Interview

Gottlosigkeit und Vielgötterei: Wie tickte Kaiserin Elisabeth?

Wie tickte Sisi? Alfons Schweiggert hat dazu das Buch "Elisabeth und ihr Gott" verfasst und kommt zu radikalen Schlüssen.
von  Adrian Prechtel
Franz Xaver Winterhalter malte sein Porträt der Kaiserin um 1866 in Wien.
Franz Xaver Winterhalter malte sein Porträt der Kaiserin um 1866 in Wien. © imago/Leemage

Mit Büchern über die Kaiserin Elisabeth kann man sicher eine Regalreihe füllen. Aber was prägte und bewegte Sisi im Innersten? "Ich sehe sie mehr und mehr versinken in der trostlosen Philosophie des Unglaubens", meinte ihre Tochter Marie Valerie. Aber das ist nur die halbe Wahrheit, meint Alfons Schweiggert und schaut auf die öffentliche und private Frömmigkeit Elisabeths, ihre Vergötterung der Natur, Schuldgefühle und Kirchenhass.

AZ: Herr Schweiggert, in Ihrem Buch geht es ums Ganze, obwohl es "Elisabeth und ihr Gott" heißt und vor allem die verschiedenen religiösen Einflüsse und Einstellungen der Kaiserin beleuchtet.
ALFONS SCHWEIGGERT: Es ist, wenn man sich in ihre Zeugnisse einarbeitet, zwangsläufig eine gesamte Psychografie der Kaiserin Elisabeth geworden. Im Grunde genommen kommen ja auch alle ihre Eigenheiten wie das Reisen, Reiten oder sportliche Gehen oder ihr Schönheitskult von ihren Einstellungen zu Gott, Kirche, Religion und Tod.

"Sie hadert ständig mit Katholizismus und Gott"

Was hat Ihr Schönheitstick mit der Religion zu tun?
Sie hadert da ständig mit dem Katholizismus und Gott. Ihre Idee, den Körper jung und schön zu erhalten, ist ihr ganz wichtig. Später bezeichnet sie sich als "Mumie" und versucht, möglichst wenig öffentlich gesehen zu werden. Aber ihre Eitelkeit wird ja als Todsünde gebrandmarkt: Dein Schönheitskult ist Götzendienst. Elisabeth findet Gott zynisch, dass er Schönheit schafft, um sie dann sofort dem Verfall auszusetzen. Sie sieht in Gott einen Sadisten, einen Zerstörer.

Beim Tod fällt etwas Unheimliches auf: Elisabeth hatte die Idee und den Wunsch, dass ihre Seele durch eine kleines Loch im Herzen wie Rauch aufsteigen würde. Das hat sie so wenige Tage vor ihrem Tod noch einmal formuliert. Und dann der Stich des Attentäters am 10. September 1898 mit einer Feile ins Herz!
Das ist natürlich unheimlich. Und genau hieran kann man ihre Vorstellung vom Leben nach dem Tod sehen: Es ist die Vorstellung einer Art deistischen oder pantheistischen Religion, also einer Naturreligion, in der die Seele wieder Teil der Natur wird. Das ist - schaut man auf die heutige Freiheit, sich religiöse Ideen zusammenzubasteln - sehr modern. Bei ihr gibt es dazu auch Ideen der Wiedergeburt und der Seelenwanderung und dazu, dass alles bestimmt ist, weshalb sie auch Leibwächter ablehnt. Den Glauben an ein "wunderbares Jenseits", wie es ihr die Kirche malt, teilt sie jedenfalls nicht. Und als ihr jüngstes Kind kurz nach der Geburt stirbt, denkt sie, dass der Grund sein könnte, dass sie der katholischen Schwiegermutter nicht genug gehorcht hat. Und so erscheint ihr Gott als ein Gott der Rache, wofür sie aber im nächsten Augenblick Gott wieder um Verzeihung bittet. Aber das alles ist ein ständiger, kreisender Wirbelsturm in ihrer Seele.

Dazu passt, dass sie versucht, in Seancen Kontakt zu Verstorbenen aufzunehmen.
Da erlebt sie Schreckliches: Nämlich dass ihr Sohn Rudolf in einer Art Hölle schmort als verzweifelter Mörder und Selbstmörder, wo doch alle immer vom Gott der Liebe sprechen.

