Hans Demmels "Anderswelt": In der Informationsfalle
Ein paar Mausklicks vom Leben entfernt hat Donald Trump die US-Wahl haushoch gewonnen, beherrscht eine Päderasten-Gruppe um die Clintons die ganze Welt und ist das Corona-Virus ein bewusst vom Staat eingesetztes Mittel, um die Bürger zu kontrollieren.
Selbstversuch: Nachrichten durch rechte Medien konsumieren
Einen Vollbut-Nachrichtenmann wie Hans Demmel, der jahrzehntelang beim BR, bei Sat.1, Vox und n-tv, versucht hat, Weltgeschehen verständlich zu vermitteln, schmerzt es natürlich, dass immer mehr Menschen selbst hanebüchene Nachrichten und Hassgeschichten glauben.
Deswegen hat er für sein Buch "Anderswelt" einen halbjährigen Selbstversuch gewagt: Verzicht auf Qualitätsmedien und öffentlich-rechtliche Sendeanstalten, also auf alles, was Querdenker und Konsorten mit dem von den Nazis eingeführten Begriff der "Systempresse" bezeichnen. Stattdessen stillte der Nachrichtenjunkie seinen Wissensdurst vornehmlich durch rechte Medien, also Tichys Einblicke, MMnews, KenFM, Junge Freiheit und Compact und natürlich die Nachrichten, die der Algorithmus in dieser verengten Perspektive dann so anspült.
Nur sein Freund Friedrich Küppersbusch durfte als eine Art intellektueller Supervisor alle paar Wochen zum Update mit der Wirklichkeit beitragen und seelischen Beistand leisten.
Weg in die Desinformation
Ausschlaggebend für Demmels Selbstversuch waren auch die "Hygienedemos" im Sommer 2020, bei denen breite Bevölkerungsschichten teilgenommen und wiederholt "Lügenpresse" skandiert hatten. War rechte Propaganda wirklich schon in der Mitte der Gesellschaft angekommen?
Am 28. August 2020 schließlich schlich Demmel zu einem Kiosk außerhalb seines Viertels, um unerkannt seinen Weg in die Desinformation anzutreten, seine Reise in die Anderswelt. Begleitend zu seinen Notizen liefert das wohltuend unterhaltsam aufbereitete Buch aber auch eine kurze Darstellung der wichtigsten Protagonisten, Medien und Begriffe der rechten Medien, ohne einen Anspruch auf Vollständigkeit zu liefern.
Erste Zweifel kommen Demmel bald bei einer Großdemo, die in den "Sturm auf den Reichstag" mündet. Waren wirklich 38.000 Menschen dabei, oder eine Million, wie es alternative Medien vorschlagen? Hat die Polizei selbst das Kommando gegeben, damit Demonstranten auf die Treppen des Reichstags gingen?
Anderswelt aus Hass, Hetze, schlechter Laune und Lügen
Schon bald bröckelt der journalistische Instinkt, vor allem aber merkt Demmel die seelischen Auswirkungen vom stundenlangen Verweilen in einer aus Hass, Hetze, schlechter Laune und ganz offenen Lügen aufgebauten Anderswelt. Dass sich in diesem thematisch sehr niedrigen Becken auch Kollegen von Demmel tummeln, die früher einmal anerkannte Journalisten waren - von Tichy über Matthias Matussek bis Peter Hahne - bleibt für ihn unverständlich. "Destruktiver Journalismus" nennt Demmel die Mischung aus bewusster Desinformation, Diskreditierung staatlicher Institutionen und Schüren von Vorurteilen. Wann aber begann diese Form von Journalismus größeren Widerhall zu finden?
Demmel sieht in der Berichterstattung über die Kölner Silvesternacht 2015 einen "selbst verschuldeten und nachhaltigen" Vertrauensverlust der Bevölkerung gegenüber den Medien. Auch wenn das Schweigen der Behörden und der Polizeibericht über die Nacht ("gestaltete sich die Einsatzlage entspannt...") die Recherche damals erschwerte.
Hans Demmel: "Die stärksten Gefühle bei mir sind Angst, Abscheu und Müdigkeit"
Laut Untersuchungen glaubt inzwischen bis zu einem Viertel der Bevölkerung, dass man Medien eher nicht oder überhaupt nicht vertrauen kann. Warum diese Menschen dann oft ihr Heil in der Anderswelt suchen, wo Fakten wenig und Meinungen alles sind, ist wieder eine andere Frage. Aber Weltbilder verfestigen sich. Demmel selbst sieht sich nach einem halben Jahr "am Ende meiner psychischen Belastbarkeit". "Die stärksten Gefühle bei mir sind Angst, Abscheu und Müdigkeit."
Immer mehr Menschen holen sich allerdings ihre Informationen ausschließlich außerhalb der herkömmlichen Medienwelt, das birgt auch die Gefahr der Selbstradikalisierung. Demmels Fazit dieses wichtigen und lesenswerten Buches ist daher düster: "Wer eine hohe Affinität zu dieser Denkwelt, dieser Anderswelt hat, wer dies glauben will, weil es seinen eigenen Meinungskorridor widerspiegelt, sitzt in der Falle."
Hans Demmel, Friedrich Küppersbusch: "Anderswelt" (Kunstmann, 224 Seiten, 22 Euro). Demmel stellt das Buch am Montag, 22. 11., um 19 Uhr in der Black Box im Gasteig vor.
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