Kritik

Giovanni Falcone: Der Tod des Mafia-Jägers

Roberto Saviano baut in seinem neuen Buch dem 1992 ermordeten Ermittlungsrichter Giovanni Falcone ein Denkmal
Roberta De Righi |
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Das Foto vom 23. Mai 1992 zeigt den Bombentrichter und die Zerstörung nach dem Anschlag auf Giovanni Falcone auf der Straße zum Flughafen von Palermo.
Das Foto vom 23. Mai 1992 zeigt den Bombentrichter und die Zerstörung nach dem Anschlag auf Giovanni Falcone auf der Straße zum Flughafen von Palermo. © picture alliance / dpa

Es ist wirklich nicht nötig, dass sich das Heute vom Gestern unterscheidet." Die Gemütsruhe, mit der sich der Chef der Sparkasse von Palermo damit arrangiert, dass sein Institut Mafia-Geldwäsche betreibt, klingt wie eine Parodie von Tomasi di Lampedusa Zitat aus seinem Sizilien-Roman "Der Leopard": "Wenn alles bleiben soll, wie es ist, muss sich alles ändern."

Die Worte des Bankdirektors stehen am Beginn von Roberto Savianos Roman über den Mafia-Jäger Giovanni Falcone, der jetzt auf Deutsch erscheint. Sie charakterisieren die sizilianischen Verhältnisse - und, welchen Einschnitt der neue, entschlossene Kampf gegen die Mafia bedeutete.

 

Das Buch ist eine Art Giganten-Treffen: Der Journalist und Schriftsteller Saviano, der seit dem auch verfilmten Bestseller "Gomorrha" unter Polizeischutz lebt, schreibt über den hartnäckigen, akribischen, todesmutigen Juristen Falcone, der keinen Schritt ohne Leibwächter machen konnte und im Dienst der Sache sein Leben riskierte.

Der italienische Autor Roberto Saviano
Der italienische Autor Roberto Saviano © dpa/Zuma Press

"Wesentlich ist nicht, ob jemand Angst hat oder nicht. Wesentlich ist, mit der Angst zu leben und sich nicht einschüchtern zu lassen. Das ist Mut, alles andere wäre Unwissenheit", zitiert die von seiner Schwester gegründete Falcone-Stiftung ihren Namensgeber.

 Charakterbildnis vor bluttriefender Landschaft

In Italien erschien "Solo è il coraggio. Giovanni Falcone, il romanzo" bereits 2022, im 30. Todesjahr. Anders als im Deutschen benennt der Titel klar den Tatsachenroman. Weil auch der Autor weiß, wie es ist, ein Leben in permanenter Bedrohung zu führen, wirken Szenen aus Falcones privatem Alltag realistisch, selbst wenn sie im Detail Fiktion sind. Dabei hat Saviano auch keine Angst vor ein bisschen Melodramatik.

Sein Buch ist ein Charakterbildnis vor bluttriefender Landschaft: Einerseits skizziert er das Porträt Falcones, das diesem sehr nahe zu kommen scheint. Andererseits erzählt er, bis auf ein paar Zeitschleifen chronologisch, Ereignisse zwischen 1979 und 1992 nach.

Damals eskalierte der zweite Mafiakrieg, als die Corleonesi die Bosse aus Palermo umbrachten. Und die Regeln komplett änderten. War es zuvor Ehrensache, keine Unbeteiligten zu treffen, agierten die Männer aus Corleone brutalstmöglich: Sie ließen ohne Rücksicht morden und ihre Opfer in Säure auflösen.

Und verdienten Unmengen an dreckigem Geld mit auf Sizilien hergestelltem Heroin, das mithilfe der Pizza-Connection den Markt in den USA flutete.

Ein Prozess mit 475Angeklagten 


Giovanni Falcone war Teil des neu geschaffenen Pools der Palermitaner Polizei, in dem die langjährigen Ermittlungsergebnisse aus verschiedenen Regionen Siziliens gebündelt wurden. Und er war Ermittlungsrichter beim so genannten "Maxiprozess" gegen die auch in den USA agierende Cosa Nostra, der am 10. Februar 1986 eröffnet wurde. Die Verlesung der 6000 Seiten umfassenden Klageschrift, die Strafverteidiger einiger der 475 Angeklagten forderten, hätte über zwei Jahre gedauert. Bei der Urteilsverkündung am 16. Dezember 1987 gab es Schuldsprüche für 346 Angeklagte. 19 wurden zu "lebenslänglich" verurteilt. Es folgte ein nervenzerrendes Berufungsverfahren, an dessen Ende die meisten Urteile bestätigt wurden.

