Historisches München: Brauerin mit Weitsicht – Wie Therese Wagner Augustiner groß machte

"Hör mir jetzt gut zu, mein Mann. Wenn wir das hier zu einem Erfolg machen wollen, braucht jeder von uns einen Bereich, den er klar verwaltet. In dem er schalten und walten kann, wie er allein es für richtig hält. Sonst gibt's nur Streit und Unzufriedenheit und alle Müh' ist umsonst", sagt Therese Wagner im Roman "Thereses Töchter" von Marta Haberland zu ihrem Mann Anton, der das Freisinger Hagenbräu von seinem Vater erhalten hatte – eine Brauerei samt Wirtschaft und Herberge.
Während sie sich um die Gäste kümmern würde, sollte Anton sich der Brauerei widmen. Dass sie selbst einmal eine – viel größere – Brauerei leiten würde, als Frau inmitten einer für Jahrhunderte von Männern beherrschten Domäne, ahnt die frisch Angetraute zu diesem Zeitpunkt nicht.
"So ganz fiktiv ist der Roman allerdings nicht", merkt Catherine Demeter an, die in siebter Generation mit Therese Wagner verwandt ist und an dem Buch mitgewirkt hat. "Wir haben wahnsinnig viel in Archiven recherchiert, daher ist der Romaninhalt sehr nah an der Wahrheit. Natürlich sind die Dialoge nicht eins zu eins überliefert, aber im Kern entspricht die Geschichte den Tatsachen."
Die Anfänge von Therese Müller
Als Mehrheitsvertreterin des Augustiner-Bräus und Erste Vorständin der Edith-Haberland-Wagner-Stiftung reiht sich Catherine Demeter in die Geschichte der Familiendynastie ein, die am 15. Oktober 1792 mit der Geburt der Müllerstochter Therese Brunner beginnt.
"Therese wuchs in einer idyllischen Landschaft am Weihenstephaner Berg auf, wo ihre Eltern eine Getreidemühle betrieben haben", sagt die Wirtschaftsmanagerin. Obwohl die Familie einen sehr guten Ruf genießt, sorgt sich die Mutter um die Zukunft ihrer Tochter: Das Dasein als Müllerin sei hart und mit einer guten Partie könne Therese ein komfortableres Leben führen.
"Therese muss höchst intelligent gewesen sein"
Ihr Plan scheint aufzugehen, als ihre Tochter im Attachinger Wirtshaus in Freising auf einen jungen Mann aufmerksam wird. Es ist Anton, der Sohn des Inhabers und Lehrling beim Freisinger Hofbräuhaus – eine gute Partie also. Bereits im Jahr 1818 findet sich das frisch vermählte Ehepaar als Inhaber des Hagenbräus in Freising wieder. Und bald schon macht sich Thereses und Antons Ehrgeiz und Organisationstalent bezahlt: Das Paar kann acht Jahre später durch die erwirtschafteten Einnahmen ein größeres Gut in Birkeneck bei Hallbergmoos pachten.
"Therese muss höchst intelligent gewesen sein – und auch psychologisch äußerst geschickt, denn sie ist auch mit dem Personal überaus gut umgegangen. Sie war sicher nicht nur eine ausgesprochen kluge, sondern auch sehr durchsetzungsstarke Frau", merkt ihre Nachfahrin an. Thereses und Antons ganz großer Erfolg sollte jedoch erst zehn Jahre später kommen.
Ehepaar Wagner übernimmt 1829 den Augustiner-Braubetrieb
Während Georg Gröber, Besitzer des Brau- und Wirtshauses der Augustiner, im Jahr 1827 einen Käufer sucht, träumen Therese und Anton davon, selbst im Besitz des Braubetriebs zu sein, der mit der Säkularisation im Jahr 1803 vom Kloster in die Neuhauser Straße verlegt worden war. Einziges Problem: Das angesparte Geld reicht ihnen nicht zum Kauf.

Was an barem Geld fehlt, macht das Ehepaar Wagner allerdings mit zwei weiteren Jahren Sparsamkeit, harter Arbeit und einer großen Portion Charme wett, – denn das Besitzerpaar ist angetan von den engagierten und sympathischen Eheleuten. Für einen guten Preis übernehmen Therese und Anton Wagner im Jahr 1829 den Betrieb und führen die alte Brautradition der Mönche fort, die seit dem 18. Jahrhundert rund 250.000 Liter im Jahr gebraut hatten.
