Interview

Münchner Autor schreibt über Kerouac: Das Leben in Prosa umgestalten

Mit "On the Road" wurde Jack Kerouac zum berühmtesten Vertreter der Beat-Generation: Nicola Bardola hat zum 100. Geburtstag des Autors eine Biografie geschrieben.
von  Volker Isfort
Jack Kerouac mit seiner damaligen Freundin Joyce Johnson (im Hintergrund) zur Zeit der Veröffentlichung von "On the Road" 1957.
Jack Kerouac mit seiner damaligen Freundin Joyce Johnson (im Hintergrund) zur Zeit der Veröffentlichung von "On the Road" 1957. © Foto: Imago

München - Das Manuskript ist eines der berühmtesten der Welt. Im April 1951 bastelte der nahezu unbekannte amerikanische Autor Jack Kerouac eine mehr als 36 Meter lange, mit Klebestreifen zusammengehaltene Papierrolle, spannte sie in seine Schreibmaschine und machte sich "On the Road".

In weniger als drei Wochen schrieb Kerouac über seine Touren durch die USA und Mexiko, per Anhalter, zu Fuß und im Überlandbus, und von seiner Freundschaft mit anderen Autoren der Beat-Generation, wobei er viel bereits in seinen Notizen festgehaltenes Material benutzte.

Es dauerte noch sechs Jahre, bis sich ein Verleger für dieses Manifest des Nonkonformismus fand, in dieser Zeit der Ablehnung schrieb Kerouac fast ein Dutzend weiterer Bücher, nahezu sein ganzes Werk. Denn als mit der Buchveröffentlichung von "On the Road" der Ruhm einsetzte, bekam er sein Leben gar nicht mehr in den Griff - er starb mit nur 47 Jahren, sein Ruhm aber wuchs.

2001 wurde die Manuskriptrolle für über zwei Millionen Dollar versteigert. Am heutigen Samstag wäre Jack Kerouac 100 Jahre alt geworden. Der Münchner Autor Nicola Bardola hat die erste deutsche Biografie über ihn verfasst.

Autor Nicola Bardola sagt über Jack Kerouac: "Wenn man ihn genau liest, merkt man, dass man Kerouac in seiner Ausdruckskraft und Technik gar nicht übertreffen kann."
Autor Nicola Bardola sagt über Jack Kerouac: "Wenn man ihn genau liest, merkt man, dass man Kerouac in seiner Ausdruckskraft und Technik gar nicht übertreffen kann." © Foto: Markus Naegele

AZ: Herr Bardola, was fasziniert Sie so an Kerouac?
NICOLA BARDOLA: Schon als Teenager war Jack Kerouac wichtig. Damals ging ich in Zürich in der Nähe des Bellevue ins Gymnasium. Beim Buchhändler Hans Rohr in der Oberdorfstraße entdeckte ich "On the Road". Von dort geht es direkt in die Altstadt. Da gab es damals Sexkinos, Spielsalons, Spelunken, Tabledance Bars - das war die Gegenwelt zum bürgerlichen Schweizer Leben. In der Mittagspause habe ich Kerouac gelesen und bin durch die Gassen gegangen und da wurde mir klar: Ich lebe auf keinen Fall so weiter, wie meine Eltern sich das vorstellen. Zwei Jahre später habe ich als Student in Bern einen meiner ersten Artikel geschrieben: zum 10. Todestag von Jack Kerouac. Ich habe damals gesagt, dass Kerouac alle Moden, die nachkommen, ob Hippies oder Punks überleben wird.

