Marie Theres Relin und Franz Xaver Kroetz mit "Szenen keiner Ehe": Residenztheater zurück im 19. Jahrhundert

Nach 17 Jahren Scheidung unternehmen Marie Theres Relin und Franz Xaver Kroetz eine gemeinsame Reise, schreiben ein paralleles Tagebuch und veröffentlichen dieses unter dem Titel "Szenen keiner Ehe" unzensiert.
von  Anne Fritsch
Marie Theres Relin und Franz Xaver Kroetz – hier beim gemeinsamen Besuch des Circus Roncalli vor vier Jahren in München.
Marie Theres Relin und Franz Xaver Kroetz – hier beim gemeinsamen Besuch des Circus Roncalli vor vier Jahren in München. © imago images/Lindenthaler

Man – beziehungsweise frau – muss schon einigermaßen verzweifelt oder sehr abenteuerlustig sein, um sowas mitzumachen. Nach 14 Jahren Ehe und 17 Jahren Scheidung eine gemeinsame Reise unternehmen, ein paralleles Tagebuch schreiben und dieses unzensiert veröffentlichen. Marie Theres Relin und Franz Xaver Kroetz haben genau das gemacht.

Sein Auto stand noch auf Teneriffa, wo die Familie lange lebte und Relin noch immer ein Häuschen hat. Der alte Mercedes sollte also zurück nach München, die Kinder hatten keinen Bock, den noch älteren Vater auf der fast 3000 km langen Fahrt zu begleiten. Alleine wagte Kroetz die Reise nicht.

"Szenen keiner Ehe": Franz Xaver Kroetz schreibt über die Ex – und sie über ihn

Also blieb "die Ex", wie er Marie Theres Relin konsequent nennt. Weil das Auto aber erst fahrtüchtig gemacht werden musste und das viel länger dauerte als gedacht, saßen sie erstmal ein paar Wochen auf der Insel fest, überbrückten die Zeit mit Schreiben. Die Abmachung: beide schreiben jeden Tag, für sich.

Der oder die andere liest das Ergebnis nicht, die Texte gehen unabhängig und ungelesen an den Verlag. Ein Wagnis schon, wenn zwei sich vertrauen. Ein Wahnsinn, wenn zwei es nicht (mehr) tun? "Szenen keiner Ehe" wurde das Projekt genannt, Bezug nehmend auf Ingmar Bergmans "Szenen einer Ehe". (Auch das ist im übrigen nicht unbedingt die Geschichte einer glücklichen Liebe.)

Die Liebesgeschichte zwischen Relin und Kroetz endet, wo sie vor 26 Jahren begonnen hat

Anfang Oktober ist das Buch erschienen, nun haben die beiden im Residenztheater daraus gelesen. Eben dort hatte 1987 ihre Liebesgeschichte anscheinend begonnen. Nun wird sie also hier auch zu Grabe getragen, wenn man so will.

"Wir haben uns ja nicht scheiden lassen, weil wir uns so gern hatten", sagte Kroetz kürzlich in einer Talkshow. Und ja, der Ton, den er im Buch anschlägt, ist so, wie man es von ihm erwartet: derb, rau, eine große Portion Chauvi, eine noch größere Selbstmitleid und Larmoyanz. Ein echter Kroetz eben.

Marie Theres Relin und Franz Xaver Kroetz in einer TV-Talkshow.
Marie Theres Relin und Franz Xaver Kroetz in einer TV-Talkshow. © IMAGO/Stefan Schmidbauer

Er jammert über Schreibblockaden und den körperlichen Verfall (die Knie, die Prostata), wechselt auch bei der Lesung ostentativ und ständig von einer Brille zur anderen ("Sonst seh ich nix"). Und auch "die Ex" verschont er nicht. Fett sei sie geworden, nicht nur im Badeanzug, aber immer noch "knusprig" und "recht sexy". Darum: "Wäre ich, sagen wir, zwanzig Jahre jünger oder fünfzehn oder zehn, ich würde mich schon nochmal an das runde Weibchen ranmachen, ganz klar, sie ist noch recht appetitlich."

Ihre Fürsorge bezeichnet er als "begeisterte Hilfs-Onanie". Man kann sagen: Er ist ganz auf der Höhe, der alte weiße notgeile Mann. Ihre Körpermaße und ihr Schnarchen ziehen sich wie Leitmotive durch seine Texte, sie dagegen hadert mit seinem Stehpinkeln, analysiert die Klogänge des Exgatten akribisch ("Zum Beispiel hab ich die Vermutung, dass F. X. nur tagsüber im Stehen pinkelt").

Von Teneriffa bis Pasing: Marie Theres Relin erträgt die Anwesenheit von Ex-Mann Kroetz

Neuneinhalb Wochen (ausgerechnet!) verbrachten die beiden unter diesen Vorzeichen miteinander, von Oktober bis Dezember 2022, von Teneriffa bis Pasing. Immer wieder klingt an, dass sie wohl ziemlich pleite ist. Sie sammelt also Belege, er zahlt. Sie erträgt seine Anwesenheit, nimmt als Gegenleistung die Reise: "Ich freue mich darauf, trotz der Sticheleien. Mein Honorar für sechs Wochen Dichter am Stück. So eine Reise könnte ich mir im Alleingang eben nicht leisten."

