Kritik

Moskaus stinkende Heringe: Der russische Cyberkrieg gegen Deutschland

Das brisante Buch "Putins Angriff auf Deutschland" beschäftigt sich mit russischen Cyberattacken
Christoph Bartscherer |
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Deutschland ist das bevorzugte Zeil russischer Cyberattacken.
Deutschland ist das bevorzugte Zeil russischer Cyberattacken. © IMAGO/Jochen Tack

Unmittelbar vor Beginn der Münchner Sicherheitskonferenz sind letzte Woche die Bayerische Staatskanzlei, das Bayerische Staatsministerium für Digitales und die Bayerische Polizei Ziel eines Angriffs von Cyberkriminellen geworden. Wie das Landesamt für Sicherheit in der Informationstechnik mitteilte, ist "mit hoher Sicherheit" davon auszugehen, dass es sich dabei um eine Aktion prorussischer Aktivisten handelte.

Diese sind keineswegs auf staatliche oder militärische Einrichtungen beschränkt, sondern richten sich auch gegen deutsche Unternehmen. Nach Aussage von Bayerns Justizminister Eisenreich ist "zwischen August 2023 und August 2024 der Schaden durch Cyberattacken für die deutsche Wirtschaft auf einen neuen Rekordwert von etwa 179 Milliarden Euro angestiegen".

Natürlich gibt es keine Fotos, wie Putin auf einen roten Knopf drückt, um einen Cyberangriff auf Deutschland auszulösen. Daher müssen wir uns hier mit einem Foto von einem Manöver behelfen.
Natürlich gibt es keine Fotos, wie Putin auf einen roten Knopf drückt, um einen Cyberangriff auf Deutschland auszulösen. Daher müssen wir uns hier mit einem Foto von einem Manöver behelfen. © picture alliance/dpa/Pool Sputnik Kremlin/AP

Warum Deutschland die Zielscheibe des russischen Cyberkriegs ist

Angesichts dieser Ausgangslage ist es ein unentbehrlicher Beitrag zu unserer Sicherheit, wenn sich der Osteuropa-Experte Arndt Freytag von Loringhoven in seinem Sachbuch "Putins Angriff auf Deutschland" mit der Frage auseinandersetzt, wie stark das heutige Russland durch gezielte Cyberattacken, Propaganda und Desinformation unsere Gesellschaft zu verunsichern und unsere Demokratie nachhaltig zu destabilisieren sucht.

Mit großer Überzeugungskraft entfaltet Loringhoven vor den Augen des Lesers, warum insbesondere Deutschland zur Zielscheibe von Russlands hybridem Krieg geworden ist: "Deutschland ist das wichtigste europäische Ziel in Putins Informationskrieg. Wir sind einem permanenten Trommelfeuer von Fake News und Propaganda ausgesetzt. Bei den meisten Debatten über umstrittene und kontroverse Themen, von Migration, Covid, dem Ukraine- und dem Gazakrieg bis zum Aufstieg der AfD, hatte Moskau seine Finger im Spiel. Systematisch und planvoll legt es Moskau darauf an, unsere Demokratie zu schwächen, die Gesellschaft zu spalten und die Unterstützung für die Ukraine zu unterlaufen."

Deutschland ist das bevorzugte Zeil russischer Cyberattacken.
Deutschland ist das bevorzugte Zeil russischer Cyberattacken. © IMAGO/Jochen Tack

In den vom Kreml ausgelösten Kampagnen geht es dabei leitmotivartig um den Ukraine-Krieg. Um eine Entsolidarisierung der deutschen Bevölkerung zu erreichen, wird die Ukraine als eine Nazi-Hochburg dämonisiert und die ukrainischen Flüchtlinge als faule Schmarotzer diffamiert. Gleichzeitig wird der Bundesregierung vorgeworfen, die eigene Bevölkerung zugunsten der Ukraine zu vernachlässigen.

Von Deutschland hängen wichtige Entscheidungen ab

Ausschlaggebend für diese Konzentration auf Deutschland ist die Person des russischen Präsidenten selbst. Nach Ansicht Loringhovens hat Wladimir Putin einerseits eine persönliche Affinität zu Deutschland, weil in Dresden seine Karriere als junger KGB-Offizier begann, er im Deutschen Bundestag 2001 seine frenetisch bejubelte "Friedensrede" hielt und er - neben milliardenschweren Geschäften wie den profitablen Nord-Stream-Projekten - eine langjährige Männerfreundschaft mit Altkanzler Gerhard Schröder pflegte.