Anton Wagner stirbt 1844: Therese verliert ihren Mann – und Braumeister
Wie auch beim Freisinger Hagenbräu bleibt im neuen Betrieb alles beim Alten: Anton übernimmt die Geschäfte der Brauerei, Therese kümmert sich um die Gäste. Während sich die ersten wirtschaftlichen Erfolge einstellen, vervollständigt sich ihr privates Glück mit der Geburt ihrer Kinder: Von insgesamt elf Kindern überleben allerdings nur fünf. Ein weiterer schwerer Schicksalsschlag trifft Therese, als ihr Mann Anton im Jahr 1844 an Lungensucht stirbt. Mit seinem Tod verliert sie nicht nur ihren liebenden Ehemann und den Vater ihrer Kinder, sondern auch ihren Braumeister. Wie sollte es weitergehen?
Würde sie erneut heiraten, ginge der Betrieb an den neuen Gatten. In keinem Fall würde sie allerdings die Brauerei aus dem Besitz der Familie geben! Daher kam ein Verkauf ebenso wenig infrage wie die Entscheidung, ihren ältesten Sohn Joseph als Nachfolger zu bestimmen – dieser sollte schließlich erst ausreichend Erfahrungen in der Brauerei sammeln und eine starke Frau an seiner Seite wissen, so wie Anton einst.
Therese Wagner werden bei der Übernahme der Brauerei viele Steine in den Weg gelegt
"Therese ist im entscheidenden Moment konsequent geblieben und hat die richtigen Schachzüge gemacht", merkt Catherine Demeter an. Der Gegenwind, den Therese erfährt, als sie sich für die Übernahme der Brauerei entscheidet, hätte kaum größer sein können.
Diesbezüglich verbindet die Wirtschaftsmanagerin viel mehr mit ihrer Vorfahrin als ein verwandtschaftliches Band: "Am Anfang meiner Zeit in München war ich erstaunt über den Gegenwind von ein paar Herren, die vermutlich selbst diese Position haben wollten. Es war schon gewaltig, was mir an kalter Brise entgegengeblasen ist. Da habe ich mir gedacht: Nein, ich lasse mich nicht einschüchtern. Therese hat sich vor 175 Jahren nicht unterkriegen lassen, hat sich unglaublich souverän durchgesetzt und sich nicht beirren lassen. Da wäre es doch lächerlich, wenn ich in der heutigen Zeit klein beigebe." Auch Therese trotzt allen Widrigkeiten – und es sind viele Steine, die ihr in den Weg gelegt werden. Als die Witwe an Antons Stelle am Münchner Brauertreff teilnimmt, wird sie bewusst ausgegrenzt.
Therese Wagner wurde von den Männern in der Branche konsequent ausgegrenzt
Nach einem Jahr kontinuierlicher Einbringungsversuche Thereses und konstanter Stigmatisierung seitens der Brauer wagt sie eine andere Herangehensweise: Sie lädt die fünf Großbrauer der Stadt für ein Treffen auf Augenhöhe in das Wirtshaus in der Neuhauser Gasse ein. Schließlich müsse es möglich sein, vernünftig miteinander zu reden. Und tatsächlich treffen die Gäste ein – allerdings hatten die Männer ihre Frauen geschickt.
Statt endgültig zu kapitulieren, verwandelt die selbstbewusste Brauerin die Situation in einen Vorteil: Sie heißt die Damen willkommen, versorgt sie mit gutem Bier und Essen und spricht offen mit ihnen. Sie führt ihnen vor Augen, dass sie sich eines Tages in derselben Situation wiederfinden könnten und ob sie nicht auch mehr Rechte und Möglichkeiten forderten? Es bleibt ungewiss, was die Frauen mit ihren Ehemännern am Ende dieses Abends hinter verschlossenen Türen besprochen haben, doch feststeht, dass die Dinge für Therese bei den nächsten Brauertreffen anders aussehen sollten.
Wagner-Verwandte: "Sie hat einfach die Ärmel hochgekrempelt und gearbeitet"
"Therese hat gar nicht überlegt, ob sie für die Rechte der Frau kämpfte oder eine Vorreiterin war. Nein, ihr Mann war gestorben und sie wollten den Betrieb für ihre Kinder weiterführen", bewundert Catherine Demeter Thereses Vehemenz. "Sie hat einfach die Ärmel hochgekrempelt und gearbeitet – und hat sich durchgesetzt."
