Patricia Highsmith: Die Gefühlsextremistin
So viel Patricia Highsmith auch geschrieben hat, sich selbst hat sie in ihren Büchern ausgeklammert. So war es eine Sensation, als nach ihrem Tod im Jahr 1995 insgesamt 18 Tage- und 38 Notizbücher gefunden wurden. Anna von Planta war Patricia Highsmiths Lektorin und hat jetzt, 26 Jahre nach deren Tod, die "Tage- und Notizbücher" der Schriftstellerin herausgegeben und stellt das Buch am Sonntag im Literaturhaus vor.
Anna von Planta im Interview
AZ: Frau von Planta, bei Ihrer ersten Begegnung war Patricia Highsmith sehr distanziert und einsilbig und hat Ihnen zur Begrüßung sogar den Händedruck verwehrt. Im Laufe des Gesprächs ist sie dann aufgetaut und Sie haben Patricia Highsmith sogar zum Lachen gebracht. Erinnern Sie sich noch womit?
ANNA VON PLANTA: Das nicht, aber ich weiß noch, wie sie aufgetaut ist. Ich habe einfach angefangen, mit ihr über ihr neues Romanmanuskript "Elsies Lebenslust" zu reden. Ich war gerade von einem Jahr New York zurück, wo ich wenig Geld verdiente und mir deshalb ganz New York zu Fuß erwanderte. Auch Greenwich Village, wo "Elsies Lebenslust" in den 1980er Jahren spielt. Für mich hatte der Roman aber eher einen 40er-Jahre-Flair. Und auch etwas Märchenhaftes, aus der Zeit Gefallenes. Also habe ich sie gefragt, warum das so sei. Da hat sie mir mit ihrer Antwort ein Fenster geöffnet. Sie sagte, sie selbst habe - wie Elsie - in den 40er Jahren in Greenwich Village gelebt. So bekam ich plötzlich einen sehr persönlichen Einblick in Highsmiths Vergangenheit, in ihren jungen Jahren.
Sie haben Patricia Highsmith elf Jahre lang - von 1984 bis zu ihrem Tod 1995 - als Lektorin begleitet. Wie hat sich die Beziehung zu ihr entwickelt?
Zuerst war unsere Beziehung rein geschäftsmäßig. Wir haben nur über ihre Werke gesprochen. In den USA wurde sie ja hauptsächlich als Genre-Schriftstellerin gesehen. Und so wurde sie auch behandelt. Sie war es gewohnt, mit amerikanischen Lektoren zusammenzuarbeiten, die ihr sogar den Umfang eines Buchs vorschrieben. Sie war einfach ein Vollprofi und hat das auch von mir erwartet und eingefordert. Sie sagt an einer Stelle in den Tage- und Notizbüchern: "Mein Gott, ich kann schreiben, aber wenn ich fertig bin, brauche ich einen Lektor." Also Kürzungen? Kein Problem! Aber wenn ich sie zum Beispiel zu den Hintergründen ihrer Figuren befragen wollte, wurde sie schweigsam. Als wir frühe Kurzgeschichten von ihr in einem Band zusammenfassen wollten, reagierte sie zurückhaltend. Dennoch hat sie in ihren späten Lebensjahren mehr von sich erzählt. Damals gab es ja noch kein Internet, also haben wir viel telefoniert, Briefe geschrieben und gefaxt. Sie wollte wissen, wie ich mit ihren Texten zurechtkam oder wie es mir ging. Letzteres hat mich dann doch überrascht.
Highsmith und der Alkohol: "Manisch gelebt, geliebt, geschrieben, gelesen"
Highsmith war bekanntlich dem Alkohol nicht abgeneigt. Haben Sie nie eine Flasche Gin mit ihr geleert?
Nein, sie hat mir zwar öfter etwas zum Trinken angeboten, wenn ich sie in ihrem Haus im Tessin besucht habe. Da mir aber noch ein langer Heimweg im Auto bevorstand, war ich immer sehr zurückhaltend.
Highsmith wird gerne auf Klischees reduziert: Man spricht von ihr als Alkoholikerin, als Lesbierin mit promiskem Lebenswandel, als Misanthropin, als geizige Millionärin und dergleichen. Wie würden Sie sie denn beschreiben?
