"Ich fang' an und lande irgendwo": Dana von Suffrin über ihren neuen Roman

Von Romanfiguren, die ein Eigenleben entwickeln und der Schwierigkeit des zweiten Romans: Die Münchner Autorin Dana von Suffrin über "Nochmal von vorne".
Julia Wohlgeschaffen
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Ihr Alltag hat sich völlig verändert, seitdem sie Autorin ist – aber die Wohnung ist noch dieselbe. Hier sitzt Autorin Dana von Suffrin mit Hündin Feygele auf der Fensterbank in ihrer Küche.
Ihr Alltag hat sich völlig verändert, seitdem sie Autorin ist – aber die Wohnung ist noch dieselbe. Hier sitzt Autorin Dana von Suffrin mit Hündin Feygele auf der Fensterbank in ihrer Küche. © jw

Erst vor wenigen Wochen hat sie wieder einen Literaturpreis gewonnen, Nummer sieben. Diesmal für ihren neuen, zweiten Roman "Nochmal von vorne". Dana von Suffrin hat nochmal eine deutsch-jüdische Familiengeschichte geschrieben: Es geht um Rosa, die durch den Tod ihres Vaters von der Vergangenheit eingeholt wird. Sie erinnert sich an das Scheitern der Ehe ihrer Eltern, die Verwandtschaft in Israel und an ihre verschwundene ältere Schwester.

"Als Debütant bis du noch eine kleine Sensation. Also hatte ich die Befürchtung, dass der zweite Roman total untergeht, weil das oft passiert bei zweiten Romanen", sagt die 39-Jährige. Diese Gedanken dürften sich seit der Auszeichnung mit dem Bayern-2-Wortspiele-Preis verflüchtigt haben, der ihr auch ein einmonatiges Stipendium im Goethe-Institut in Peking ermöglicht. Suffrin wirkt entsprechend entspannt, als sie von ihrem Autorendasein erzählt, ähnlich wie Hündin Feygele, die auf der Fensterbank neben dem Küchentisch döst, an dem Suffrin sitzt und Tee trinkt.

Suffrins Debütroman "Otto" wurde mehrfach ausgezeichnet

Ihr erster Roman "Otto" rund um einen jüdischen Familienpatriarchen, der seine beiden erwachsenen Töchter tyrannisiert, erschien 2019. Ein unverhoffter Erfolg für die 39-Jährige: "Ich kannte den Literaturbetrieb gar nicht. Ich habe gerne gelesen, aber auch nicht unbedingt deutsche Gegenwartsliteratur", erzählt sie. Erfolg sei auch relativ. "Es ist jetzt nicht so, dass Massen vor der Tür stehen und Autogramme wollen." Suffrin kann aber davon leben.

"Ich hab' immer noch die gleichen Freunde, die gleiche Wohnung und irgendwie auch immer noch die gleichen Probleme", sagt sie lächelnd. "Mein Leben hat sich schon verändert, weil ich jetzt einen anderen Beruf habe. Auf einmal habe ich einen ganz anderen Alltag. Das Romanschreiben zieht immer einen Riesen-Rattenschwanz nach sich."

Der Job umfasse schließlich auch die ganzen Veranstaltungen, Interviews, Treffen mit befreundeten Autorinnen und Autoren und "bla, bla, bla", wie Suffrin den Inhalt ihres Terminkalenders zusammenfasst. Aber es ist auch das Tollste, was ihr je passieren konnte, resümiert sie. "Also ich werde jeden seriösen Beruf, solange ich kann, vermeiden", ergänzt Suffrin lachend. Dabei arbeitete sie noch vor wenigen Monaten als Historikerin an der Ludwig-Maximilians-Universität.

Romane zu schreiben findet sie – im Vergleich zur Promotion – befreiend 

Nach ihrer Promotion wagte sie das Roman-Experiment. Der Druck beim akademischen Schreiben sei groß, man müsse genau arbeiten, dürfe sich nichts ausdenken. "Da ist das literarische Schreiben befreiend", findet sie. Auch für ihre Romane recherchiere sie viel, aber wenn etwas dramaturgisch nicht passt, könne sie sich immer etwas ausdenken.