Doch bereits auf dem Weg zum Prozess lag aufseiten des Staates eine lange Reihe von Toten, ermordet von Mafia-Killern. Saviano widmet einigen der vielen Opfer eigene Kapitel: Dem Richter Cesare Terranova, dem Polizisten Boris Giuliano. Dem kommunistischen Politiker Pio La Torre und seinem Fahrer Rosario Di Salvo. Dem Staatsanwalt Gaetano Costa, dem Präfekten von Palermo Carlo Alberto Dalla Chiesa und seiner junge Frau Emanuela Setti Carraro. Dem Polizisten Ninni Cassarà und dem obersten Ermittler und Falcones Chef, Rocco Chinnici. Jener ist es auch, der die Ermittlungsarbeit als "Staffellauf" beschreibt, bei dem immer wieder ein Läufer tot zusammenbricht.

 

Indem Saviano die langjährigen Ermittlungen als Knochenarbeit eines eingeschworenen Teams schildert, kontert er auch all jenen, die Falcone als profilierungssüchtigen Egomanen diskreditierten. Den Ermittler als Person angreifbar machen, geschah damals mit Kalkül.

Der charismatische Richter Giovanni Falcone machte sich in den 80er Jahren in Sizilien einen Namen als Mafiajäger. Das hatte für ihn tödliche Folgen.
Der charismatische Richter Giovanni Falcone machte sich in den 80er Jahren in Sizilien einen Namen als Mafiajäger. Das hatte für ihn tödliche Folgen. © imago/ Granata Images

Saviano beschreibt einen politisch infiltrierten Justizapparat, der durch fragwürdige Personalentscheidungen dafür sorgte, die Arbeit des Pools zu verzögern und von innen heraus zu behindern.

Das Finale des Maxiprozesses bedeutete quasi Falcones Todesurteil. 1989 konnten Anschlagspläne bei seinem Ferienhaus noch vereitelt werden. Aber am 23. Mai 1992 explodierte unter der Autobahn bei Capaci eine ferngezündete Bombe. Falcones Wagenkonvoi war auf dem Weg vom Flughafen Palermo zu seinem Wochenendhaus.

Drei Leibwächter starben vor Ort, Falcone und seine Frau Francesca Morvillo, ebenfalls (Jugend-)Richterin, kurz darauf im Krankenhaus. Knapp zwei Monate später starb Freund und Kollege Paolo Borsellino durch einen Sprengsatz. Auftraggeber war der untergetauchte Corleoneser "Boss der Bosse" Salvatore Riina. Er wurde 1993 gefasst und starb 2017 im Gefängnis. Einer seiner Mörder, Giovanni Brusca, wurde 2021 mit Zeugenschutz und Haftauflagen freigelassen.

Posthum erreichten "Falcone e Borsellino" unanfechtbaren Helden-Status, während man ihrer Arbeit zuvor lauter Knüppel in den Weg legte. Doch mit ihnen ging unschätzbares Wissen über die Mafia verloren - was Politikern wie Giulio Andreotti und Silvio Berlusconi, deren Mafia-Verwicklungen nie ganz aufgeklärt wurden, Recht sein konnte.

In Italien sind unter Giorgia Meloni von den Fratelli d'Italia seit Herbst 2022 rechte Populisten an der Macht, die mit den Mitteln der Verharmlosung und Tatsachenverdrehung arbeiten. Es war auch ihr Vize Matteo Salvini, der 2018 als Innenminister Roberto Saviano die Notwendigkeit von Polizeischutz aberkennen wollte. Die Auseinandersetzung mit Giovanni Falcone dürfte nicht zuletzt Selbstermächtigung eines gefährdeten Autors sein. "Falcone" bleibt, obwohl man das traurige Ende kennt, Seite für Seite unfassbar spannend.

Roberto Saviano: "Falcone" (Hanser, 475 Seiten, 32 Euro)

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