Wäre sie da nicht in der protestantischen Kirche besser aufgehoben gewesen?
Formal als Kaiserin unmöglich, inhaltlich auf jeden Fall. Sie hat sich selbst ja als "angeprotestantelt" bezeichnet, wie schon ihre Mutter Herzogin Ludovica, die Tochter der Königin Karoline, der zweiten Frau von König Max I. Joseph, die protestantisch war. Elisabeth imponierte die größere Liberalität und das Zugeständnis, nur zu wissen, was auch in der Bibel steht und kein Bild zu malen, wie später beim "Münchner im Himmel". Sie fand das Katholische anmaßend, abgeschmackt und "für dumm verkaufen".

"Wiener Kardinal hat Kaiserin gehasst"

Aber diese Loslösung vom Katholizismus, einer Art Staatskirche, müsste doch ein totaler Skandal gewesen sein.
Der Wiener Kardinal Rauscher hat die Kaiserin - ich würde sagen, fast als Hexe - gehasst. Und sie ihn. Heute wäre Elisabeth vielleicht eine Aktivistin der Organisation "Maria 2.0", die für die Abschaffung des Zölibats und für eine Öffnung des Klerus für Frauen sind. Aber wahrscheinlich würde sie heute noch weiter gehen. Aber bis zu einem gewissen Punkt hat sie als Kaiserin bei diesem Kasperltheater mitgemacht. Aber allein einmal im Jahr am Gründonnerstag alten Frauen die Füße zu waschen als Demutsgeste fand sie Heuchelei, wenn gleichzeitig bei der Fronleichnamsprozession nichts wichtiger war als die Kleider und Ausstaffierung der Kaiserin. Dass die Kardinäle den Prunk brauchten und 70 davon bei ihrer Hochzeit anwesend sein mussten, um der Sache eine größere Weihe zu geben, war ihr zutiefst zuwider. Und die erflehen dann den Segen für diese Ehe, die schon bald im Eimer war. Aus diesen Erkenntnissen flüchtet sie in die Natur.

Was wiederum ihre Reiselust erklärt.
Da wird das Meer zu ihrem Beichtvater, die Wälder zu ihrem Gott - hier will sie eigentlich bleiben. Und das Stürmische am Meer, dieses Aufbegehren ist ihr Element.

Gleichzeitig war sie aber auch katholisch geprägt.
Aber es bleibt bei ihr eine lebenslange religiöse Bastelarbeit. Am Beispiel Heinrich Heines, einer ihrer literarischen Lieblinge, kann man das gut erklären. Die kritische, beißende Auseinandersetzung mit Religion, gleichzeitig - am Ende in seiner Matratzengruft - eine Hinwendung zur Bibel als das "größte Buch" und dann wieder Aufmüpfigkeit und Spott, dass er nicht seine letzte Beichte ablegen will, weil er das lieber mit Gott selber ausmachen will, schließlich sei "Verzeihen sein Beruf". Elisabeth baut da noch Schopenhauer ein. Und überhaupt alles, was sie gar nicht alles lesen konnte, lässt sie sich dann von ihren Vorlesern, die zum Teil Akademiker waren, erklären.

Elisabeth als Vorkämpferin der Emanzipation

Sie lesen die Biografie der Kaiserin wie eine Befreiungsgeschichte aus verschiedenen Bevormundungen: Von der bigott-katholischen Schwiegermutter, von der katholischen Kirche und der Ehe.
Ja, das wird vor allem am 27. August 1865 aufgehängt, einen Tag, den Sisi-Fans bis heute feiern, dabei aber zu stark das Nette und Schöne betonen. Es war das Ischler Ultimatum an Franz-Joseph: Entweder ich bekomme völlige räumliche, finanzielle und inhaltliche Freiheit, auch was die Kindererziehung betrifft, oder ich lasse mich scheiden!

Ist Elisabeth also eine Vorkämpferin der Emanzipation?
Ja, aber leider eben nur innerlich und nicht wie dann die Suffragetten, die öffentlich und körperlich gekämpft haben. Wenn die Kaiserin das gemacht hätte, hätte es eine Explosion gegeben.

Im Buch schreiben Sie, dass Kaiser Franz Joseph auf Sisis Emanzipation unterwürfig reagiert hat.
Es wurde eine Art sadomasochistische Beziehung mit Elisabeth als Domina, die von "der Auslöschung des Königs" spricht, und dem Kaiser, der sich als ihr "kleiner Menneken" bezeichnet.

Nach ihrem Tod erfährt Elisabeth fast die Verehrung einer Heiligen - mit vielen Kirchenbauten, die an sie erinnern sollen.
Es ist eine verzweifelte Vereinnahmung einer Frau, die das niemals gewollt hat, weil sie antikatholisch war und nie in der Kapuzinergruft landen wollte, sondern in der Natur aufgehen.


Alfons Schweiggert: "Elisabeth und ihr Gott" (Allitera, 416 Seiten, 28 Euro)

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