"Matrix" von Lauren Groff: In weiblicher Klausur

Lauren Groff beschreibt in ihrem neuen Roman "Matrix" eine feministische Entwicklungsgeschichte im 12. Jahrhundert.
von  Florian Schmid
Die amerikanische Autorin Lauren Groff.
Die amerikanische Autorin Lauren Groff. © Foto: Eli Sinkus

Das Leben der Nonnen im mittelalterlichen Kloster gilt eigentlich kaum als geeigneter Gegenstand einer feministischen Erzählung. Dennoch entwickelt die New Yorker Schriftstellerin Lauren Groff in ihrem Roman "Matrix" eine außergewöhnliche Geschichte weiblicher Selbstermächtigung im ausgehenden 12. Jahrhundert, die in einem englischen Kloster angesiedelt ist.

Im Zentrum des 300-seitigen Romans steht die historische Figur der Marie de France. Die gilt als erste bekannte Dichterin, die in französischer Sprache schrieb. In ihren auf Anglonormannisch verfassten "Lais", der Interpretation einer bretonischen Gedichtform, verarbeitete sie Sagen, Feen und andere Märchenstoffe formulierte aber auch eine deutliche Kritik an der Frauenfeindlichkeit der damals weit verbreiteten Minnegesänge.

Feministischer Roman über eine historische Figur

Kein Wunder, dass sich diese historische Figur für einen feministischen Roman eignet. Über die Herkunft von Marie de France gibt es zahlreiche Spekulationen, wahrscheinlich war sie von adeliger Herkunft, was auch ihr hoher Bildungsgrad nahelegt.

Mitte des 12. Jahrhunderts soll sie in ein englisches Kloster geschickt worden sein, unter Umständen war sie die Äbtissin des Klosters von Shaftesbury. Die recht unklare Quellenlage nutzt Lauren Groff, um in ihrer Fiktion eine eigene, aus verschiedenen Spekulationen und Anleihen zusammengesetzte Person und deren Biografie zu schreiben.

Mit 17 Jahren wird die uneheliche Marie, die im Roman aus der königlichen Familie Plantagenet stammt, von ihrer Halbschwester, der damaligen Königin von Frankreich, Eleonore von Aquitanien, die später englische Königin und Mutter des legendären Richard Löwenherz wird, in ein verarmtes Kloster in England geschickt.

Lauren Groff  beschreibt Kälte und bedrückende Stimmung

Die unattraktive Marie, fast zwei Köpfe größer als alle anderen Frauen, kann im Gegensatz zu den Damen am königlichen Hof nicht nur reiten, sondern auch mit dem Schwert kämpfen und hat mit ihrer Mutter als Kind sogar an einem Kreuzzug teilgenommen. Ihr Leben als Nonne zu fristen, ist für sie unvorstellbar.

Schließlich reist sie in das heruntergekommene Kloster, das gerade von einer Krankheit heimgesucht wird, an der zahlreiche Nonnen sterben. Lauren Groff fängt die bedrückende Stimmung in dem mittelalterlichen Gemäuer ein, beschreibt die Kälte, das mangelnde Licht und den allgegenwärtigen Hunger bei harter Arbeit. Dort muss Marie bleiben, die eigentlich heimlich in Königin Eleonore verliebt ist.

Natürlich hadert sie mit der Klosterordnung, arrangiert sich aber schließlich gezwungenermaßen mit den Nonnen und bringt jede Menge praktischen Sachverstand mit, der dem ganzen Kloster zugutekommt. Nach einigen Jahren steigt Marie sogar zur Äbtissin auf und leitet das Kloster.

Religiöse Visionen eines drohenden Untergangs

Lauren Groffs fiktionale Marie de France schreibt ihre berühmten Gedichte nachts als Liebeserklärungen an Königin Eleonore und hofft, so dem Kloster zu entfliehen und an den Hof zurückkehren. Das gelingt aber nicht. Also beginnt sie als wehrhafte, selbstbewusste Frau, die Interessen der Nonnen und die Ansprüche des Klosters in der Gegend durchzusetzen, zumal die Äbtissin auch den Rang einer Baronin innehat.

Überdies hat Marie religiöse Visionen eines drohenden Untergangs, was sie veranlasst, ein komplexes Labyrinth im Wald bauen zu lassen, hinter dem das Kloster versteckt ist. Sie entwirft aber auch ein Bewässerungssystem und im Laufe der Zeit werden weitere Gebäude errichtet. Das Kloster wird größer und wohlhabend. Nach anfänglich zwanzig verarmten Nonnen, leben dort später fast zweihundert Schwestern mit Bediensteten und reiche adelige Damen verbringen dort ihren Lebensabend.

Bald ist Äbtissin Marie eine bekannte Person, die aber auch im Streit mit den Kirchenoberen, unter anderem dem Bischof liegt. Denn als in England Ende des 12. Jahrhunderts gemäß einem vatikanischen Interdikt keine Messen mehr gelesen werden dürfen, hält Marie nicht nur selbst im Kloster die Messe, sie nimmt sogar Beichten ab und verstößt eklatant gegen grundlegende Regeln der Kirche.

Marie wird zur politisch mächtigen Person. Das zu Beginn als Gefängnis wahrgenommene Kloster wird für sie zu einem Projekt der Emanzipation, in dem sie einen sicheren Raum für Frauen schafft, der aber keineswegs konfliktfrei bleibt.

In Lauren Groffs Roman wird das Kloster zum Ort der weiblichen Selbstorganisierung gegen eine Welt der Männer, deren Gewalttätigkeit immer wieder eine Rolle spielt. Autorin Lauren Groff gelingt es, eine literarische Perspektive auf das Mittelalter zu entwerfen, die sich radikal von gängigen Bildern absetzt und mit ihrer Version der Geschichte von Marie de France die Biografie einer bedeutenden historischen und künstlerischen Akteurin jener Zeit einfängt.

Lauren Groff stellt "Matrix" (Claasen-Verlag, 320 Seiten, 24 Euro) am 15. September um 20.30 Uhr im Literaturhaus vor.

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