Mut und Missverständnis
Er gibt auch als Romanfigur noch viel her. Nun hat ihn sich der vielfach ausgezeichnete irische Schriftsteller Colm Tóibín (Jg. 1955) ausgesucht und widmet Thomas Mann eine Romanbiografie in 18 Kapiteln oder Zeitsprüngen von "Lübeck 1891" bis "Los Angeles 1950".
Das Werk Thomas Manns spielt dabei nur eine Nebenrolle. Die großen Romane wie "Buddenbrooks" und "Zauberberg" fallen unversehens aus dem Literaturhimmel und spiegeln das Leben ihres Autors. Wir sind in Venedig hinter den Kulissen der Novelle "Der Tod in Venedig" dabei und erleben die Genese der politischen Schriften aus Tischgesprächen.
Im ersten Teil geht es mit dem tatsächlichen Geschehen etwas drunter und drüber
Dabei erzählt Tóibín die Moritat von Thomas Mann und den Seinen sehr geschickt wie ein kluger Bänkelsänger, der oft auch einprägsame Sentenzen findet wie: "Die Zeit seiner Familie war vorbei" oder: "Er hatte Deutschland missverstanden".
Im ersten Teil bis zum Beginn des Exils geht es mit dem tatsächlichen Geschehen zwar etwas drunter und drüber. Aber im zweiten Teil, der Thomas Mann erst besuchsweise und dann auf Dauer nach Amerika führt, ist der Romancier Colm Tóibín sattelfester.
Der "Danksagung" ist zu entnehmen, dass Tóibín ausschließlich englischsprachige Literatur herangezogen hat, darunter übersetzte deutsche Standardwerke. Streckenhelfer gab es mehrere, darunter Holger Pils vom Lyrik-Kabinett München. Und dem soeben erschienenen Buch "Thomas Manns Krieg" (Wallstein Verlag) des jungen deutsch-amerikanischen Professors Tobias Boes verdankt der Roman den Akzent auf die politische Strategie, die hinter den Besuchen Thomas Manns bei Präsident Roosevelt und den aufrüttelnden Radioreden an "Deutsche Hörer" stand.
Der Titel "Der Zauberer" ist der unvollendeten Thomas Mann-Biografie Peter de Mendelssohns (1975) entliehen, und an manchen Stellen schimmert der Film "Die Manns. En Jahrhundertroman" (2001) von Heinrich Breloer, durch.
Viel Neues gibt es nicht, dafür werden manche Klischees wiederholt wie Thomas Manns angebliche "Doppelzüngigkeit" (statt der besser angebrachten Janusköpfigkeit), oder das Werk wird in einen Satz verdichtet, der von einem missmutigen Mann-Leser stammen könnte: "Er hatte zugelassen, dass trockener Humor und Gesellschaftsschilderungen sein Schreiben bestimmten". Fehlt nur noch die Klage der Leser "über die Länge seiner Sätze"...
Wiedersehen mit München nach 16 Jahren Exil fällt ernüchternd aus
Stark ist Tóibín, der schon 2004 einen Bestseller-Roman über Henry James ("The Master") geschrieben hat, dagegen in der Erfindung möglicher Szenen, so etwa, wenn er aus den später verbrannten Tagebüchern Thomas Manns die Liebesgeschichte mit dem jungen Klaus Heuser rekonstruiert oder Albert Einstein Katia Mann einen Heiratsantrag machen lässt. Die Standing Ovations für den demokratischen Wanderredner Thomas Mann in den USA wirken authentisch und ergreifend. Doch der "Doktor Faustus" wird falsch datiert, und der "Joseph"-Roman kommt gar nicht erst vor.
Das Wiedersehen mit München 1949 nach 16 Jahren Exil fällt hier ernüchternd aus: "Das war nicht mehr das München der feinfühligen Seelen und der exklusiven gesellschaftlichen Verbindungen - hier zeigte sich die krachlederne Seele des bayrischen Dorfes auf Stadtgang." Am Ende bleibt nichts: "Er hatte Lübeck verloren und München. Und jetzt würde er auch das verlieren, Pacific Palisades." Tatsächlich vertrieb die amerikanische Kommunistenhetze Thomas Mann in die Schweiz, seine "neue Exilheimat".
Die Übersetzung des Romans von Giovanni Bandini liest sich stimmig und leicht. Und wenn es auch nicht immer alles wahr ist, so ist es doch gut erfunden.
Colm Tóibín stellt "Der Zauberer" (Hanser, 558 S., 28 Euro) am Montag, 18. Oktober, 20 Uhr im Literaturhaus vor, Tel. 01806 700733, literaturhaus-muenchen.de, Saal oder Stream
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