Interview

Robert Harris über seinen Roman "Königsmörder"

Der neue Roman des Briten behandelt die Zeit nach Oliver Cromwell.
von  Volker Isfort
Anthonis Van Dycks Gemälde von Karl I., der 1649 hingerichtet wurde.
Anthonis Van Dycks Gemälde von Karl I., der 1649 hingerichtet wurde. © Google Art Project

In seinem neuen Roman stellt der englische Autor die reale Jagd auf Edward Whalley und dessen Schwiegersohn William Goffe – beide einst Offiziere in Oliver Cromwells siegreicher New Model Army – in den Mittelpunkt. Beide hatten, neben 57 anderen, die Urkunde zum Todesurteil von Karl I. unterschrieben, der 1649 geköpft wurde. Nach Cromwells Tod, der das Land als Lordprotektor geführt hatte, stieg 1660 Karl II. auf den Thron. Er nahm Rache an den Mördern seines Vaters. "Königsmörder" von Robert Harris ist ein hochspannender Geschichtskrimi über Revolution, Rache und religiösen Furor.

AZ: Mr. Harris, hat Sie die politische Debatte in Ihrer Post-Brexit-Heimat dazu animiert, einen Blick auf die Bürgerkriegszeit im 17. Jahrhundert zu werfen?
ROBERT HARRIS: Ehrlich gesagt nein. Vor zwei Jahren stieß ich bei Twitter auf ein Tweet, der auf die größte Menschenjagd des 17. Jahrhunderts Bezug nahm. Und ich dachte sofort, das klingt interessant. Es ist einfach eine unheimlich gute Geschichte und ich wollte einfach schreiben, wie sie sich vielleicht abgespielt haben könnte. Wie so oft realisiert man dann, dass man vielleicht unbewusst auf etwas gestoßen ist, das uns auch heute noch aus ganz anderen Gründen anspricht.

Großer Revolutionär und Militärdiktator

Oliver Cromwell war nicht erfolgreich als Lordprotektor. Was macht seinen Ruhm aus?
Er war ein brillanter Feldherr und eine äußerst dominante Person. Er war vielleicht wirklich kein großer Politiker, eher ein Militärdiktator, der es aber nicht schaffte, seine Nachfolge zu sichern, weswegen die Revolution mit ihm starb. Es ist eine große Ironie, dass seine Statue vor dem britischen Parlament steht, obwohl niemand in der Geschichte das Parlament häufiger außer Kraft gesetzt hat. Karl I. hat versucht, seine Autorität über das Parlament zu stellen, Cromwell hat dies mit Waffengewalt getan.

Grausame Verbrechen im Namen der Religion

Ihr Buch enthält ein paar schockierende Gewaltszenen, historisch verbürgte Hinrichtungen und Verstümmelungen der Körper, die kaum zu glauben sind.
Für eine Weile hatte ich wirklich keine Lust mehr weiterzuschreiben, weil ich explizite Gewalt in meinen Büchern vermeide. Ich habe dies auch hier extrem limitiert, kaum mehr als eine Seite, aber natürlich bekommt man diese Szenen der unvorstellbaren Hinrichtungen nicht mehr aus dem Kopf. Aber wenn man der Vergangenheit gerecht werden will, kann man sie nicht in zarten Pastellfarben zeichnen. Das alles wurde im Namen des Staates und der Religion unternommen. Beim Lesen der historischen Quellen dachte ich manchmal, wie seltsam, nur 50 Jahre nachdem Shakespeare die Schönheit und Raffinesse des Lebens beschrieben hat, tun sich Menschen so etwas einander an. Aber das ist heute noch genauso, so ist die Menschheit.

Haben die Menschen in London damals diese Menschenjagd mitfiebernd verfolgt?
Die Zeitungen waren jedenfalls voll von Geschichten darüber. Zehntausende Menschen haben die Hinrichtungen der anderen Königsmörder verfolgt. Whalley und Goffe waren sehr bekannte Zeitgenossen und auch in Amerika so prominent, dass sie nur im Versteck leben konnten. Vor allem wegen des auf sie ausgesetzten Kopfgeldes.

Third Time Lucky

Wenn man Ihr Buch liest, versteht man ganz und gar nicht wie Elizabeth II. ihren ersten Sohn Charles nennen konnte – bei diesen unglücklichen Vorgängern.
Das wurde, als Charles getauft wurde, auch genau so gesehen und diskutiert. Es gibt natürlich die Tradition, dass Könige sich einen anderen Namen auf dem Thron geben. Edward VIII., der wegen Wallis Simpson abdankte, hieß David, sein Bruder Albert wurde George VI. Also Charles, der ohnehin noch eine Menge anderer Namen hat, hätte nicht Charles III. werden müssen. Aber vielleicht dachte er auch an den britischen Spruch "Third time lucky", Glück beim dritten Mal.

"Ich war nie ein großer Monarchist"

Jedenfalls war es gut für Ihr Buch!
Oh ja, als die Queen starb, haben Freunde das scherzhaft als Teil der Werbekampagne gesehen. Tatsächlich ist das Buch in England seit langem mein größer Erfolg beim Publikum und bei der Kritik. Elizabeth's Tod kam inmitten des politischen Chaos unter dem wir seit einiger Zeit leiden. Und natürlich habe auch ich das als traurigen Verlust einer stabilisierenden Person empfunden. Macron hat es am besten ausgedrückt: "Für Euch war sie Eure Queen, für uns war sie DIE Queen." Ich war nie ein großer Monarchist. Aber ich muss zugeben, dass die Institution größer ist als der Einzelne. Ich finde auch, dass Charles III. die schweren ersten Tage mit seinen öffentlichen Pflichten und der Beerdigung gut gelöst hat.