Bardola über Kerouac: "Alle Gegenkulturen orientieren sich an ihm" 

Sie zitieren in ihrem Buch aber auch Hans Magnus Enzensberger mit den Worten "Kerouac ist der miserabelste Schriftsteller seiner Generation".
Was soll ich sagen? Beatniks und Gruppe 47 sind wohl unvereinbar. Außerdem ist das wahrscheinlich das Echo auf ein Zitat von Truman Capote, der mal sagte, die Beatniks, das sei "typewriting not writing", also tippen statt schreiben. Ein hochnäsiges Urteil, das dazu führte, dass sich in akademischen Kreisen manche nicht mehr die Mühe machten, Kerouac wirklich zu lesen. Soeben ist erstmals auf Deutsch über 60 Jahre nach der amerikanischen Ausgabe "Engel der Trübsal" erschienen, ein großartiger Roman. Es gibt Passagen, da fließt, was ihm spontan durch den Kopf geht, als Buchstaben auf das Papier. Andererseits kann er auch kraftvoll Natur und Meditation schildern. Man tut Kerouac Unrecht, ihn auf "On the Road" zu reduzieren. Ich würde als Einstiegsroman "Die Dharmajäger" empfehlen.

Worin besteht Kerouacs Bedeutung heute?
Er hat in den 1940er und 1950er Jahren eine Literatur geschaffen, aus der danach der New Journalism entstand. Kerouac hat die Hippies ermöglicht. Alle Gegenkulturen orientieren sich an ihm. Kein "Easy Rider" ohne "On the Road". Und auch der Literaturnobelpreisträger Bob Dylan ist ohne Kerouac undenkbar. Dylan sagte, Kerouac habe sein Leben verändert "wie das von allen anderen auch". Kerouac hat unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg mit der dynamischen Darstellung von Freiheitsdrang, Lebensbejahung, Konsumverweigerung, Rausch und Ekstase seine und alle nachfolgenden Generationen beeinflusst.

"Man merkt, was für ein besessener Leser er war"

Als Image blieb oft nur: Kerouac, der Trinker.
Ja, er hat zu viel Benzedrin geschluckt und sich später heillos in den Alkohol verrannt. Aber er war ein äußerst gewissenhafter Schreiber und Leser: ob Joyce, Proust, Goethe oder Mann, er hat die Weltliteratur studiert. Und was mich beim Lesen seiner Briefe fasziniert, ist seine Beurteilung der Musiker. Er hatte einen unglaublichen Riecher dafür, welcher Jazzmusiker später einmal ganz groß werden würde. Er hat sie alle sehr früh erlebt, in den kleinen Clubs. Auch in der Beurteilung der Schriftsteller finde ich ihn herausragend: Man merkt, was für ein besessener Leser er war und wie er sich mit seinem jeweils aktuellen Text zwischen den Kollegen positionierte.

"Kerouac suchte in der Meditation und der Einsamkeit nach Erleuchtung"

Was genau ist ein Beatnik?
Diese Frage hat Jack gehasst. Das ist ein Kunstwort, das ein Journalist in San Francisco in Anlehnung an Sputnik benutzt hat. Jack hat den Begriff bis zuletzt abgelehnt, aber die Modebranche ist sofort darauf angesprungen: Die Beatniks wurden von der Industrie schnell vereinnahmt, obwohl Kerouac die Kommerzialisierung ablehnte. Der Beat Generation ging es um Jazz, ein intensives Leben im Hier und Jetzt, Selbstbestimmung, den Einklang mit der Natur. Jacks Ziel war Erlösung in der Gegenwart, das suchte er im Schreiben, im Unterwegssein, in der Religion. Er ergänzte den Begriff Beat um die Bedeutung von "Beatitude", Glückseligkeit. Kerouac war gläubig und ersetzte den Katholizismus zum Entsetzen seiner Mutter durch Zen-Buddhismus. Kerouac suchte in der Meditation und der Einsamkeit nach Erleuchtung. Und dann scheiterte er, immer wieder.