Putin und sein deutscher Lieblingsfreund.
Putin und sein deutscher Lieblingsfreund. © picture-alliance / dpa/dpaweb

Gerade das politische und wirtschaftliche Gewicht, das Deutschland in der EU hat, lassen es in den Fokus des russischen Cyberkriegs rücken: "Von der deutschen Positionierung hängen europäische Entscheidungen über alle Themen ab, die für den Kreml wichtig sind - Energieimporte, Verteidigungspolitik, Sanktionen, der Beitritt der Ukraine zu EU und NATO, das Verhältnis zu Russland."

Zieht man zudem noch in Betracht, dass Berlin heute der zweitgrößte Unterstützer Kiews ist, dass in Deutschland eine Gruppe von 3,5 Millionen russischsprachiger Menschen lebt und es bei uns eine große Zahl an eingeschworenen Russland-Verstehern gibt, dann erschließt sich von selbst, warum vor allem Deutschland im Fadenkreuz von Russlands Cyberarmee steht.

Irgendetwas bleibt immer hängen

Putin und seinen Schergen spielte dabei, wie Loringhoven erläutert, in die Hände, dass mit dem Verbot der russischen Staatsmedien RT DE und Sputnik in Deutschland der Strom der Desinformation und Propaganda in die sozialen Netzwerke abgewandert ist, die heute in der medialen Welt die "politische und gesellschaftliche Deutungshoheit", also die größte mediale Reichweite und Breitenwirkung haben. Denn soziale Netzwerke schaffen, wie Loringhoven plausibel darlegt, "eine fragmentierte Öffentlichkeit, in der Menschen sich mit Informationen umgeben, die ihre Weltsicht bestätigen, statt sie herauszufordern". Das Verhalten von Individuen in sozialen Netzwerken gleicht dem Verhalten eines großen "Vogelschwarms" (Renée DiResta), bei dem die Vögel ihr Verhalten am Verhalten ihres Flugnachbarn ausrichten. Durch diese kollektive Vernetzung sind Fehlsteuerungen vorprogrammiert.

Ein Polizist von der zentralen Ansprechstelle Cybercrime im Landeskriminalamt Niedersachsen steht mit einer Weste mit Aufschrift "Cyberpolizei" bei der Messe "Gamevasion" in der Messe Hannover.
Ein Polizist von der zentralen Ansprechstelle Cybercrime im Landeskriminalamt Niedersachsen steht mit einer Weste mit Aufschrift "Cyberpolizei" bei der Messe "Gamevasion" in der Messe Hannover. © picture alliance/dpa

Putins Hackerbanden und Troll-Fabriken setzen, wie Loringhoven überzeugend dokumentiert, bei ihren unsichtbaren Angriffen auf Schnelligkeit und Quantität, weil erste Eindrücke meist hängenbleiben und ein inflationäres Angebot widersprüchlicher Behauptungen den Nutzer verwirrt. Dabei bedienen sie sich typischer KGB-Methoden, um das Meinungsbild ihrer Zielgruppen negativ zu beeinflussen, wie etwa den "faulen Hering" oder die "anekdotische Evidenz".

Beim Einsatz des "faulen Herings" wird einer Person durch falsche und rufschädigende Behauptungen ein übler Geruch angeheftet, bei der Anwendung der "anekdotischen Evidenz" wird ein Einzelfall zu einem Massenphänomen aufgebauscht und als exemplarisch dargestellt. Die Lügen, die uns vom Cyberheer Putins massenweise aufgetischt werden, sind oft absurder Natur und tragen gesellschaftsschädigendes Gift in sich. Es lohnt sich an dieser Stelle, einige der Beispiele zu nennen, die Loringhoven anführt, um ihr denunziatorisches Potenzial zu entlarven.

Im Netz Lügen verbreiten

So wurde etwa in einem YouTube-Video behauptet, dass die Schwiegermutter von Präsident Selenskyj am Roten Meer eine Nobelvilla direkt neben dem Anwesen von Angelina Jolie erworben habe. Als die Nachricht kurz darauf im Netz als Fake floppte, tauchten einige Monate später neue Videos auf, in denen mitgeteilt wurde, der Urheber des ersten Videos sei von Agenten des ukrainischen Geheimdienstes ermordet worden. Diese frei erfundene Geschichte ist deshalb so nennenswert, weil sie "sogar im US-amerikanischen Kongress im Zusammenhang mit der Fortführung der ukrainischen Militärhilfe diskutiert" wurde.

Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), Außenministerin, lässt sich von Matthew Salier, Geschäftsführer des Australischen Zentrums für Cyber-Zusammenarbeit, und Studentinnen und Studenten eine Cyber-Übung demonstrieren.
Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), Außenministerin, lässt sich von Matthew Salier, Geschäftsführer des Australischen Zentrums für Cyber-Zusammenarbeit, und Studentinnen und Studenten eine Cyber-Übung demonstrieren. © picture alliance/dpa

Eine der krudesten Lügen der kremltreuen Propaganda ist das im Netz verbreitete Gerücht, "dass Deutschland Konzentrationslager in Polen baue, um die Flüchtlinge wieder schnell aus Deutschland ausweisen zu können". Denn Deutschland habe nun einmal die "Angewohnheit", Konzentrationslager zu bauen. Ebenso auf das Konto russischer Propagandisten geht die 2023 durch die sozialen Medien geisternde Meldung, dass in französischen Hotels verstärkt Bettwanzen aufgetreten seien, die womöglich ukrainische Flüchtlinge eingeschleppt hätten. In der französischen Nationalversammlung wurde deshalb sogar extra verlangt, einen Notfallplan zu entwerfen.

In Deutschland haben Putins Hacker, Influencer und Troll-Armeen einen wesentlichen Anteil am Aufstieg der AfD und der rechtsextremen Kräfte. Loringhovens Nachforschungen haben ergeben, dass es "enge Verbindungen zwischen Kreml und AfD in der analogen Welt" gibt, obwohl diese "digitale Partnerschaft weniger "eine Zusammenarbeit im engeren Sinn" ist, sondern mehr ein synergiebildendes "Übereinkommen, von dem beide Seiten profitieren".

Die Lieblingsopfer der Angriffe

So wird zum Beispiel bei dem deutschsprachigen TikTok-Kanal "Bloß mit Biss" - seine Posts haben oft bis zu mehrere Millionen Aufrufe - die Verbindung zu Russland zwar nicht direkt deutlich, aber eigentlich wird der Kanal von "SNA News" produziert, dem deutschen Arm des russischen Staatssenders Sputnik. "Hauptziel ist es", so Loringhausen, "die Grünen, SPD, CDU/CSU und FDP zu diffamieren. Die Lieblingsopfer sind Robert Habeck, Annalena Baerbock, Ricarda Lang, Olaf Scholz, Christian Lindner, Nancy Faeser, Kevin Kühnert, Marie-Agnes Strack-Zimmermann und Altkanzlerin Merkel."

Putin, Alice Weidel und Sahra Wagenknecht als "Barbies und "Ken""im Mainzer Rosenmontagszug.
Putin, Alice Weidel und Sahra Wagenknecht als "Barbies und "Ken""im Mainzer Rosenmontagszug. © picture alliance/dpa

Dass Putins Propagandamaschine rechtsextreme und populistische Kräfte in Europa unterstütze, sei evident und habe System, argumentiert Loringhoven. Seine Wertschätzung für diese Strömungen zeige Präsident Putin ganz offen: Ranghohe AfD-Politiker - darunter Alice Weidel und Jörg Meuthen - wurden mit Erfolg nach Moskau eingeladen, die Kreml-Partei Einiges Russland habe ein Kooperationsabkommen mit der österreichischen FPÖ und die rechte Front National, die inzwischen Rassemblement National heißt, "erhielt aus Russland einen Kredit in Höhe von mehreren Millionen Euro".

Der Anführer des globalen Konservatismus

Kein Wunder also, dass "fast alle rechten Kräfte in Deutschland - AfD, Pegida, Identitäre, Reichsbürger, Querdenker, Neonazis - Sympathien für Putins Russland" zeigen. Das habe auch damit zu tun, dass Putin, der sich gerne als "Anführer eines neuen globalen Konservatismus" sieht, es geschafft habe, Russland bei den Rechten als "Wertebastion gegenüber einem dekadenten Europa" und "als konservativ-bewahrenden Gegenpol zum hyperliberalen westlichen ‚Gayropa'" zu verkaufen.

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Es lässt sich kritisch anmerken, dass die letzten 100 Seiten des Buches zu sehr abschweifen, indem sie dystopische Prognosen über die Zukunft des Internets stellen oder lehrbuchartige Handlungsanleitungen gegen die russische Bedrohung geben. Aber dies kann nicht davon ablenken, dass die Intention und Stoßrichtung von Loringhovens Ausführungen voll ins Schwarze treffen.

Loringhoven fordert uns auf, endlich zu begreifen, wie massiv der von Russland geführte hybride Angriffskrieg ist. Es spricht für sich, wenn unsere Regierung für den Informationskrieg nur eine Handvoll Experten abstellt und die europäische StratCom (= NATO Strategic Communication Center of Excellence) nur über ein Jahresbudget von 12 Millionen verfügt, während der Kreml dafür jährlich "ca. 4 bis 6 Milliarden Dollar" aufwendet. Darum fordert Loringhoven völlig zu Recht, endlich aufzuwachen und entschiedene Gegenmaßnahmen zu ergreifen.

Arndt Freytag von Loringhoven: "Putins Angriff auf Deutschland" (Econ, 336 S., 24,99 Euro)

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