"Es ist seit ein paar Jahren sehr verstörend Brite zu sein"

Sie halten die Monarchie für überlebensfähig?
Es ist seit ein paar Jahren sehr verstörend, Brite zu sein, aber inmitten von diesem politischen Lärm und Nebel steht die Monarchie aufrecht. Ich finde unser System besser als das amerikanische, wenn Sie sich nur King Donald Trump vorstellen möchten. Wir separieren den Staat als das Permanente vom unsteten politischen Betrieb. Und wenn Sie mal schauen, welcher Teil der britischen Gesellschaft besser funktioniert, dann ist das die Monarchie.

Der Pomp der Trauerfeier wirkte aber schon wie die letzte große Feier eines längst nicht mehr existenten Imperiums.
Charles III. Beerdigung dürfte in der Tat kleiner ausfallen, erste Hinweise darauf werden wir bei seiner Inthronisation bekommen, die sicherlich nicht mit der seiner Mutter verglichen werden kann.

Bleibt Rishi Sunak Premierminister bis zur Wahl 2024?
Ich würde sagen, die Chancen stehen 50:50. Die konservative Partei ist widerspenstig und schwer zu beherrschen. Sunak ist ein superreicher Goldman-Sachs-Technokrat und asiatischer Herkunft. Das passt nicht so gut zu den populistischen, nationalistischen Brexitbefürwortern in der Partei. Er kann schnell in schwere Fahrwasser geraten. Aber eine vorzeitige Neuwahl wäre für die Tories verheerend.

"Boris Johnson als britischer Mussolini"

Boris Johnson sah sich als eine Art Reinkarnation von Churchill, der bekanntlich ein zweites Mal als Regierungsschef zurückkam. Johnson auch?
Ich würde einem Vergleich der beiden nicht zustimmen. Churchill blieb nach seiner Abwahl als Premierminister auch Parteivorsitzender. Vor ein paar Wochen dachte ich auch, dass Johnson zurückkommen würde. Aber sein Flop, als er überstürzt aus dem Urlaub nach London flog und keine Mehrheiten für sich organisieren konnte, hat ihn auch das letzte bisschen Glaubwürdigkeit gekostet. Das sah nach Verzweiflung aus. Ich hatte eigentlich gedacht, er würde versuchen, seine eigene Partei zu gründen, und als eine Art britischer Mussolini versuchen, direkt den Mob hinter sich zu bringen – unter Ausschluss des Parlaments.

Britische Kultur von Popmusik über Kino bis hin zu Literatur war in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg extrem einfluss- und erfolgreich. Wird sich das langfristig ändern, wenn Großbritannien dem Kontinent den Rücken zukehrt?
Nein, ich sehe den Zusammenhang auch nicht, denn aus der kreativen Szene hat doch fast niemand den Brexit unterstützt. Und zur Wahrheit gehört, dass wir doch immer noch progressiv sind. Wir hatten drei Premierministerinnen und haben nun einen asiatischen Premierminister. Das ist doch ziemlich revolutionär verglichen zu Amerika oder auch Deutschland. Totgesagte leben länger.

Nicht nur Elizabeth, auch die Königin der Historienromane, Hilary Mantel, starb dieses Jahr. War sie eine Inspirationsquelle für Ihre Arbeit?
Nein, ihre Methoden und meine sind wirklich sehr unterschiedlich. Ich respektiere ihre Arbeit sehr, allerdings fast noch mehr ihre nichthistorische Romane. Und sie hat ein paar unumstößliche Wahrheiten über das Schreiben gesagt: Wenn man über die Vergangenheit schreibt, darf man nie versuchen, die Figuren in seltsamen Kostümen mit modernen Ideen auszustatten, damit sie in die heutigen Rahmen passen. Da hat sie vollkommen Recht.

Ein Buch im halben Jahr

Sie haben mal gesagt, dass sie normalerweise am 15. Januar ein Buch beginnen und bis zum 15. Juni abgeschlossen haben. Bei "Königsmörder" aber nicht, oder?
Ja, kaum hatte ich das gesagt, war es ganz anders. Ich habe über ein Jahr gebraucht, es war ein sehr schwieriges Projekt für mich. Bei der ersten Buchpräsentation habe ich gesagt, ich hätte eine große Freude an der Arbeit gehabt und meine Frau hat mich danach Zuhause gefragt, warum ich das behauptet hätte. Sie hatte mich ein Jahr lang ganz anders erlebt.

Sie haben einen hohen Rechercheaufwand für dieses Buch betrieben. Was denkt der Autor, wenn er dann eine Kritik, lesen muss, in der steht, dass eine im Buch erwähnte Pflanze erst 100 Jahre später nach England eingeführt wurde?
Mein erster Impuls war, hey das ist ein Buch mit 135.000 Wörtern und du hast dir das eine rausgesucht. Aber wenn es stimmt, dann wird das in der nächsten Ausgabe geändert. Abgesehen von dem Einwand war es eine sehr positive Kritik. Ich ärgere mich aber auch nicht über schlechte Kritiken, ich habe in meiner Zeit als Journalist ja selbst viele Autoren kritisiert.

Viele Ihrer Bücher sind verfilmt worden, zuletzt "München". Gibt es Neuigkeiten?
Ja, wenn alles gut geht beginnen im Januar die Dreharbeiten zu "Konklave" mit Ralph Fiennes unter der Regie von Edward Berger, der "Im Westen nichts Neues" gedreht hat. Und gestern sind die Filmrechte für "Königsmörder" verkauft worden. Nur beim "Pompeji"-Projekt geht es seit einem Jahrzehnt nicht weiter. Ich denke, die warten darauf, dass der Vulkan wieder richtig ausbricht.


Robert Harris: "Königsmörder" (Heyne, 544 Seiten, 24 Euro).

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