Überhaupt schreibt sie intuitiv: "Ich fang' einfach an und dann lande ich irgendwo. Bei mir ist das schon so, dass die Figuren ein Eigenleben annehmen. Dann kommen die einfach irgendwo raus." Ein bisschen Chaos bei der Struktur habe sie immer, sie plane das vorher nicht. Sie schreibt jeden Tag eine Seite, auch wenn sie woanders ist. "Die eine Seite kommt mir bewältigbar vor. Und am Ende des Tages habe ich irgendein Ergebnis, in Form einer kurzen Word-Datei."

Dana von Suffrin stammt aus einer "Mischehe", wie sie selbst sagt. Ihre Mutter war eine katholische Reiseverkehrskauffrau aus Freimann, ihr jüdischer Vater, Jahrgang 1936, wurde in Siebenbürgen geboren und hat viele Familienmitglieder in der Shoa verloren. Suffrin erzählt, dass sie lange gebraucht hat, um das alles "zu kapieren und sein sehr merkwürdiges Verhalten besser einzuordnen".

Antisemitismus im Netz: "Ich hab' das Gefühl, dass ich mich wehren muss"

Für ihre deutsch-jüdischen Familiengeschichten erhält sie im Internet teils heftige Reaktionen. "Mich hat der sich wieder aufbäumende Antisemitismus überrascht. Seit dem Terroranschlag der Hamas sind Sachen wieder sagbar und salonfähig geworden, die lange gesellschaftlich tabuisiert waren."

Ihren verstorbenen Vater hätte das sehr mitgenommen, schätzt sie. Solche Erfahrungen verarbeitet Suffrin in essayistischen Texten. "Irgendwie hab' ich das Gefühl, dass ich mich wehren muss. Und dadurch, dass ich das soziale Kapital habe, denke ich, es ist so bisschen meine Pflicht."

Suffrin schreibt auch Hörspiele und Erzählungen. Am liebsten aber eine Seite Roman. Im Gegensatz zum ersten Roman, den sie einfach runterschreiben konnte, bedeutete der zweite jahrelange Arbeit – viereinhalb Jahre.

"Ich hatte vor allem künstlerischen Druck, den ich mir selbst gemacht habe", erklärt Suffrin. Sie wollte vor allem einen Roman schreiben, der besser ist als der erste. Dem Namen des Romans "Nochmal von vorne" entsprechend, hat sie oft von vorne angefangen und teilweise die Hälfte des Textes vier oder fünf Mal ersetzt. "Das war anstrengend", sagt sie, "aber ich wollte, dass ich künstlerisch zufrieden bin."

Der nächste Roman soll eine Liebesgeschichte werden: "Meine Generation hat ein Problem damit, sich festzulegen"

Suffrin lässt sich jedenfalls weder von langen Schaffensphasen noch von Anfeindungen abschrecken und sitzt mittlerweile an Roman Nummer drei. Eine Liebesgeschichte. "Es geht um die Millenial-Generation". Weil sie so viele Leute kenne, die es nicht schaffen, eine Beziehung auf die Reihe zu kriegen. "Meine Generation hat ja das totale Problem, sich festzulegen." Irgendwann würde sie auch gerne einen Roman zum frühen Zionismus schreiben, eine abenteuerliche, historische Geschichte. Aber bisher fehlt ihr dazu noch etwas ganz Entscheidendes: "Ich muss beim Schreiben immer zuerst eine Erzählstimme haben und die habe ich da nie gefunden."

Seit "Otto" führt die Münchnerin ein anderes Leben. "Wenn das klappen würde, dass ich Schriftstellerin bleibe, wär's schön."

Dana von Suffrin: "Nochmal von vorne" (Kiepenheuer & Witsch, 240 Seiten, 23 Euro)
Lesung: 23. April, 19 Uhr, Literaturhaus, 15/ 10 Euro, literaturhaus-muenchen.de

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