Marlene Dietrich: Irdisch und doch ein Traum
Kleider machen Leute: klingt abgedroschen, auch wenn etwas Wahres dran ist. Aber es gibt natürlich Personen, bei denen die Kleidung klare Botschaften sendet. Marlene Dietrich gehörte sicher dazu - und zwar als besonders markantes Beispiel.
Man hätte also einen Bildband machen können und Marlene von den 20ern bis in die 70er verfolgen können: von der sinnlich-pummeligen Großstadtgöre, über die überstilisierte Sternberg-Ikone, US-Army-Uniformträgerin und dann wieder Glamour-Chansonière bis zur "schönsten Großmutter der Welt" und späten Auftritten, die Susan Sonntag als "camp" bezeichnet hätte: als selbstkarikierenden Pomp-Kitsch.
So ist die Idee, Marlene Dietrichs Biografie an den "Kleidern ihres Lebens" - so der Untertitel - aufzuhängen, zwar vielleicht etwas künstlich, aber möglich, auch wenn die Autorin Gabriele Katz eben keinen Bildband, sondern eine dreihundertseitige, natürlich modisch bebilderte Lebensgeschichte des größten deutschen Stars des 20. Jahrhunderts geschrieben hat.
Dafür hat sie natürlich auch den Nachlass und Kleiderschrank der Dietrich in der Deutschen Stiftung Cinemathek besucht, der nach dem Tod Marlenes Anfang Mai 1992 in Paris, nach Berlin kamen.
Schlüsselmoment: "La Dietrich" in Las Vegas
Ein Schlüsselmoment, um zu verstehen, wie Marlene Dietrich mit Kleidung umging, ist der dreiwöchige, fast tägliche Auftritt im 1.600 Zimmer zählenden Casino-Hotel Sahara in Las Vegas im Dezember 1953. Die Dietrich galt seit Mitte der 30er als "Kassengift" - abgesehen von der kurzen, phänomenalen Wiederbelebung des Westerngenres 1939 durch die Komödie "Der große Bluff".
Dann begann der Zweite Weltkrieg. Danach erhielt Marlene Dietrich zwar 1947 die "Medal of Freedom" als höchste zivile Auszeichnung des US-amerikanischen Kriegsministeriums für ihren Truppeneinsatz, drei Jahre später ernannte sie Frankreich zur "Ritterin der Ehrenlegion". Aber jetzt, gerade in den USA, hätte man von einer Frau ihres Alters den diskreten Rückzug erwartet. Doch die bald 52-jährige Dietrich steht vor dem Beginn eines neuen Selbstentwurfs: der Wiedergeburt als Chansonière und Entertainerin.

Marlene engagierte Jean Louis Berthault, den Chefdesigner und Kostümbildner für die Columbia Pictures, der schon Rita Hayworth in "Gilda" weltberühmt gemacht hatte. "Mit einem Abendkleid kann man heutzutage nichts Sensationelles mehr machen außer den Ausschnitt tiefer rücken", meinte Marlene: "Ich aber will ein Kostüm, in das alle Frauen sich hineinträumen und aus dem alle Männer ihre Frauen im Traum entkleiden."
Heraus kam etwas Irrsinniges: Ein hautenges, unsichtbares Tüllgewebe, auf das Pailletten, Perlen und Strasssteine appliziert waren - millimetergenau. Die Anfertigung dauerte Wochen, ging über Kontinente und Marlene stand mehrere Tage acht Stunden lang zur Anprobe still, bis auf das Anzünden von Zigaretten, was die Schneider in Panik versetzte.
Ein "Quasi-Nacktkleid" wird zum Trend
Das Quasi-Nacktkleid war leicht entflammbar und entflammte innerhalb weniger Sekunden dann auch das gesamte Publikum. Es war Trendsetting - bei Marilyn Monroe und noch 1988 rief Marlene Dietrich empört bei Jean Louis an, als Cher bei den Oscars ein ähnliches Kleid von Bob Mackie trug: "Sie haben schon wieder unser Kleid kopiert!"
Im Juni 1954 setzte Marlene Dietrich ihre neue Karriere als Entertainerin fort - im Londoner Café de Paris am Leicester Square: vier Wochen, je sechs Vorstellungen nur 45 Minuten - eingeführt von den größten Schauspiel- und Bühnenstars, wie Noel Coward, der sie in einem Gedicht mit Eva, Kleopatra, und Helena verglich, die Marlene alle in den Schatten stellen würde - und wieder riskierte sie fast ein "fantastisches Nichts, das sie beinahe anhatte", wie es später einmal James Bond gegenüber einem nackten Bondgirl sagen würde.
Interessanterweise gibt es ja von Marlene Dietrich in ihren früheren Jahren die gegenteilige Stilisierung, die fast zur Auflösung ihres Vertrages mit der Paramount in Hollywood geführt hätte. Bereits Ende der 20er Jahre, noch in Berlin, war Marlene Dietrich in Männerkleidern aufgetreten - und in ihrem ersten US-Film, "Marokko" (1930) von Joseph von Sternberg küsst sie in Frack und Zylinder - die so zu Ingredienzien des Weiblichen werden - eine Frau, um im Nachtclub Gary Cooper als Fremdenlegionär zu provozieren.
Emanzipatorischer Wink in Richtung Hollywood
Als sie 1932 sich bei der Premiere von "Im Zeichen des Kreuzes" zwischen Gary Cooper und Maurice Chevalier im Smoking fotografieren lässt, ist dies mehr als nur eine Hommage an ihre Geliebte, die Journalistin Mercedes de Acosta, sondern auch ein emanzipatorischer Wink an Hollywood und die gesamte Gesellschaft: Der weibliche Dandy ist geboren, und Frauen reihen sich jetzt auf Augenhöhe ein statt Schmuckstücke zu sein.
Marlene zierte zigfach das Vogue-Cover, ließ sich zum Beispiel von Dior einkleiden, und die Klatschpresse feierte ihre Kleider, um dahinter amouröse Privatgeschichts-Botschaften zu erkennen, was oft stimmte.
Und wenn Marlene Dietrich gegen Ende - sie war bereits über 70 Jahre alt - im Schwanenmantel, dem wohl "glamourösesten Kleidungsstück der Welt" wie die "Zeit" damals schrieb, auftrat, dann war der ehemalige Leinwand- und Entertainmentstar endgültig auf dem Olymp angekommen als eine Statue aus Fleisch und Blut. Aber sie wirkt eben auch - gerade in den lässigen Hippiejahren - in einer Nostalgiewolke aus Pelz und Glamour der Wirklichkeit entrückt - nicht nur eine Diva, sondern göttlich, auch noch an ihrem heutigen 120. Geburtstag.
Gabriele Katz: "Marlene Dietrich - Die Kleider ihres Lebens (Langen Müller Verlag, 320 Seiten mit zahlreichen Fotos und Modeskizzen, 24 Euro)
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