Patricia Highsmith hat manisch gelebt, geliebt, geschrieben, gelesen. Natürlich auch geraucht und getrunken. Aber das Rauchen und Trinken war in den 40er Jahren auch eine Form der Emanzipation. Bei einem Hemingway oder einem Fitzgerald würde keiner ein Wort über den immensen Alkoholkonsum verlieren. Aber bei einer Frau - da passt das wohl nicht ins Bild. Bei ihr war der Alkoholkonsum auch eine Form der Entgrenzung. Sie hat ja oft versucht, aus einem vorbewussten Zustand Ideen zu schöpfen und zu entwickeln. Dieses Tag-Träumen, dieser Zustand zwischen Schlaf und Wachsein, dort lag ihr schöpferischer Quell.
Zusammen mit Daniel Keel, dem Gründer des Diogenes Verlags, haben Sie nach Patricia Highsmiths Tod in ihrem Wäscheschrank 56 Hefte entdeckt. 18 Tagebücher, 38 Notizbücher, insgesamt 8000 Seiten. Was ging Ihnen bei diesem unglaublichen Fund durch den Kopf?
Ich hatte ein Bild von Patricia Highsmith im Kopf als eine Autorin, die zu Lebzeiten möglichst wenig über sich verraten hat. Die alles in ihr Werk packt und nichts in mündliche Verlautbarungen. Die auf Fragen von Journalisten immer nur mit ja und nein antwortete. Und dann waren da diese ausführlichen und auch intimen Bekenntnisse! Das hat mich tief berührt.
Highsmith "kommt im Buch selber oft relativ schlecht weg"
Patricia Highsmith hatte wohl mit dem Gedanken gespielt, Teile dieser Tage- und Notizbücher nach ihrem Tod veröffentlichen zu lassen. Trauen Sie ihr zu, dass sie deswegen manche Wahrheiten auch frisiert hat?
Frisiert scheint mir nicht das richtige Wort zu sein. Sie hat ihre eigenen Einträge manchmal nachträglich kommentiert. Oder umdatiert. Aber nicht um ihr Selbstporträt zu schönen. Denn sie kommt im Buch selber oft relativ schlecht weg. Sie wirft sich selbst Härte vor oder Grausamkeit. Sie geht ziemlich hart mit sich selbst ins Gericht. Nicht nur mit anderen Menschen.
Glauben Sie, das Bücherschreiben hat ihr dabei geholfen, zu überleben?
Sie hat das Schreiben auch gebraucht, um die Realität auszuhalten. In einem ihrer Notizbücher steht: "Schreiben ist natürlich ein Ersatz für das Leben, das ich nicht leben kann, das zu leben ich nicht in der Lage bin." Sie hat oft versucht, sich durch das Schreiben ein Terrain zu erobern, das jenseits von Konventionen, Regeln und Regulierungen liegt. Wo Träume sich doch verwirklichen lassen. So wie in ihrem Roman "Salz und sein Preis", wo zwei Frauen sich ganz selbstverständlich ineinander verlieben können. Und wo ihnen auch ein Happy End gegönnt wird.
Im Buch haben Sie Patricia Highsmith so getreu wie möglich abgebildet. Allerdings haben Sie in einigen Fällen ihre rassistischen und antisemitischen Ausfälle nicht in die Auswahl aufgenommen. Wie Sie im Vorwort schreiben, haben Sie es als redaktionelle Pflicht empfunden, ihr in diesen Fällen die Bühne zu verweigern.
Es ist eine Auswahledition, eine Leseausgabe für die Leser und Leserinnen der Romane und Kurzgeschichten von Patricia Highsmith, in der wir Highsmith in allen ihren Facetten, ihrer ganzen Komplexität und Widersprüchlichkeit zeigen. Wir mussten insgesamt stark kürzen, proportional, gleichmäßig, ungefähr im Maßstab 1:10. Highsmith hatte auch ihre sehr dunklen Seiten, die haben wir nicht beschönigt, aber auch nicht überzeichnet. Highsmiths Antisemitismus ist schon lange bekannt. Der Diogenes Verlag hat zwei Bücher veröffentlicht, die ihren Antisemitismus deutlich und kritisch thematisieren, nämlich das Erinnerungsbuch von Marijane Meaker "Meine Jahre mit Pat" (2005) und die Biographie von Joan Schenkar (2015).
