Expertinnen im Interview: "Mit Ellenbogen macht man keine Karriere"

Um im Beruf Erfolg zu haben, braucht es vor allem eine Prise Glück und etwas Vitamin B, oder? Dorothea Assig und Dorothee Echter beraten Top-Manager- und Managerinnen - und gehen in ihrem Buch gerne verbreiteten Karrieremythen auf den Grund. Denn diese könnten das Gegenteil bewirken und dem Erklimmen der Leiter sogar im Weg stehen, so ihr Fazit. Einige Tipps, wie es mit der Karriere klappt, teilen sie mit der AZ.
Ein Buch über Karriere-Chancen
AZ: Frau Echter, Frau Assig, Sie beraten Top-Manager. Ihrer Erfahrung nach: Ist Karriere Glückssache?
DOROTHEA ASSIG: Das wird zumindest gerne so gesagt. Top-Manager sagen oft, dass sie zur richtigen Zeit am richtigen Ort waren. Das ist aber Quatsch. Viele Menschen sind zur richtigen Zeit am richtigen Ort, wissen es aber nicht für sich zu nutzen. Wichtig ist das Talent, die Chance zu erkennen, die richtigen Worte zu finden, um sich gut zu positionieren.
Streben denn überhaupt alle Menschen eine Karriere an?
DOROTHEE ECHTER: Nein. Diejenigen, die Karriere machen wollen, haben eine Ambition, einen inhaltlich getriebenen Wunsch, einen Gestaltungswillen und das nötige Selbstbewusstsein, dies umzusetzen.
Fünf Dimensionen zum Erfolg
Wie gelingt's mit dem Erfolg?
ASSIG: Wir sprechen von fünf Dimensionen. Erstens wird die Ambition benötigt, etwas verbessern zu wollen. Zweitens muss derjenige bereit sein, daran zu arbeiten, sein Können zu verwirklichen. Drittens ist Karriere machen nicht einfach, sondern komplex, deshalb muss auch die Psyche mitmachen. Viertens sollte man bei seinem Gegenüber, etwa beim Chef, immer positive Resonanz erzeugen. Man wird nur dann empfohlen und gefördert, wenn einem die Entscheiderinnen und Entscheider wohlgesonnen sind. Fünftens muss die Bühne stimmen, die richtige Position oder Aufgabe erstmal gefunden werden. Diese fünf Dimensionen werden immer wieder durchlebt.
Mit Mythen aufräumen
Wie entstehen in diesem Arbeitskontext Mythen?
ECHTER: Aus verschiedenen Gründen. Einmal, weil sie überall gepredigt werden, zum Beispiel in der Managementliteratur. Dort wimmelt es von Diskreditierungen des Topmanagements, die alle als Narzissten und Egomanen beschrieben werden. Auch Unternehmen selbst setzen sie in die Welt, wenn sie zum Beispiel den Glauben verbreiten, dass sie Karrieren fördern - oft in bester Absicht. Was dann, drittens, bei den Arbeitnehmern für Entlastung sorgt, aber auch für das Gefühl, sich mehr entspannen zu können. Alle Mythen entlasten - von Eigeninitiative, Anstrengungen, vom Lernen.
Sie beschreiben im Buch auch, dass Mythen Ventile sind, um einer gewissen Machtlosigkeit entgegenzusteuern.
ASSIG: Ja, Karriere entsteht leider nicht nur aus guter Arbeit alleine, das ist nur die Basis. Karrieremachen ist viel Arbeit und Menschen, die diese nicht auf sich nehmen wollen oder können, die brauchen ein Ventil - da heißt es dann: "Die Welt ist ungerecht, in meinem Unternehmen wird man nicht so sehr gefördert." Diese Mythen haben vor allem eine psychische Entlastungsfunktion.
Perspektivenwechsel schaden nie
Sie beschreiben im Ratgeber Strategien, um sich von Mythen zu befreien. Wie gelingt das etwa bei der Annahme, dass Karrieristen bereit sind, über Leichen zu gehen?
ECHTER: Wenn ich so denke, ist das Umdenken nicht leicht. Denn dann muss im ersten Schritt erstmal erkannt werden, dass das gar nicht stimmt. Indem man sich bemüht, einen Perspektivwechsel zu schaffen und überlegt, was diese Menschen auch für gute Motive haben könnten, was sie erreicht haben, was man ihnen verdankt, vielleicht etwa den eigenen Arbeitsplatz.
Wie sieht es aus bei: "Die haben sich nach oben geschleimt"?
ASSIG: Das halten wir für ein großes Märchen. Wenn jemand die Dynamik vom Karrieremachen nicht durchschaut, also, dass es darum geht, Wohlwollen zu erzeugen, dann wirkt jede Höflichkeit, jedes Kompliment, wie Geschleime.
ECHTER: Es gibt ja bei jedem Menschen auch positive Motive und da kommt es dann auf die eigene Perspektive an. Man kann sich ja nicht anmaßen, dem anderen etwas zu unterstellen. Das ist sehr schädlich.

