Ken Follett: "Ich glaube nicht an Revolutionen"

Der Schriftsteller über "Die Waffen des Lichts", das Finale der Kingsbridge-Saga
von  Katrin Filler
Ken Follett vor der ehemaligen Baumwollfabrik Quarry Bank, einst eine Spinnerei wie die in seinem Roman.
Ken Follett vor der ehemaligen Baumwollfabrik Quarry Bank, einst eine Spinnerei wie die in seinem Roman. © Olivier Favre

England, 1792: Sal ist Spinnerin. Ihr Mann Harry arbeitet als Bauer für den Gutsherrn im Dorf. Als Harry bei einem Unfall stirbt, muss Sal sich und den Sohn allein durchbringen. Doch nach einem Streit jagt der Gutsherr sie aus dem Dorf - was nun? Sal sucht Arbeit in Kingsbridge und erlebt gewaltige Umbrüche: Spinnmaschinen und Dampfwebstühle revolutionieren die Arbeitswelt, unter Arbeitern herrscht Not, die Regierung unterdrückt die Bestrebungen der neuen Gewerkschaften.

Mit "Die Waffen des Lichts" hat Ken Follett seinen fünften Kingsbridge-Roman geschrieben - und mit der Geschichte rund um die Industrielle Revolution und den Krieg gegen Napoleon, der in der Schlacht von Waterloo gipfelt, beendet er die Saga. Er wolle lieber aufhören, bevor er die Leser langweile, sagt Ken Follett. Außerdem ist er jetzt auch Dozent.

AZ: Mr. Follet, Sie geben für BBC maestro einen Online-Kurs, wie man Bestseller schreibt.

Ken FolletT: Am wichtigsten ist, dass der Leser die Emotionen der Hauptfiguren teilt. Wenn jemand in Gefahr ist, hat der Leser Angst. Wenn jemand unfair behandelt wird, empört es. Und wenn etwas Trauriges passiert, hat der Leser eine Träne im Auge. Wenn Leser auf diese Weise emotional auf die Ereignisse der Handlung reagieren, wird es wahrscheinlich ein Bestseller werden.

Das klingt schlicht und einfach.

Es ist schlicht, aber nicht einfach.

Aber man muss doch auch eine gute Geschichte konstruieren. Wenn der Protagonist ein langweiliges Leben führt, wird der Leser kaum mit ihm fühlen.

Stimmt, wenn er nur daheim sitzt, hat er keine Emotionen, die der Leser teilen könnte. Auch wenn es ein oder zwei solche Bücher gibt. Wenn man intensiv mitfühlt und Anteil nimmt, wie die Dinge sich entwickeln, kann man sogar dranbleiben, obwohl es eine schlechte Geschichte oder nicht besonders gut geschrieben ist.

Brauchen Sie Ruhe, oder lieben Sie Leben um sich herum?

Meistens sitze ich hier, wo Sie mich gerade sehen: in meinem Arbsitszimmer allein am Schreibtisch. Normalerweise nehme ich dann keine Telefonate an, weil ich beim Schreiben nicht an Geschäftsprobleme denken will, sondern an die imaginären Probleme meiner Figuren. Aber wenn meine Kinder oder Enkel hereinkommen, höre ich mit der Arbeit auf und unterhalte mich mit ihnen. Das stört mich nicht.

In "Die Waffen des Lichts" ist die Protagonistin Sal wieder eine starke Frau, die den Herausforderungen ihrer Zeit trotzt - und für Frauen war damals keine leichte Zeit.

Stimmt, es war keine leichte Zeit. Und das macht eine Frau im Zentrum der Geschichte viel interessanter. Für gewöhnlich habe ich ungefähr gleich viele männliche wie weibliche Hauptfiguren. Ich mag starke Frauen, aber man muss in einem populären Roman einfach starke Charaktere haben. Sie können nicht schwach und ängstlich sein oder Verlierer, weil sich niemand mit ihnen identifizieren möchte. Für mich handelt eine gute Geschichte von Menschen, die sich wirklich anstrengen, ihr Leben und ihre Umstände zu verbessern.

Was fasziniert Sie am frühen 19. Jahrhundert?

Ich habe über diese Zeit wegen der ungeheuerlichen Konflikte geschrieben. Die Industrielle Revolution führte zu großen sozialen Problemen. Die Leute streikten, sie zerstörten die Maschinen, weil sie die für ihre Probleme verantwortlich machten. Der Brotpreis brachte Frauen dazu, Brot aus Bäckereien zu stehlen. Wegen dieser Probleme gab es ungeheure soziale Unruhen.

Gleichzeitig lernten die Arbeiter, sich zu wehren.

Die Menschen der Arbeiterklasse strebten damals nach Bildung. Sie lernten lesen, sie gründeten Buchclubs, in denen ein teures Buch gekauft wurde, das dann alle nacheinander gelesen haben. Die Methodisten lehrten die Kinder der Armen in Sonntagsschulen lesen und schreiben.

Die Mächtigen in Ihrem Buch sind davon nicht begeistert.

Gesetze wurden verabschiedet, die es zu einem Verbrechen erklärten, über die Parlamentsreformen auch nur zu diskutieren. Es war ein Verbrechen, wenn Arbeiter sich zusammentaten, um bessere Konditionen durchzusetzen. Es gab also Unruhen, das Streben nach Bildung und Aufstieg unter Arbeitern und ernsthafte Bemühungen der Regierung, das zu zerschlagen. Darin liegt das Drama.

