Kriegsgeschrei vom Pimperling

Der Zauberer hat sich gründlich verrannt. Und das belastet die labile Seele auch in der Sommerfrische 1918 am Tegernsee. Thomas Mann, wegen Magenschwäche ausgemustert, hatte vom Schreibtisch aus den Ersten Weltkrieg als Reinigung, Befreiung und Hoffnung gepriesen und sich in der Behauptung verstiegen, Deutschlands ganze Tugend und Schönheit entfalte sich erst im Krieg.
Thomas Mann ist in Gewitterstimmung
Eine sonderbare Haltung für einen "Pimperling", wie ihn die Schwiegermutter nennt, der am Tegernsee mehrere Tage Akklimatisierung nach der strapaziösen Anreise aus München beansprucht. Nun blickt er besorgt in die Zukunft, denn im Herbst sollen seine "Betrachtungen eines Unpolitischen" erscheinen, sein Bekenntnis zu einer Welt, die es bald gar nicht mehr geben wird.

"Thomas Mann macht Ferien" nennt die Journalistin Kerstin Holzer lapidar ihr neues Werk. Nach ihren unbedingt lesenswerten Büchern über die Mann-Kinder Elisabeth und Monika, blickt sie nun auf den Vater in einem Sommer, der seinem Leben eine andere Richtung geben wird: Thomas Mann lernt, wieder positiv auf das Leben zu schauen. Das jedenfalls ist die Quintessenz dieser klugen Studie, die sich einreiht in ein ganzes Regal voller Neuerscheinungen zum 150. Geburtstag Thomas Manns am 6. Juni.
Die Not im letzten Kriegssommer macht auch vor der großbürgerlichen Familie nicht halt. Es gibt Brote mit Kunsthonig und einer Ersatzpaste namens "Butterol", die fünf Kinder tragen zerschlissene Kleidung, laufen in Holzpantinen oder gleich barfuß. Und zweimal die Woche verlässt Katja Mann die gemietete Villa, um bei den Bauern Lebensmittel zu kaufen. (Nicht umsonst beinhaltet das Gmunder Denkmal von Thomas Mann mit Hund Bauschan eine Platte mit Inschrift: "Zur Erinnerung auch an die Gmunder Bauern, die im Hungerjahr 1918 der Familie Mann mit damals fünf Kindern durch die größte Not geholfen haben.")

Ihr alltagsuntauglicher Gatte ist derweil in Gewitterstimmung: "Die Katastrophe und Weltniederlage ist da. Es ist auch die meine", notiert er. Selbst im Schlaf quält ihn sein Zerwürfnis mit Bruder Heinrich, der nach Thomas Manns deutschnationalen "Gedanken im Krieg" den Kontakt abgebrochen hatte. Es werden noch ein paar Jahre bis zur Versöhnung vergehen. Und unerträgliche Zahnschmerzen hat der Dichter gerade auch noch. Doch es gibt Hoffnungsschimmer: "Es ist aber auch möglich, daß Unlesbarkeit es vor dem Bemerktwerden schützt", schreibt Mann über seine schwer verdaulichen "Betrachtungen". Und der Zauberer beobachtet bei sich selbst ungewohnte Gefühle. Er ist gerührt über seine eigene Rührung beim Anblick der kleinen Elisabeth, die er mehr liebt als die anderen Kinder. Der 43-Jährige Autor ist in diesem Sommer weicher geworden, schreibt Kerstin Holzer. Und dieser Empathiezuwachs wird fortan auch sein Werk beeinflussen.
Thomas Mann holt den Stock
Positive Ablenkung verschafft auch der Familienhund Bauschan, mit dem Thomas Mann auch in München täglich einsam seine Runden geht. Er hat ihn zur Erzählung "Herr und Hund" animiert, die er am Tegernsee beenden möchte. Als Hundehalter allerdings ist Mann eine Katastrophe. "Es muss gesagt sein: Thomas Mann hat keine Ahnung von Pädagogik", schreibt Holzer.
Dass die Mann'schen Kinder antiautoritär aufwachsen, ist für die damalige Zeit ungewohnt modern, aber ein Hund braucht Führung. Verhält sich der Hühnerhundmischling Bauschan nicht im Sinne des Herrchens, greift Thomas Mann gelegentlich gar zum Stock und wird dafür von Autorin Holzer heftig gerügt.
Ihr kleines Buch über einen Künstler, der im Ringen mit sich selbst eine Krise überwindet, ist jedenfalls ein großes Lesevergnügen.
Kerstin Holzer stellt "Thomas Mann macht Ferien" (Kiepenheuer & Witsch, 200 Seiten, 22 Euro) am 30. April 2025 um 19 Uhr im Literaturhaus (Salvatorplatz) vor