Raus aus der Spielecke - Friedrich Ani über seinen neuen Roman

Im Lockdown hat Friedrich Ani neue Freunde gewonnen: Eine Meise und ein Eichhörnchen kommen regelmäßig auf seinen Giesinger Balkon, um die ausgestreuten Pinienkerne zu rauben. "Bio, sauteuer", sagt Ani und lacht. "Ich glaub', ich muss schnell wieder ein Drehbuch schreiben."
Doch zunächst hat er einen Roman veröffentlicht, der den maximalen Kontrast zur häuslichen Idylle bietet. In "Letzte Ehre" stellt er die Münchner Oberkommissarin Fariza Nasri in den Mittelpunkt des düsteren Geschehens, eine Frau, die großes Potenzial für eine neue Krimi-Kultfigur hat. Nasri muss zunächst im Fall der verschwundenen 17-jährigen Finja ermitteln und bald darauf einen Schicksalsschlag verkraften. Ihre beste Freundin ist zusammengeschlagen worden und ringt mit dem Tod. Klar dass Nasri, ihr die "Letzte Ehre" erweisen will, indem sie den Täter überführt.
AZ: Herr Ani, Oberkommissarin Fariza Nasri bekommt in "Letzte Ehre" ihren ersten großen Solo-Auftritt, in "All die unbewohnten Zimmer" ist sie noch der Neuling zwischen Ihren Serienfiguren Polonius Fischer, Tabor Süden und Jakob Franck.
FRIEDRICH ANI: Ich weiß viel über die Figur, ich wollte auch schon mehr von ihr im Roman "All die unbewohnten Zimmer" unterbringen, aber da waren all die anderen Ermittler und die Seiten gewissermaßen schon bewohnt. Jetzt gibt es mehr Details über ihr Leben, und natürlich ist sie mit "Letzte Ehre" noch lange nicht auserzählt.
"Beim Schreiben entscheide ich mich eher für Freestyle statt Realismus"
Der Roman ist aus Nasris Sicht verfasst, wahrscheinlich, um die verschiedenen, ineinandergreifenden Fälle zusammenzuhalten?
Nein, ursprünglich wollte ich einen Roman über das Handwerk der Vernehmung im weiteren Sinne schreiben. Ich habe einige Fälle zusammengetragen und sie über die Figur Nasri bearbeitet. Dann stellte sich heraus, dass es nicht so recht funktionierte, eine Vernehmungssituation über 300 Seiten zu schreiben. Ich habe immer wieder umgeschrieben, es hakte an der Dramaturgie. Das nun erschienene Buch ist die zehnte Fassung, mein Rekord, so lange habe ich noch nie an einem Manuskript gewerkelt.
Die Verhöre stehen immer noch im Zentrum des Buches. Sind die realistisch?
Ich habe viele Vernehmungsprotokolle gelesen, auch wenn ich die eigentlich gar nicht hätte sehen dürfen. Aber beim Schreiben selbst ist das eher ein Hintergrund, da entscheide ich mich eher für Freestyle als für Realismus.
Ihr Kommissar Süden war in den Vernehmungen der große Schweiger und Zuhörer, er hat daraus seine Technik gemacht.
Genau, und Fariza Nasri hat eher den Drang, ein Gespräch am Laufen zu halten, damit sich jemand verheddert. Schweigen mag sie gar nicht. In der richtigen Polizeiarbeit geht es auch eher um das geschickte Ausfragen. Ich sehe Fariza Nasri als eine eher nüchterne Person, die, wenn sie ins Büro geht, sich innerlich ziemlich stählt und eine taffe Kommissarin abgibt.
Nüchtern ist vielleicht ein irreführender Begriff, sie bestellt sich einen "russischen Bodyguard", also Wodka, zum Bier. Sie könnte die Trinkgefährtin von Tabor Süden sein.
Die Trinkgefährtin schon, aber niemals die Berufskollegin. Beide in einem Raum, um einen Fall zu lösen, das würde nicht klappen.
"Ich hab in Kochel keine Diskriminierung erfahren"
Es gibt Hunderte von Kommissarinnen und Kommissaren im Fernsehen, Fariza Nasri würde dennoch als eine Bereicherung herausstechen, ist da etwas geplant?
Ja, die tolle Münchner Firma TV60 von Sven Burgemeister hat die Rechte optioniert, und ich bin sehr gespannt, wie es weitergeht. Gemeinsam mit meiner Frau Ina Jung habe ich bereits etliche Filme für die von Burgemeister produzierte Reihe "München-Mord" geschrieben, das heißt, ich kenne die Firma und vertraue ihr total.
Heute würde man Fariza Nasri, die einen syrischen Vater hat, als eine Frau mit Migrationshintergrund bezeichnen, ein Begriff, den Sie für sich persönlich völlig ablehnen.
Ja, weil mein Hintergrund die Berge sind, ich bin im Voralpenland geboren. Allerdings habe ich im Zusammenhang mit der Ankunft der Flüchtlinge aus dem syrischen Bürgerkrieg Gedichte öffentlich vorgetragen und mich damit auseinandergesetzt, dass mein Vater vor Jahrzehnten aus Syrien nach Deutschland gekommen war. Meine Mutter stammt ursprünglich aus Schlesien und gelangte Ende des Zweiten Weltkriegs nach Bayern. Aber das hatte alles keine besonderen Auswirkungen für mein Aufwachsen in Kochel am See.