Die Regierung handelte aus Furcht vor Kontrollverlust?

Absolut. Einige Dinge erschreckten die Regierung. Das war vor allem die Französische Revolution. In jedem europäischen Land war die regierende Elite in Panik, dass sie unter der Guillotine landen. Die britische Führungsschicht war auch wegen der Amerikanischen Revolution beunruhigt. Die Amerikaner hatten den König abgelehnt, die britische Armee geschlagen und die Kontrolle über ihr eigenes Land übernommen.

Welche der großen Umbrüche wie Maschinen, Sonntagsschulen, Gewerkschaften war für Sie der bahnbrechendste?

Das waren definitiv die Maschinen. Die Art der Stoffherstellung hatte sich über Hunderte Jahre nicht geändert. Frauen sponnen die rohe Wolle zu Garn, indem sie das Spinnrad drehten. Das Garn wurde dann von Männern zu Stoff gewebt, ebenfalls von zu Hause aus. Als die Maschinen aufkamen, wurde dieses Leben zerstört.

Im Buch beschreiben Sie die "Spinning Jenny".

Die "Spinning Jenny" war die erste Spinnmaschine. Sie wurde von einer Frau bedient, konnte aber die Arbeit von acht Frauen erledigen. Und das war die kleinste Maschine. Als nächstes kam eine, die mit 16 Spindeln arbeitete. In einem Museum in Manchester steht ein "Spinning Mule", das 560 Fäden gleichzeitig spinnen konnte. Viele Spinnerinnen und Weber hatten jetzt keine Arbeit mehr.

Für manche Leser mag das vertraut klingen. Heute haben sie zwar keine Angst davor, dass Maschinen sie ersetzen, aber vor Künstlicher Intelligenz.

Ich hatte daran gar nicht gedacht, als ich die Geschichte geschrieben habe. Aber jetzt kommt man diesem Gedanken nicht aus. Wir haben diese neuen Maschinen, wir wissen nicht, wie gut sie sein werden. Aber sie werden sicher vielen die Arbeit nehmen. Und gleichzeitig gab es zur Zeit der Handlung des Romans einen Krieg von europäischen Ländern gegen Frankreich. Jetzt haben wir einen Krieg in der Ukraine. Und wir haben die Inflation. Im frühen 19. Jahrhundert gab es auch die Krise der Lebenshaltungskosten. Es gibt all diese Parallelen, von denen einige nicht ersichtlich waren, als ich mit dem Schreiben begonnen habe. Aber das ist wohl unvermeidlich, denn wir schauen auf die Geschichte immer durch die Brille des 21. Jahrhunderts.

Die ganze Kingsbridge-Saga handelt von Freiheit und Selbstbestimmung. Aber noch immer mühen wir uns ab.

Mich stimmt der Blick in die Vergangenheit zuversichtlich. Wenn ich mir die Geschichte der westlichen Zivilisation anschaue, über die ich schreibe, sehe ich, dass wir Fortschritte machen - wenn auch mit zwei Schritten vorwärts und einem zurück. Die Menschen gewinnen Bürgerrechte, und als Gegenreaktion gibt es Bemühungen, die Freiheit wieder zu reduzieren. Aber auf lange Sicht sind wir erfolgreich.

Wann zum Beispiel ?

Nun, nehmen wir die Religionskriege im 16. Jahrhundert. In Ihrem Freundeskreis wissen Sie vermutlich nicht, wer Protestant und wer Katholik ist. Weil es keine Rolle spielt. Und das letzte, was Sie machen würden, wäre, jemanden zu töten, weil er Protestant oder Katholik ist. Es wäre dumm und sinnlos. Wir sind von einer Zeit, in der man automatisch Menschen der anderen Religion umbringen wollte, zu einer Zeit gekommen, in der sich niemand darum schert. Ich hege die starke Hoffnung, dass dieser Fortschritt andauert. Ich glaube, unsere Chancen stehen gut.

Sie haben nun rund 1000 Jahre Entwicklung der westlichen Welt beschrieben. Was glauben Sie, welche revolutionären Ideen unsere Zukunft prägen?

Die meisten Revolutionen haben ihr Ziel nicht erreicht. Nach der Französischen Revolution hatten sie Napoleon, einen Diktator. Nach der Russischen Revolution hatten sie die kommunistische Diktatur. Die Amerikanische Revolution ist eine Ausnahme. Sie kämpften für Unabhängigkeit und erreichten sie - sogar eine Art Demokratie, auch wenn Frauen, Schwarze und Sklaven nicht wählen konnten. Aber ich glaube nicht an Revolutionen. Ich hoffe, dass bald - vielleicht noch zu meinen Lebzeiten - eine Zeit kommt, in der es die Menschen nicht mehr kümmert, welcher Abstammung man ist, welche Hautfarbe man hat, welcher Religion man angehört. Darauf freue ich mich.

Dies ist die letzte Folge der Kingsbridge-Saga. Haken Sie historische Romane jetzt ab?

Historische Romane nicht. Aber es ist Zeit, mit Kingsbridge abzuschließen. Es ist wichtig, mit etwas aufzuhören, bevor das Publikum gelangweilt ist. Ich hadere nicht mit der Reihe, aber ich habe das Gefühl, dass ich genug Kingsbridge-Romane geschrieben habe.

Ken Follett: "Die Waffen des Lichts" (Lübbe, 880 S., 36 Euro)

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