Kritik

"Oben Erde, unten Himmel" von Milena Michiko Flasar: Zu verträumt fürs Hamsterrad

Wenn der Tod ins Leben hilft: Milena Michiko Flasars Roman "Oben Erde, unten Himmel".
Roberta De Righi |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Eine österreichische Autorin mit japanischer Mutter: Milena Michiko Flasar.
Eine österreichische Autorin mit japanischer Mutter: Milena Michiko Flasar. © Helmut Wimmer

Suzu ist Mitte zwanzig, lebt mit ihrem Hamster zusammen, hat ein Studium geschmissen, den Kontakt zum letzten Dating-Partner und den Job als Aushilfskellnerin verloren und weiß nicht, wohin mit sich. An ihre neue Arbeit gewöhnt sich die junge Frau, die es sich in ihrer Soziophobie fast gemütlich eingerichtet hat, dann allerdings erstaunlich schnell: Sie heuert als Tatortreinigerin an.

Der Tod hilft Suzu ins Leben zu finden

Suzu heißt die Ich-Erzählerin in Milena Michiko Flasars Roman "Oben Erde, unten Himmel", den die österreichische Autorin am Dienstag im Literaturhaus vorstellt. Und darin ist es ausgerechnet der Tod, der dabei hilft, ins Leben zu finden. Dieses ein bisschen zu erwartbare Paradox malt Flaar im Folgenden in zarten Strichen und dezenten Farben aus.

Der neue Chef, Herr Sakai, ist Kettenraucher, Whiskey-Liebhaber und barsch im Ton. Er erweist sich aber bald als grundgütiger Buddhist und Menschenfreund, der sich um seine Mitarbeiter ebenso sorgt wie um die Geister der Verstorbenen, und dabei stets dem Wesen der Dinge auf den Grund geht.

Ihr junger Kollege Takada ist eine ebenso empfindsame Seele wie sie, mit dem sie sich über die "Einsamkeit der Mandarinenschale" und "des Erwachsenwerdens" austauschen kann. Und sogar die beiden comic-artig skizzierten "Veteranen" der Firma, Yamamoto und Suga, sind bei näherer Betrachtung liebenswürdig.

Der Tod ist ein Teil des Lebens, und das Leben ein unaufhaltsamer Prozess

Weil der Roman in einer nicht näher genannten japanischen Großstadt spielt, handelt es sich bei den Toten, deren Wohnungen gesäubert werden müssen, um Kodokushi-Fälle, wie einsam Verschiedene ohne soziale Kontakte genannt werden – und die dementsprechend lange unentdeckt bleiben.

Auch die ekligen Details des langsamen Zerfalls spart "Oben Erde, unten Himmel" nicht aus, jedoch ganz ohne absichtsvolle Schock-Momente zu beschwören. Der Tod ist ein Teil des Lebens, und das Leben ein unaufhaltsamer Prozess, lautet die deutliche Botschaft.

Dass sich das Buch dennoch nicht wie eine Schmonzette liest, liegt am Gespür der Autorin für bildhafte Details, Situationskomik, einnehmend-eigenwillige Charaktere – und den feinen Sinn fürs Transzendente, der auch Herrn Sakai auszeichnet.

Lesen Sie auch

Lesen Sie auch

Flasar, deren Mutter Japanerin ist, malt das eingängige Bild des heutigen Japans als einer effizienzgesteuerten und starr normierten Gesellschaft, deren hochtouriges Getriebe umso mehr menschliche Funktionsausfälle hervorbringt. Schon in ihren Büchern "Herr Katō spielt Familie" und "Ich nannte ihn Krawatte" tritt an die Stelle mitunter gnadenloser Qualverwandschaften mehr und mehr eine nach Neigung gewählte Ersatz-Familie, die für ein bisschen Geborgenheit sorgt. Und immer sind Milena Michiko Flasars skurril-sympathische Heldinnen und Heroen Außenseiter: All jene, die zu klein, zu groß, zu verträumt fürs tägliche Hamsterrad sind.


Milena Michiko Flasar: "Oben Erde, unten Himmel" (Wagenbach, 296 Seiten, 26 Euro)
Buchvorstellung: Dienstag, 28. Februar 2023, 19 Uhr, Literaturhaus, Bibliothek, 15 Euro

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.