Roman über Transvestiten des 18. Jahrhunderts: Spion*in und Fechtmeister*in
"Ich wollte ihn hinters Licht führen, wie ich alle Menschen hinters Licht führte", lässt Irene Dische den Chevalier d'Eon de Beaumont, die Hauptfigur ihres Romans "Die militante Madonna", sagen. Der Protagonist ist eine reale Figur aus der Geschichte, lebte von 1728 bis 1810, war ein enger Vertrauter des französischen Königs Ludwig XV. und der wahrscheinlich erste bekennende Transvestit.
Die überwiegend in Berlin lebende Schriftstellerin Irene Dische, die 1989 mit ihren Erzählungen "Fromme Lügen" den Durchbruch hatte, lässt ihren Chevalier d'Eon aus dem 18. Jahrhundert in unsere Gegenwart schauen und sie kritisch und manchmal leicht süffisant kommentieren.
Verwegene Mischung aus Fakten und Fiktion
Dische, die zuletzt den etwas zu langatmig geratenen Roman "Schwarz und Weiß" (2017) vorgelegt hatte, verbindet die hinterlassenen Aufzeichnungen des Chevaliers mit ihrer eigenen Fantasie. Herausgekommen ist eine verwegene Mischung aus Fakten und Fiktion, die die aktuelle Gender-Diskussion noch mehr befeuern dürfte. Gottlob haben wir es hier aber nicht mit einem Thesenroman zu tun.
Irene Dische verpackt alle Aspekte der Diversität im punktuell und durchaus unterhaltsam rekonstruierten Lebenslauf des Adligen, der damit spielte, seine Zeitgenossen zu verwirren, der im Nu seine stolze Uniform gegen aufgeplusterte Frauenkleider tauschte und der in Fechtduellen ebenso zu glänzen verstand wie bei heimeligen Konversationen am Kamin oder als feinsinniger Dichter.
Der Chevalier verbrachte Großteil seines Lebens in England
Mit spürbarer Sympathie zeichnet uns Irene Dische das Bild eines Chamäleons, der zugleich treuer Gefolgsmann des Königs, feinsinniger Bücherfreund und bisweilen aber auch egozentrischer Intrigant ist. Als Botschafter in London und als eine Art Agent in Russland liebt es der Protagonist, Klatsch und Tratsch zu entfachen und weiterzutragen. Eifersüchteleien pflastern seinen abenteuerlichen Lebensweg zwischen Schein und Sein.
Durch die veränderten politischen Machtverhältnisse in seiner Heimat Frankreich verbrachte der Chevalier den Großteil seines Lebens dann in England, wo er ab 1763 als Exilant unter weiblicher Identität lebte. In einer Mischung aus Spott und Zorn lässt die Autorin den einstigen Intimus des französischen Königs auf die heutige Zeit blicken: "Zweihundertfünfzig Jahre nach meiner Zeit glauben Sie offenbar, Sie hätten die Wahlfreiheit erfunden, ein Mann oder eine Frau zu sein." Auf den realen Chevalier geht übrigens der Begriff des "Eonismus" zurück, der sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Psychologie etablierte und sich mit dem Transvestismus beschäftigt.
Der Chevalier Charles Geneviève Louis Auguste André Timothée d'Éon de Beaumont, wie er mit komplettem Namen hieß, spukt wie ein Gespenst durch die Buchseiten - zynisch, arrogant und herablassend. So richtig warm wird man mit dieser Kunstfigur nicht, die von sich behauptet, dass sie sich nie Gedanken darüber gemacht hätte, ob sie ein Mann oder eine Frau gewesen sei.
Spannender und federleicht erzählter Roman
Manches Statement des Chevaliers driftet sogar auf Kalauerniveau ab. Dies ist - ob gewollt oder ungewollt sei dahingestellt - der komplizierten, aber künstlerisch durchaus reizvollen Konstruktion des historischen Kommentators einer aktuellen zeitgenössischen gesellschaftlichen Diskussion geschuldet.
Und dennoch hat Irene Dische einen spannenden und darüber hinaus federleicht erzählten Roman vorgelegt, in dem sie in ihrem eigenen Rhythmus zwischen Geschichte und Gegenwart hin- und herhüpft. "Kann man denn nicht lachend auch sehr ernsthaft sein?", fragte schon Lessing in "Minna von Barnhelm".
Irene Dische: "Die militante Madonna" (aus dem Englischen von Ulrich Blumenbach, Hoffmann und Campe, 219 Seiten, 22 Euro)
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