"Die schöne Frau bedarf der Zügel nicht" von Christine Wunnicke: Die selbstbestimmte Kämpferin

München - Ich lebte wechselvoll, auf tausend Arten, nach meinem Willen, Gut und Schlecht vermengt. Ich lebte frei, bis mich zwei Augen narrten, die mich in Liebesfesseln eingeengt." Das bekannte Margherita Costa in ihrem ersten Gedichtband "La chitarra" 1638. Die Münchner Schriftstellerin Christine Wunnicke hat nun das kaum bekannte, abenteuerliche Leben der römischen Dichterin, Sängerin und Kurtisane in einem hinreißenden Porträt zusammengefasst und eine Auswahl ihrer Gedichte zum ersten Mal kongenial ins Deutsche übersetzt.
Wunnicke liebt ihre Titelheldin "heiß und innig"
Wunnicke stieß in den 1980er Jahren auf die Costa als "mehrfachbegabte Opernsängerin"; während Corona forschte sie schließlich ausführlich zu Leben und Werk der Margherita furiosa. Ihre Titelheldin liebt sie "heiß und innig", bewundert "ihre Kämpfernatur".
Margherita furiosa hat als Prostituierte gutes Geld verdient. Sie wurde um 1600 in Rom in einfachen Verhältnissen geboren, erhielt mit ihren Schwestern dennoch Unterricht in Lesen, Schreiben und Musik. Später meldete sie in Trastevere das Gewerbe als Prostituierte an, das sie wohl ertragreich ausübte, denn sie konnte dort u. a. ein Haus und einen Weinberg kaufen. Sie zog nach Florenz (und wieder zurück) und tourte zwischen Venedig, Turin, Paris. Sie bekam fünf Töchter von mindestens zwei verschiedenen Männern, die alle - weder Mädchen noch Männer - nicht bei ihr lebten.
Borigia wirken im Vergleich zu Vita von Margherita furiosa blass
Im Vergleich zu dieser Vita wirken die legendär skandalösen Borgia blass. Bei der Lektüre erscheint Costa zwar nicht unbedingt als Sympathieträgerin, besticht allerdings mit ihrem lebensklugen, originellen, freien Geist. In ihrer Dichtkunst war ihr nichts heilig, Sarkasmus und abseitiger Humor sind einzigartig: In spritzig- komischen Terzinen rechnet sie etwa temperamentvoll mit ihrer "missratenen Muse" ab, die daran schuld sei, dass ihre Verse holpern und an "Stil und Geist" zu wünschen übrigließen.
Oder sie lässt einen verliebten Mann die Hässlichkeit seiner Angebeteten preisen: "Mich freut der schiefe Wuchs, der, Süße, dir zu eigen! Vor deinem Neigen will ich mich verneigen. Du bist nicht klug, es ist mir einerlei, bist kunstlos und verwildert, und diese Schlampe lieb ich, ich liebe schlampig ihre Schlamperei."
Costas erfolgreichstes Buch erschien 16939 in Venedig
Das ist zweideutig, oft grenzwertig, und auf jeden Fall provokant. Die "lettere amorose", Costas erfolgreichstes Buch, erschien 1639 in Venedig. Darin erklärt unter anderem eine Frau ohne Nase einem Mann ohne Arm ihre Liebe und eine Schielende einem Buckligen. Alles andere als woke, aber in den schmissigen, oft derben Kanzonetten über Außenseiter und von der Norm Abweichende stecke, so Wunnicke, "nicht nur Spott, sondern die Liebe zum Schrägen, Anderen, Unerwarteten" ebenso wie "das Plädoyer für die Liebe für alle."
Und Margherita verfasste wohl als einzige Frau (Wunnicke) eine Commedia ridicolosa: "Li buffoni" ist grotesk bis obszön in der Handlung und bizarr, was das Figurenensemble angeht. Insgesamt schrieb sie 15 Bücher. Für das 17. Jahrhundert höchst ungewöhnlich - aber sie lebte und liebte eben, wie es ihr gefiel. Dass sie mitunter mit ihrem Geschlecht haderte, darauf deuten ambivalente Zeilen an und über die Frauen hin, die mal feministisch, mal misogyn klingen.
Bezeichnete Costa und ihre Schwester nach Aufenthalt in Paris als "römische Huren"
Ihre Familie hatte tatsächlich einen Goût: Noch 1647 bei einem Aufenthalt in Paris, wo sie mit ihrer Schwester Checca auftrat, bezeichnete man sie als "die römischen Huren". Schon der Vater, so hieß es, habe sich von seinen Töchtern aushalten lassen. Eine der drei Schwestern war zwar Nonne geworden, doch Bruder Paolo verdingte sich als Meuchelmörder. Und den Halbwelt-Drall wurde sie nicht mehr los: Margheritas langjähriger Geliebter Tiberio Squilletti wiederum war Auftragskiller und Räuber, der für die Medici und gegen den Barberini-Papst (und umgekehrt) zustach.
Die Beziehung zu dem Tunichtgut hielt sie nicht davon ab, eine Affäre mit dem Florentiner Hofnarren Bernardino Ricci zu beginnen. Der toskanische Großherzog Ferdinand II. warf Tiberio schließlich in den Bargello, wo der Ruchlose noch das Personal in Angst und Schrecken versetzte, ehe er nach 33 Jahren Kerker dem Wahnsinn verfallen starb.
Der Preis der Freiheit? Bloß keine Muttergefühle
"Margherita fehlte wahrscheinlich die Muße, um sich über das Schicksal ihres Freundes lange zu grämen.", mutmaßt Wunnicke süffisant. Sie muss jedenfalls eine ungeheuer geschickte Netzwerkerin gewesen sein, es mangelte ihr trotz allem nicht an Möglichkeiten. Dennoch wurde ihr Leben unsteter mit zunehmendem Alter.
In Paris schrieb sie einen Entwurf für ein Pferdeballett um: Eine Mischung aus Dressurreiten, Tanz, Gesang, Feuerwerk und sonstigem Theater-Bombast - der offenbar sogar für den Hof Ludwig XIV. zu opulent war, so dass es nie zur Aufführung kam. Und noch 1651 sang die Costa in Venedig die Titelrolle in der Uraufführung von Cavallis Barock-Oper "La Calisto" - damals ein Flop.
Costas Werk geriet nach ihrem Tod in Vergessenheit
Ihr Leben und Werk gerieten bald nach ihrem Tod in Vergessenheit. Das letzte erhaltene Schriftstück der schillernden Diva war 1657 ein Bettelbrief an den Bruder von Papst Alexander VII.. Darin bittet die "arme Witwe und Virtuosin" mit Blick auf eine noch unverheiratete Tochter um finanzielle Hilfe.
Und offenbart nebenbei, dass ihre Freiheit stets mit dem Schmerz erkauft war, mütterliche Gefühle zu verdrängen. Am Krankenbett ihrer kleinen Tochter hatte sie einst geschrieben: "Du Barmherziger, hast mir den Schatz gegeben, den mein Schoß einst gebar! So gib ihr Heilung nun, gib Tröstung mir, denn wenn sie stirbt, so sterbe ich mit ihr."
Christine Wunnicke: "Die schöne Frau bedarf der Zügel nicht" (Berenberg, 352 Seiten, 30 Euro)
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