste gegangen, um - in kondensierter Krimiform - ein Amerikaporträt zu schreiben.

"Gott hat die Menschen geschaffen und Samuel Colt hat sie gleich gemacht"

Unbequeme Klassengegensätze arbeitet Würger heraus und zeigt dabei nicht nur soziale Ungerechtigkeiten, sondern auch den ungeheuren Medikamentenmissbrauch, der diese Gesellschaft durch alle Milieus hindurch zerrüttet sowie die fatalen Folgen generellen privaten Waffenbesitzes.

Denn wie wird Molly den Rosendales entgegenhalten: Eine Waffe im Haus erhöht die Möglichkeit, durch Waffengewalt ums Leben zu kommen, ums Hunterfache. Aber selbst Mrs. Rosendale - in einer Edel-Tablettenentzugs- und Schönheitsklinik - erklärt Waffen feministisch: "Gott hat die Menschen geschaffen und Samuel Colt hat sie gleich gemacht."

Die Kapitel in "Unschuld" betreiben ein Ping-Pong-Spiel

Das alles liest sich dynamisch, sehr natürlich - und doch sind die Figuren eine Nuance zu stark Träger ihrer sozialen Schicht und daher fast wie Karikaturen.

Wenn auch selten passieren dem Autor kleine Peinlichkeiten, so wenn die Milliardärsgattin Tiffany Rosendale zu Molly Carver völlig unglaubwürdig sagt: "Wenn du Hilfe brauchst bei deiner Recherche, ich helfe dir gern. Wir Frauen müssen zusammenhalten." Oder wenn - wie in einem Actionfilm - die kleine Molly auch mal eine getäfelte Massivholz-Tür aus dem Rahmen tritt, um an belastende Dokumente zu kommen.

Die Kapitel in "Unschuld" betreiben dabei ein Ping-Pong-Spiel, indem sie zwischen den Hauptpersonen wechseln - inklusive dem zu Hause erschossenen Casper Rosendale. Dabei laufen mehrer Zeitstrahlen: die von Casper Rosendales auf seinen Tod zu und die von Mollys Vater auf dessen Hinrichtung wegen Mordes im Gefängnis hin. Was Molly durch Recherche im Hause Rosendale doch noch im letzten Moment verhindern will.

"Unschuld" ist ein Buch, in dem alle lügen und niemand ganz unschuldig ist 

So ist es die Tochter des Verurteilten, die zur Detektivin wird, ohne dafür besondere Kenntnisse oder Erfahrung zu haben. Und ein Spannungsmoment - neben dem Zeitablauf - ist die Frage, ob sie nicht längst selbst, ohne es zu merken, ein Spielball von Mr. Rosendale geworden ist und dessen Plan, die Familie weiter oder wieder glänzen zu lassen, weil Mr. Rosendale vielleicht längst weiß, wer sie wirklich ist?

"Unschuld" ist ein Buch, in dem alle lügen und niemand ganz unschuldig ist, aber manche ihre große Schuld durch gesellschaftlichen Einfluss in Unschuld waschen können. Es ist schnell, spannend und ehrlich.


Takis Würger stellt "Unschuld" (Penguin, 296 Seiten, 22 Euro) am Dienstag, 29. November (19.30 Uhr) in der Buchhandlung buch & töne, Weißenburger Straße 14 (Rosenheimerplatz) vor (Telefon 44109476)

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