"Fabelhafte Rebellen": Die Verzauberung der Welt

Heutige Intendanten können sich eine Theaterzukunft kaum ohne Heizkostenzuschuss vorstellen, da ist es mehr als wärmend in ein Buch einzutauchen, dass ein ganz anderes Kapitel von Kulturbegeisterung aufschlägt: So war es für Caroline Schlegel 1798 kein Problem, der Uraufführung von Schillers "Wallenstein" in Goethes Weimarer Hoftheater beizuwohnen, obwohl danach noch die gefährliche und dreistündige Kutschfahrt zurück nach Jena in einer kalten Oktobernacht anstand.
Nicht nur die vier Gläser Champagner, die ihr der Philosoph Fichte aufgenötigt hatte, hob ihre Stimmung, in der Kutsche saß auch Friedrich Schellling, der ein paar Jahre später ihr dritter und letzter Ehemann werden sollte.
Rückblick auf die produktive Zusammenarbeit deutscher Frühromantiker
In Ihrem Buch "Fabelhafte Rebellen" blickt die Autorin Andrea Wulf auf die ungemein produktive Zusammenarbeit der deutschen Frühromantiker, die Jena Ende des 18. Jahrhunderts zum europäischen Epizentrum der Philosophie, Literatur und Geisteswissenschaft machten – auch weil das Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach unter Carl August eine reativ liberale Insel im Heiligen Römischen Reich deutscher Nationen war.
Ausgangspunkt für den Höhenflug der nicht einmal 5.000 Einwohner zählenden Universitätsstadt war Friedrich Schiller, der hier 1795 seine enge, produktive Freundschaft mit Goethe begann und seine Zeitschrift "Horen" gründete. Bald zogen die regelmäßigen Mitarbeiter Fichte, August Wilhelm und Friedrich Schlegel, Novalis oder auch Schelling in die Stadt, zeitweise auch die Brüder Humboldt, Hegel und viele andere.
Jenaer Freundeskreis wird außerordentlich lebendig
Andrea Wulf, deren Biografie über Alexander von Humboldt 2016 ein internationaler Bestseller war, lässt in "Fabelhafte Rebellen" keine Sekunde dunkle Erinnerungen an zähe Schulstunden aufkommen. Ganz im Gegenteil. Ihr gelingt das Kunststück, den Jenaer Freundeskreis mit all seinen geistigen Höhenflügen und menschlichen Schicksalsschlägen außerordentlich lebendig werden zu lassen. Man spürt den geistigen Feuereifer, der auch den wesentlich älteren Goethe so anregte, dass er bald mehr Zeit in Jena als in Weimar verbrachte.
Schließlich ging es darum, die Welt neu zu denken und wahrzunehmen, den durch die Aufklärung ernüchterten Blick wieder poetisch zuverzaubern. Dass bei so viel juveniler Energie aus Freunden auch Feinde werden konnten, der Klatsch das Leben ebenso bestimmte wie Diskussionen über Fichtes Ich-Philosophie, macht dieses anekdotenreiche Buch nur noch unterhaltsamer.
Caroline Böhmer ist die Heldin in "Fabelhafte Rebellen"
Nur der stets um Ausgleich bemühte, alle Extreme ablehnende und von allen bewunderte Goethe schaffte es als eine Art Schiedsrichter, keine Partei zu ergreifen und es sich mit niemandem zu verscherzen. Er sprach zu Schillers Entsetzen auch dann noch mit den Schlegels, als Schiller längst die Tür für immer verschlossen hatte.
Heldin dieses Buches ist allerdings Caroline Böhmer, die der Leser 1793 kennenlernt, als sie verwitwet und schwanger von einem französischen Soldaten als Mutter einer kleinen Tochter einige Wochen im Gefängnis sitzt, weil sie Verbindungen zu den führenden Mainzer Jakobinern hatte.
Dieser Freigeist, der später als Ehefrau von August Wilhelm Schlegel mit ihm Shakespeares Dramen übersetzte, pfiff mutig auf allen Konventionen, war geistvoller Mittelpunkt ihrer Salons und unverzichtbarer Motor der Jenaer Ideenmaschine.
Andrea Wulfs Gruppenporträt mit seinen außergewöhnlichen Protagonisten ist ein überaus kenntnisreiches Lesevergnügen.
Andrea Wulf stellt "Fabelhafte Rebellen" (C. Bertelsmann, 526 Seiten, 30 Euro) am 18. November auf der Bücherschau im Saal X im Gasteig HP8 vor, Hans-Preißinger-Straße 8, 19 Uhr