Öfter gemeinsam unterwegs: Franz-Xaver Kroetz und seine Lebensgefährtin Janine Grund (li.) sowie seine Ex-Frau Marie-Theres Relin und Sohn Ferdinand 2012 bei der Premiere des Filmes "Bavaria – Traumreise durch Bayern".
Öfter gemeinsam unterwegs: Franz-Xaver Kroetz und seine Lebensgefährtin Janine Grund (li.) sowie seine Ex-Frau Marie-Theres Relin und Sohn Ferdinand 2012 bei der Premiere des Filmes "Bavaria – Traumreise durch Bayern". © picture alliance / dpa

Zwischen den beiden eine klassische Rollenverteilung: Sie kocht, er isst. Sie organisiert, er zahlt. Willkommen im 19. Jahrhundert. 2002 rief Relin die sogenannte "Hausfrauenrevolution" ins Leben, die – seine Theorie und durchaus konsequent – letztlich in der Trennung mündete. Sie erkennt die Mechanismen selbst, sieht und beschreibt, wie sie in alte Muster zurückfällt, sie (zu) viel schluckt und immer geschluckt hat. Schreibt Sätze wie: "Ich lebe sein Leben als Trittbrettfahrerin mit. Ein Déjà-vu." oder "Es hängt ohnehin alles von ihm ab."

Das Publikum im Residenztheater in München bekommt eine höfliche Version des Buches

Auf der Bühne des Residenztheaters lesen beide abwechselnd. Und durcheinander. Pfeifen auf die Chronologie. Springen durch die Zeiten. Er badet noch auf Teneriffa, sie weilt schon auf dem Festland. Es wirkt, als haben sie sich auch hier nicht abgesprochen. Eines fällt aber auf: Er zensiert sich selbst in der Lesung, die harten Chauvi-Sprüche lässt er raus (worauf sie ihn durchaus aufmerksam macht), dämpft es zur publikumswirksamen Unterhaltung frei von Altherren-Geilheit oder Bodyshaming.

Vielleicht hat ihm eins seiner Kinder erklärt, dass es so etwas gibt wie Anstand? Dass man das heute "woke" nennt und dass das gar keine so schlechte Sache ist? Jedenfalls ist das, was das Publikum im Residenztheater kredenzt bekommt, eine höfliche Version des Buches. 

Dschungelcamp in Buchform: Alle Scham wird für ein bisschen Rampenlicht abgelegt

Die beiden gewähren in ihren Texten tiefe Einblicke in ihre Leben und ihre Innenleben, beschönigen freilich gar nichts – und ein bisschen regt sich der Eindruck, sie hat es hier mit einer Verzweiflungstat zu tun, ein wenig Dschungelcamp in Buchform, ein lauter Schrei nach Aufmerksamkeit. Alle Scham ablegen für ein bisschen Rampenlicht.

Will man nun eine Qualität in diesem Buch finden, wäre es vielleicht die Desillusionierung. Keine Spur von Bohème in diesem Dichter- und Schauspielerinnenleben, stattdessen: Bonjour, tristesse. Auch ein Baby Schimmerlos und gefeierter Dramatiker wird alt. Auch eine berühmte Familie kann zum Gefängnis werden.

Die ruhigste und bewegendste Stelle: Relin deckt ein Trauma der Vergangenheit auf

Die beiden haben eines tatsächlich gemeinsam. Sie bekennen sich zum eigenen Scheitern – wenn auch ziemlich eitel. Und das ist irgendwie wieder souverän. Dass Relin am Ende dieser Reise erstmals die Vergewaltigung durch ihren Onkel Maximilian Schell in Worte fasst, ist wohl auch eine Konsequenz aus dieser Zeit mit dem Chauvi-Ex – aus der Erkenntnis, zu oft und lange geschwiegen zu haben. Es ist die ruhigste und bewegendste Stelle im ganzen Buch. Das eigene Trauma in Worte zu fassen und öffentlich zu machen, erfordert Mut.

Als Relin die Passage liest, ist es plötzlich still im Saal. Irgendwo schlummert da anscheinend doch eine Stärke in ihr. Und irgendwie hat das wohl auch der exzentrische Kroetz gespürt. Am Ende schreibt er jedenfalls: "Ich wäre total aufgeschmissen ohne sie, ich darf zwar fahren, aber nur sie weiß wohin." Und doch: Sieht oder liest man die beiden nun, im Jahre 2023, muss man sagen: Wären die noch verheiratet, es wäre definitiv Zeit für eine Hausfrauenrevolution 2.0.


Marie Theres Relin, Franz Xaver Kroetz: "Szenen keiner Ehe" (dtv, 320 S., 25 Euro)

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