Warum war Patricia Highsmith Antisemitin?
Highsmiths Antisemitismus ist umso schwerer zu begreifen, als sie ihr ganzes Leben lang viele jüdische Freundinnen und Liebhaberinnen hatte. Können Sie sich das erklären?
Das ist sehr schwierig zu sagen. Ein Stück war sie da wohl auch ein Kind ihrer Zeit. 1939 war sie 18, bei Kriegsende 24, und die Vorkriegs- und Kriegszeit waren nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern wie zum Beispiel den USA von Judenfeindlichkeit geprägt. Was in Bezug auf Highsmith nichts entschuldigt, aber vielleicht einen ersten Erklärungsansatz bietet. Mit der Zeit wurde sie immer bitterer, weil viele ihrer Träume sich dann doch nicht verwirklichen ließen. Da hat sie gegen viele und vieles ausgeteilt. Gegen Frauen, die an ihrem traditionellen Rollenverständnis festhielten. Gegen Katholiken und gegen den Papst. Gegen die Franzosen - sie wohnte lange in Frankreich -, gegen die französischen Steuerbehörden, von denen sie der Steuerhinterziehung verdächtigt wurde. Und sie nahm gegen die israelische Siedlungspolitik Stellung und für die Palästinenser, denen sie sogar zwei ihrer späten Bücher widmete.
Aufgrund von persönlichen Zeugnissen von Freundinnen und Bekannten erwartet man im Buch eben mehr Äußerungen dieser Art.
Ja, zahlreiche antisemitische Äußerungen sind aus privaten Begegnungen und Briefen an Freunde und Freundinnen bekannt. Doch in den Tage- und Notizbüchern hat Highsmith diese Gespräche und Begegnungen nicht in dieser Form erwähnt. In den Tage- und Notizbüchern finden sich einige antisemitische Einträge in den 1940er Jahren - und von diesen haben wir ja auch nicht wenige im Buch. Dann taucht das Thema in den 50er und 60er Jahren kaum noch auf, bis es in den 70er und 80ern wieder leicht zunimmt - als Folge des Nahostkonflikts. Es ist mir wichtig, das so ausführlich dazulegen. Die Leser sollen Patricia Highsmith in ihrer ganzen Komplexität und Widersprüchlichkeit sehen.
"Ich bin zu einem Fan der Lyrikerin Patricia Highsmith geworden"
In den Tage- und Notizbüchern begegnet man zum ersten Mal vielen Gedichten von Patricia Highsmith. Was halten Sie denn von einer zweisprachigen Ausgabe dieser Gedichte?
Das werden wir uns unbedingt überlegen. Ich bin zu einem Fan der Lyrikerin Patricia Highsmith geworden. Und sie ist ja auch eine fantastische Aphoristikerin. Zum Teil böse, zum Teil sehr trocken und zum Teil auch sehr poetisch. In den Gedichten finden wir die ganze Romantik der frühen Jahre. Wie sie der Liebe mit offenen Armen entgegenrennt. Und wie sie immer wieder dabei scheitert.
Die meisten Zyniker sind enttäuschte Romantiker.
Das haben Sie sehr schön gesagt.
Wenn Sie nun nach München kommen, werden Sie sich da auch auf Spurensuche machen? Patricia Highsmith hat ja zeitweise in München und Umgebung gelebt.
Oh ja. Ich habe zwar schon viele Orte gegoogelt, aber ich werde in München sicher auf Patricia Highsmiths Spuren wandeln - zum Beispiel im Englischen Garten, vom Haus der Kunst bis nach Schwabing, wo sie wohnte. Den Fischmeister in Ambach besuche ich aber dann lieber im Sommer.
Patricia Highsmith: "Tage- und Notizbücher" (Diogenes, 1392 Seiten, 32 Euro); Anna von Planta hat die Tage- und Notizbüchern von Patricia Highsmith herausgegeben.
- Themen:
- Haus der Kunst
- Kultur
- Rassismus