Therese blüht nun als Brauerin auf. Doch das Leben hält weiter Höhen und Tiefen bereit: Von den wirtschaftlichen Schwierigkeiten während der Tumulte um die Geliebte des Königs, Lola Montez, über Schicksalsschläge wie der Verlust ihres 24-jährigen Sohnes Franz, bis zu Momenten des Glücks, als sie sich erneut in einen Mann, ihren Braumeister Balthasar Fescher, verliebt. Die Ehe muss ihr jedoch verwehrt bleiben, andernfalls ginge die Brauerei in dessen Besitz über. Denn laut Gesetz darf Therese den Betrieb nur weiterführen, solange sie alleinstehend bleibt – und es einen männlichen Erben gibt.
Bevor die Brauerei allerdings an ihren ältesten Sohn Joseph gehen sollte, gelingt es der Brauerin mit Weitsicht und klugen Investitionen den Grundstein für den Ausbau zum Großbetrieb zu legen: "Therese hat moderne Techniken wie die Dampfmaschine und präzise Messgeräte eingeführt. Sie muss extrem aufgeschlossen gewesen sein, nur so war es ihr möglich, die Brauerei zur Großbrauerei zu führen", sagt Catherine Demeter.
Zu Thereses Zeiten wird das Augustiner Bier auch erstmals auf dem Oktoberfest ausgeschenkt, in einer Zeit, in der statt der riesigen Zelte noch kleine Holzhütten auf der Theresienwiese standen. "Im Jahr 1857 ist sie in die Landsberger Straße vor die Tore der Stadt gegangen, wo sich heute noch die gesamte Produktionsanlage befindet", ergänzt Demeter.

Nach dem Tod von Sohn Anton wird Therese zu einem Schatten ihrer selbst
In dieser Zeit vermählt sich Thereses Sohn Joseph mit Bertha Otto, einer tatkräftigen Frau aus gutem Hause. Als jedoch 1858, ein Jahr nach der Hochzeit, Thereses Sohn Anton bei einem Unfall sein Leben lässt, kann sie den Verlust nicht überwinden. Sie wird zum Schatten ihrer selbst. Wenige Wochen später erleidet Therese einen Schlaganfall, dicht gefolgt von einem weiteren, der sie das Leben kostet. Ihre Erben Joseph und Bertha sollten nun – 14 Jahre nach dem Tod ihres Großvaters Anton – über das Schicksal der Brauerei bestimmen.
2021 hat Demeter den Bayerischen Verdienstorden erhalten
"Die Tochter von Bertha, Sophie von Trentini, war die Großmutter meiner Großmutter", erklärt Catherine Demeter ihre Beziehung mit Therese Wagner. Eine Nichte von Sophie von Trentini wiederum war Edith Haberland-Wagner, aus deren Nachlass die gleichnamige Stiftung entstand. "Edith Haberland Wagner war 83 Jahre alt und kinderlos, als sie die Hälfte der Brauerei von ihrem Cousin geerbt hatte. Mit Gründung der Stiftung wollte sie nicht nur den Betrieb als Privatbrauerei erhalten, sondern mit den Einkünften Gutes bewirken."

Heute unterstützt die Stiftung eine breite Palette von Kunst und Kultur, Wissenschaft und Forschung bis hin zu Kinder- und Jugendförderung sowie den Umweltschutz. Für ihr soziales und kulturelles Engagement hat Catherine Demeter im Jahr 2021 den Bayerischen Verdienstorden erhalten.
Und das Augustiner-Bräu ist eine Privatbrauerei geblieben – ganz im Sinne Thereses. Da sich die Hälfte der Brauerei heute noch im Besitz der Stiftung befindet, fließt außerdem der Gewinn des Augustiner-Bräus in eben diese. Heißt also: "Der erste Schluck Augustiner Bier ist eine Wohltat und jeder zweite eine Wohltätigkeit", wie Catherines Demeters Vorgänger zu sagen pflegte. In diesem Sinne: Ein Prosit auf Therese Wagner!
Das Buch "Münchner Frauen" (192 Seiten, zahlreiche Abb., 24 Euro) ist in der Kooperation zwischen der AZ und dem Bast Medien Verlag erschienen. Erhältlich im Online-Shop sowie im Buchhandel oder direkt beim Verlag unter bestellungen@bast-medien.de (versankostenfrei)