Ingeborg Bachmann und Max Frisch: "Wir haben es nicht gut gemacht"

Der Briefwechsel von Ingeborg Bachmann und Max Frisch – gelesen in den Kammerspielen.
von  Anne Fritsch
Rom, Via de Notaris, 1962: Das einzige bekannte Foto von Ingeborg Bachmann und Max Frisch, aufgenommen von Mario Dondero anlässlich eines Artikels für "L'Espresso".
Rom, Via de Notaris, 1962: Das einzige bekannte Foto von Ingeborg Bachmann und Max Frisch, aufgenommen von Mario Dondero anlässlich eines Artikels für "L'Espresso". © Max Frisch-Archiv, Zürich

Es ist der 2. Juli 1963. Max Frisch räumt die Wohnung in Rom, in der er mit Ingeborg Bachmann gewohnt hat. Er schreibt ihr einen Abschiedsbrief: "Rom bei 34 Grad. Gefühle? Trauer, Reue, Bitterkeit, Scham. Ich habe geweint. Ich habe Dich sehr geliebt zu Anfang und als wir diese Wohnung bezogen haben. Und in einem Sinn werde ich Dich immer liebbehalten, im Sinn einer unheilbaren Verwundung. Wir haben es nicht gut gemacht. Verzeih, dass ich Dich einbeziehe; auch Du, Ingeborg, hast es nicht gut gemacht. So verlasse ich diese Wohnung jetzt mit dem Bewusstsein einer großen Niederlage."

250 Briefe zwischen 1958 und 1963 erhalten

Dieser Brief ist einer von beinahe 250, die sich Frisch und Bachmann im Verlauf ihrer fünfjährigen Beziehung zwischen 1958 und 1963 schrieben und die nun erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. "Wir haben es nicht gut gemacht" ist das Fazit dieser Beziehung und der Titel des umfangreichen Buches mit der Korrespondenz und ihrer Einordnung, herausgegeben von Hans Höller, Renate Langer, Thomas Strässle und Barbara Wiedemann.

Dass es "nur" 250 Briefe sind, liegt daran, dass Ingeborg Bachmann fast alle Briefe von Max Frisch vernichtet hat, nur neun davon waren im Bachmann-Archiv zu finden. Dass im Buch dennoch 80 seiner Briefe abgedruckt sind, liegt an den Durchschlägen, die er selbst erstellte – aus Gewohnheit. Und weil ihre Antworten häufig wenig Bezug zu seinen vorangegangenen Worten aufwiesen: "Müsste ich aus Deinen lieben Briefen herausfinden, was ich Dir zuvor geschrieben habe, ich erriete es nie. Ich schreibe jetzt mit Durchschlag", teilt er ihr am 27. Februar 1961 mit. In seinem Archiv fanden sich 165 Briefe von ihr.

Leises moralisches Unbehagen: Darf man Privates veröffentlichen?

Darf man nun veröffentlichen, was zwei sich im Privaten schrieben? Max Frisch legte in seinem Testament eine Frist von 20 Jahren nach seinem Tod fest, bevor das geschehen sollte. Die ist nun vergangen. Da auch die Erben Bachmanns der Veröffentlichung zustimmten, bleibt nur noch ein leises moralisches Unbehagen.

Jetzt hat die Herausgeberin Barbara Wiedemann das Mammutwerk in der Reihe "Jahrhundertbriefe" in den Kammerspielen vorgestellt, unterstützt von Wiebke Puls und Jochen Noch, die eine Auswahl von Briefen gelesen haben und all die Stimmungen und Schwingungen zwischen den Worten herausholten. Wiedemann führte durch die Beziehung der beiden Größen in der deutschsprachigen Literatur, verortete die Briefe in ihrem Werk und im jeweiligen Stadium ihrer Liebe.

Bachmann schlägt Treffen in Zürich vor

Anders als lange angenommen, war Frisch nicht die treibende Kraft, weder am Anfang der Beziehung, noch an deren Ende. Vor ihrer ersten Begegnung schlägt sie in ihrem ersten Brief im Juni 1958, einer Antwort auf sein – nicht überliefertes Lob ihres Hörspiels "Der gute Gott von Manhattan" – ein mehrtägiges Treffen in Zürich vor: "Es wäre zu schön und ist nur fast zuviel verlangt."

Ein abgelehnter Heiratsantrag und sexuelle Freiheiten

Was daraus entsteht, ist eine Geschichte, in der es einen abgelehnten Heiratsantrag (von Frisch an sie) ebenso gibt wie den "Venedig-Vertrag", der sexuelle Freiheiten im Stillschweigen erlaubt, so lange die Außenbeziehung nichts an ihrem Verhältnis ändere. In der Innenbeziehung wiederum ist viel Glück und mindestens so viel Schmerz. 1961 schreibt Bachmann ihm von einer Lesereise in Westdeutschland, sie möchte, "daß wir einfach leben in einer Wolke von Zärtlichkeit und geschützt sind, auch voreinander".

Daraus sollte irgendwie nichts werden. Die gegenseitigen Vorwürfe nehmen zu, der Ton wird ironischer, schroffer. Aus dem Großen wird viel Kleinliches. Wer beieinander ist, schreibt keine Briefe. Oder umgekehrt: Wer Briefe schreibt, ist nicht beieinander.

Keine geradlinige Beziehung

Ingeborg Bachmann und Max Frisch waren sehr oft räumlich getrennt (und nicht nur räumlich). Ihre Beziehung war keine geradlinige und keine unkomplizierte. Beide verarbeiteten ihr Zusammensein in ihren literarischen Werken, was bereits in ihrer Gegenwart Anlass zu Spekulationen bot.

Im Nachhinein verfestigte sich in der öffentlichen Wahrnehmung der Eindruck, Max Frisch habe Ingeborg Bachmann ausgenutzt, auch als Vorlage für die Figur Lila in seinem Roman "Mein Name sei Gantenbein". Auch wenn es unmöglich ist, eine lange vergangene Liebesbeziehung anhand von Briefen wirklich nachzuvollziehen, muss diese Wahrnehmung wohl nach der Lektüre korrigiert werden.

Gegenseitige Schuldzuweisung

Was hier durchscheint, ist eine sehr komplizierte Beziehung, aber eben auch: eine sehr tiefe Liebe und Wertschätzung von beiden Seiten. Eine, in der nichts einfach war. Auch nicht (und das ist es ja wohl nie) ihr Scheitern und eine Schuldzuweisung.


Ingeborg Bachmann und Max Frisch: "Wir haben es nicht gut gemacht. – Der Briefwechsel" (Suhrkamp, mit zahlreichen Abbildungen, 1.039 Seiten, 40 Euro)

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