Networking ist alles
Ähnlich ist es vermutlich bei "Vitamin B hat nachgeholfen".
ASSIG: Gute Beziehungen sind essenziell, um Karriere zu machen. Der Mythos besagt, dass, wer keine hat, auch keine Karriere machen kann, und das ist insofern ein Irrtum, als ja jede und jeder selbst Beziehungen herstellen muss. Dafür sind nicht andere Menschen zuständig. Statt an solche Mythen zu glauben, sollte man lieber mal den Blick auf sich selbst richten: Was kann ich selbst tun, um mit Wohlwollen gesehen zu werden? Die Einstellung "Egal was ich tue, ich lerne", hilft dabei. Und als zweite Strategie sollte man anfangen, einen positiven Blick auf andere zu entwickeln. Denn dann findet eine Annäherung statt und man versteht den anderen vielleicht besser. Ebenso ist es bei dem Mythos "Die da oben sind alle Narzissten".
Was sagen Sie zu: "Nur wer mehr als 60 Stunden pro Woche schuftet und ständig erreichbar ist, steigt auf"?
ECHTER: Solche Mythen gibt es viele. Es wurde auch mal etwas über die Körpergröße gesagt, oder die Attraktivität, das ist alles Blödsinn. Menschen machen dann Karriere, wenn sie als Basis eine gute Leistung haben und diese auch mit ihren Worten positiv weitertragen. Wenn sie sich in dem System Arbeit so verhalten, dass sie andere Menschen auch gerne fördern möchten, indem sie Wohlwollen erzeugen. Ellenbogen und ständiger Wettkampf sind kein guter Weg, um Karriere zu machen.

"Aus einer Krise kann eine Karriere entstehen"
Ist an "mit Mitte 30 muss man es geschafft haben" was dran?
ASSIG: Es gibt genügend Karrieren, die erst mit Mitte, Ende 60 starten. Das gilt für Angestellte ebenso wie für Künstler und Selbstständige. Manche haben noch mit Mitte 40 eine erste richtige Krise, aus der sie lernen, Karriere zu machen.
Es ist also nie zu spät.
ECHTER: Genau, außer vielleicht bei Sportlern. Mit 60 Jahren wird man vielleicht keine Olympia-Eisläuferin mehr.
Es gibt am Arbeitsplatz aber natürlich nicht nur Mythen, sondern auch echte Vorurteile und Ungerechtigkeiten. Was raten Sie hierbei?
ASSIG: Ungerechtigkeiten passieren jeden Tag. Auf einem Karriereweg gibt es viele Hindernisse für Männer, ebenso wie für Frauen. Da ist es schwer, diese alle mit Einsicht, Selbstdisziplin und Wohlwollen zu bewältigen. Aber das ist genau die Arbeit, die zu leisten ist. Es gilt, einfach immer weiterzumachen.
"Eines Tages werden sie sehen, wie gut ich bin!", von Dorothea Assig und Dorothee Echter,
Ariston Verlag, 20 Euro.