Sie haben damals keine Diskriminierung erfahren?
Niemals. Es gab in Kochel nach dem Krieg die Sudentendeutschen, die Schlesier, und die Einheimischen waren spätestes seit Kriegsende mit Menschen vertraut, die nicht aus Bayern stammten. Und im Goethe-Institut in Kochel lernten viele Männer aus dem arabischen Raum, die im Ort Zimmer gemietet hatten. Ich war also kein Exot, allerdings schon damals ein Einzelgänger. Im Fußball war ich gut, das hat gepasst.
Aber in der Blasmusik waren Sie nicht?
Nein, das habe ich schon als Kind seelisch nicht geschafft. Es ist mir auch relativ egal, welche Texte dazu gesungen werden, vor Blasmusik kapituliere ich. Ich habe damals allerdings sehr breiten Dialekt gesprochen, den musste ich mir auf dem Gymnasium in Tölz regelrecht abtrainieren. Ich hatte einen Kumpel im Gymnasium, der sprach von Haus aus Hochdeutsch, und bei ihm habe ich mir das dann abgeschaut.
"Wenn ich alleine bin, fluche ich bayerisch"
Können Sie überhaupt noch Dialekt?
Doch, und ich ertappe mich auch dabei, dass ich, wenn ich allein bin, saumäßig krachert bayerisch fluche.
Zurück zu Frau Nasri. Es hat ja ziemlich lange gedauert, bis Kommissare in deutschen Krimis auch einen Migrationshintergrund haben können.
Ich denke, in der Realität bei der Polizei ist das genauso. Und ansonsten gilt: Man kann nicht als Autor so eine Figur entwerfen, weil es halt grad gesellschaftlich passt. Das war überhaupt nicht meine Intention.
Haben Sie beim Schreiben ein genaues Bild von ihr vor Augen?
Ich habe immer das Gefühl, ich hätte sie vor Augen, aber ich könnte kein Fahndungsfoto von ihr anfertigen lassen.
Wenn Sie sich an den Schreibtisch setzen und einen neuen Roman beginnen, führt das automatisch zu einem Krimi?
Ich habe jedenfalls nicht den Anspruch, einen Gegenwartsroman in der allgemeinen Belletristik zu veröffentlichen. Ich bin Vollblutkriminalschriftsteller, und ich schreibe auch Gedichte und noch ein paar andere Dinge. In der Prosa möchte ich das Genre nicht mehr verlassen. Der Zug ist abgefahren. Erstrebenswert wäre natürlich, wenn in großen Buchhandlungen nicht länger die strikte Trennung zwischen Krimis und anderen Romanen herrschen würde. So landen wir Kriminalschriftsteller immer noch in einer Art Spielecke.
Der Ruf ist doch zuletzt eher aufgewertet worden, oder?
Ich bin mir nicht sicher. In Deutschland wird es - im Gegensatz zu anderen Ländern - niemals einen Literaturpreis für einen Kriminalroman geben.
"Nicht alles, was von der Presse hochgejubelt wird, trifft meinen Geschmack"
Sie müssen Ihr Regal mit den Ehrungen trotzdem erweitern. Sie haben schon wieder einen Grimme-Preis gewonnen. Dieses Mal gemeinsam mit Ina Jung für das Drehbuch von "Wir wären andere Menschen" nach Ihrer Erzählung "Rupert".
Der Preis bedeutet mir sehr viel. Ich bin altmodisch, für mich ist der Grimme-Preis noch immer die höchste Auszeichnung in der Fernsehbranche. Weder Ina noch ich haben aber damit gerechnet. Und es ist eine fantastische Auszeichnung für den Regisseur Jan Bonny und den Hauptdarsteller Matthias Brandt, die ja ebenfalls prämiert wurden. Ist doch super: Ein Film, der vom ZDF auf 23.15 Uhr verbannt wurde, weil der Sender ihn in der Primetime für unzumutbar hielt, wird mit vier Grimme-Preisen geehrt.
Das klingt nach Gerechtigkeit.
Na ja, Gerechtigkeit, zu großes Wort. Nett wäre es schon, wenn sie den Film irgendwann um 20.15 Uhr wiederholen würden. Aber das wird natürlich nie passieren.
Haben Sie eigentlich noch einen Überblick über die TV-Krimis und verfolgen Sie interessiert, was so gestreamt wird?
Den Willen hätte ich schon, aber die Zeit eher nicht. Und nicht alles, was von der Presse hochgejubelt wird, trifft dann auch meinen Geschmack. "Marseilles" mit Gérard Depardieu fand ich wirklich enttäuschend. Hingegen gefielen mir "Die Toten von Marnow", "Broadchurch", "Happy Valley" oder "The Flight Attendant" unbändig, und "Lilyhammer" war eh der Hammer.
Friedrich Ani: "Letzte Ehre" (Suhrkamp, 270 Seiten, 22 Euro)