In Ihrem Buch erlebt man die noch ganz junge Literatenclique um Kerouac, Allen Ginsberg und William Burroughs. Niemand hat irgendeinen Erfolg zu vermelden, dennoch glauben sie fest daran, die wichtigsten Autoren Amerikas zu werden.
Sie haben sich früh kennengelernt, an der Columbia University und teilweise lebten sie ja auch unter einem Dach, das verbindet. Sie haben gemeinsam geschrieben, sich gegenseitig angetrieben und unterstützt. Und sie hatten wirklich das Gefühl, genialisch zu sein. Selbstverständlich klingt das hochmütig, aber am Ende hatten sie Recht.

"Die Prosa von Kerouac ist nicht Plot-getrieben"

Eine Verfilmung von "On the Road", die Kerouac unbedingt mit Marlon Brando wollte, kam nicht zustande. Warum?
Es hat über fünf Jahrzehnte gedauert, bis "On the Road" verfilmt wurde. Francis Ford Coppola hatte schon früh die Rechte und hat viele Versuche unternommen, es umzusetzen. Er hat Probeaufnahmen gemacht, verschiedene Schauspieler und Drehbuchautoren beauftragt, mehrere Anläufe unternommen und es hat nicht funktioniert. Dann kam Walter Salles, der "Die Reise des jungen Che" gedreht hatte. Er hat den Film 2012 realisiert. Aber auch Salles ist vollkommen gescheitert. Meine These dazu ist: Die Prosa von Kerouac ist nicht Plot-getrieben, er hat selbst gesagt, dass er ein beschreibender Erzähler ist, der Plot hat ihn nicht interessiert. Plot-getrieben ist hingegen Kerouacs Leben, das war auch meine Maxime beim Schreiben der Biografie: Sein Leben hätte man verfilmen müssen, das ist der Filmstoff, nicht "On the Road".

"Er schafft es immer wieder, sein Leben in Prosa umzugestalten"

Dann gäbe es einen tragischen Höhepunkt in Ihrem Film: Jack und seine Freundin Joyce kaufen im September 1957 die "New York Times" und gehen in eine Bar. "On the Road", das gerade erscheint, wird in einem Artikel in höchsten Tönen gelobt. Am nächsten Tag bricht der Sturm los, aber als Künstler ist er fast erledigt.
Manche beerdigen den Künstler schon früher, nämlich nach Jacks Job als Feuerbeobachter auf dem Desolation Peak, weil er in der Einsamkeit auf dem Berg scheitert. Die zwei Monate ohne Alkohol und Rauschmittel machen ihm Angst. Viele meinen, das sei das Ende seiner Autorenkarriere gewesen, das teile ich nicht. Im späten Roman "Big Sur" beispielsweise verwandelt er ein Delirium Tremens in großartige Literatur. Er schafft es immer wieder, sein Leben in Prosa umzugestalten. Das ist schon bemerkenswert. Aber der plötzliche Ruhm war wirklich eine Katastrophe für ihn. Er war ein schüchterner Mensch. Er wurde zur ersten Pop-Ikone und kannte die Gefahren nicht. Elvis schien damals sein Leben noch unter Kontrolle zu haben. Den Club der 27 gab es noch nicht. Für Interviews mit Journalisten oder TV-Sendungen trank Kerouac sich Mut an. Dementsprechend desolat sind seine Auftritte.

Er schreibt fortan immer weniger und stirbt an seinem Alkoholmissbrauch im Alter von nur 47 Jahren. Was bleibt?
Die unmittelbare Umsetzung spontaner Eindrücke in Sprache hat er bis zum Exzess forciert. Er hat die "Spontaneous Prose" erfunden. Er wurde darin auch nie überboten. Es gibt ja keine Kerouac-Schüler in dem Sinn, dass Autoren sagen würden, wir schreiben so wie er. Das hat einen Grund: Wenn man ihn genau liest, merkt man, dass man Kerouac in seiner Ausdruckskraft und Technik gar nicht übertreffen kann.


Nicola Bardola: "Jack Kerouac: Beatnik, Genie, Rebell" (Goldmann, 368 Seiten, mit zahlreichen Fotos, 22 Euro)

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