Robert Harris liest aus "Königsmörder": Blutige Rache in Gottes Namen

München - Insgesamt 59 Männer unterzeichneten 1648 die Urkunde, die Karl I. wegen Hochverrats aufs Schafott brachte. Der englische König hatte das Land tief gespalten und in zwei Bürgerkriege gestürzt, aus der schließlich die Parlamentsarmee unter Oliver Cromwell als Sieger hervorging.
Für Autor Robert Harris ist das 17. Jahrhundert Neuland – und ein gefundenes Fressen
Doch die kurze Zeit der Republik mit Cromwell als Lordprotektor endete mit dessen Tod 1658 und der Restauration unter Karl II. Zwei Jahre später garantierte ein Act of Oblivion eine Amnestie für alle, die zuvor auf Seiten der Republikaner gekämpft hatten. Die 59 "Königsmörder" allerdings waren davon ausgenommen – und die Jagd auf sie begann.
Der britische Spannungsspezialist Robert Harris hat sich seine Themen im Römischen Reich ("Cicero"-Trilogie, "Pompeji"), der Nazizeit ("Vaterland", "München", "Vergeltung") und der postapokalyptischen Zukunft ("Der zweite Schlaf") gesucht, oder mit "Ghost" und "Angst" aktuelle Machtstrukturen analysiert. Das 17. Jahrhundert mit seinem religiösen Kriegsfuror ist für den 65-Jährigen Neuland – und ein gefundenes Fressen.
Robert Harris: Sein fiktiver Jäger Richard Nayler ist ein blutrünstiger Rächer
In "Königsmörder" stellt er die beiden real gejagten Edward Whalley und dessen Schwiegersohn William Goffe – beide einst Offiziere in Oliver Cromwells siegreicher New Model Army – in den Mittelpunkt. Er heftet ihnen den fiktiven Jäger Richard Nayler auf die Fersen. Ein überaus blutrünstiger Rächer, der gleichermaßen aus persönlicher wie politischer Motivation handelt.
Der Roman setzt im Jahr 1660 ein, als Whalley und Goffe nach der Überfahrt unter falschem Namen in Neuengland landen und bei puritanischen Glaubensgenossen Unterschlupf finden. Doch die erhoffte Sicherheit ist relativ, auch in Amerika wimmelt es von Royalisten und Menschen, die gegen Cromwell gekämpft hatten. Bald erreichen die beiden Geflohenen in ihrem Versteck besorgniserregende Nachrichten: In England hat Naylers "Schlachtfest" begonnen.
Öffentlich ausgetragener perverse Racherausch wird selbst dem Londoner Pöbel zu viel
Historisch verbürgt verkündet der Lord-Oberrichter den bereits gefassten und von Nayler in den Tower gebrachten Königsmördern das Urteil: "Ihr werdet zurückgeführt zu dem Ort, dem ihr entstammt, und hierfür sollt ihr auf einem Schlitten zum Platz der Hinrichtung geschleift werden, und dort sollt ihr am Hals aufgehängt und noch lebend wieder abgeschnitten werden, Euer Geschlecht abgetrennt, Eure Eingeweide Eurem Leib entnommen und vor Euren Augen verbrannt, Euer Kopf abgehackt und Euer Körper in vier Stücke zerteilt und Euer Kopf und Eure vier Teile ausgestellt werden zum Gefallen Seiner Majestät dem König. Der Herr möge Eurer Seele gnädig sein." Kein Wunder, dass der öffentlich ausgetragene perverse Racherausch selbst dem Londoner Pöbel nach ein paar Aufführungen zu viel wird.
In kurzen Kapiteln springt Harris kreuz und quer über den Atlantik und beschreibt die wachsende Unsicherheit der beiden Flüchtigen, auf die inzwischen ein Kopfgeld ausgesetzt ist. Die quälende Wartezeit verkürzt sich Whalley, indem er seine Sicht auf die gemeinsame Zeit mit Cromwell zu Papier bringt, damit seine Tochter Frances einmal die Wahrheit hinter der Legende erfährt.
Mit seinem Roman "Königsmörder" präsentiert sich Robert Harris in Bestform
Diese allerdings hat in London ganz andere Probleme. Mit ihren fünf Kindern ist die enteignete und auf die Straße gesetzte Frau auf die Gnade der drangsalierten und nur noch geheim operierenden Puritanergemeinde angewiesen – und wartet sehnsüchtig auf eine Botschaft ihres Gatten.
Währenddessen verstärkt sich bei Nayler nach ergebnisloser Suche im Land ein Verdacht: Er vermutet Whalley und Goffe nun in Neuengland und wird selbst ein Schiff besteigen, um seine blutige Mission in Gottes Namen abzuschließen.
Vielleicht mag Harris das politische Klima in seiner Heimat befeuert haben, einen rasanten Thriller über gesellschaftliche Unversöhnlichkeit und die Folgen ideologisch-religiöser Raserei zu schreiben, jedenfalls präsentiert sich der Autor mit "Königsmörder" in Bestform.
Robert Harris stellt seinen neuen Roman "Königsmörder" (Heyne, 544 Seiten, 24 Euro) am 9. November um 20 Uhr im Literaturhaus als Salvatorplatz vor (Saal und Stream)