Kritik

Der teuflische Kompromiss: "Lichtspiel" von Daniel Kehlmann

Der Roman über Georg Wilhelm Pabst ist eine Künstlergeschichte über die Frage, ob man in einem totalitären System unbefleckt bleiben kann
von  Adrian Prechtel
1943 drehte Pabst den historischen Heldenfilm "Paracelsus" mit Harry Langewisch als Pfefferkorn und Werner Krauss als der berühmte Arzt und Forscher des 15. Jahrhunderts.
1943 drehte Pabst den historischen Heldenfilm "Paracelsus" mit Harry Langewisch als Pfefferkorn und Werner Krauss als der berühmte Arzt und Forscher des 15. Jahrhunderts. © imago images / United Archives

Schon vor der spätvormittäglichen Fahrt in der schwarzen Limousine zum Propagandaministerium am Wilhelmplatz, Berlin-Mitte, hatte sich Pabst übergeben müssen. Pabst wird hier zügig durch lange, große, kalte Korridore geleitet, ihm erscheint es labyrinthisch. Daniel Kehlmann inszeniert den Canossa-Gang literarisch so, wie es Hitchcock filmtechnisch in "Vertigo" vorgemacht hat: Pabst kommt es vor, als wenn er nicht vorankäme, als wenn er fast auf der Stelle träte. Schwindelnd erreicht er die Schwelle zum Büro von Joseph Goebbels und tritt in die Halle ein, wo jetzt die Raumebenen zu pulsieren scheinen, während er trance-artig auf den großen Schreibtisch zugeht. Und da, wo in der Mitte des Romans in größter Beklemmung Pabsts der Teufelspakt geschlossen wird, verschwimmen Wahn und Wirklichkeit. Aber gerade dadurch ist dieses Kapitel, wenn sich Audienz, Projektbesprechung, zynische Jovialität und KZ-Drohung mit makaberem Witz des sadistischen Ministers und Meisters der Lüge mischen, von großer Wahrheit.


Daniel Kehlmann erzählt in "Lichtspiel" die Geschichte des Regie-Genies Georg Wilhelm Papsts (1885 - 1967), einem Österreicher aus Böhmen, der im Berlin der 20er-Jahre zum Regiestar aufstieg - mit Filmen wie "Die freudlose Gasse" (1925), mit Greta Garbo oder "Büchse der Pandora" (1929) mit Louise Brooks. Beiden, die er zu Stars gemacht hatte, wird er später bei seinem Versuch eines Neuanfangs in den USA wiederbegegnen.

Georg Wilhelm Pabsts meisterhafte Lichtsetzung, psychologisch mitreißende Schauspielerführung und sein Talent, spannend zu schneiden, waren legendär. Aber das Bemerkenswerteste: Seine frühen Unterhaltungsfilme waren gar keine, sondern erzählten so packend über Elend, sexuelle Ausbeutung und Entwurzelung, dass das Publikum gebannt auf die Stummfilmleinwand starrte und die Nazis ihn wegen Defätismus und Antiheroik hassten.

Sein Antikriegs-Tonfilm "Westfront 1918" (1930) und die Verfilmung von Brecht-Weills "Dreigroschenoper" (1931) machten ihn endgültig zum "Roten Pabst".


Konsequenterweise beschließt Pabst mit Frau und Kind 1933 nach Frankreich ins Exil zu gehen und 1934 gleich weiter nach Hollywood. Und schon auf Seite 34 ist man bei den Warner Brüdern im kalifornischen Burbank bei Los Angeles. Kehlmann beschreibt dieses Geschäftsgespräch aus der Sicht des schlecht Englisch sprechenden Europäers ebenfalls wie eine Filmszene - eine tragikomische, satirische. Alles ist bei den Amerikanern immerzu "great", die grinsenden, Pabst mit geschäftsmäßigem Dauer-Enthusiasmus bombardierenden Studiobosse verwechseln seine Filme mit denen der Kollegen Fritz Lang ("Metropolis") und Friedrich Wilhelm Murnau. Er bekommt gegen seine Überzeugung ein Projekt aufgedrückt - und scheitert kläglich an der Kinokasse.


Daniel Kehlmann hat seinen 470-seitigen, biografischen Roman in zwanzig handliche Kapitel unterteilt und wechselt Blickrichtungen, Perspektiven und Stimmungen. Das kann teilweise zu amüsanten Klischee-Szenen führen, wie die Hollywood-Karikatur. Oder es wird noir-artig, wenn Pabst die drogen- und selbstverliebte Louise Brooks, seine unerfüllte Liebe, die ihn durchschaut und Macht über ihn hat, noch einmal in Los Angeles besucht. Und die NS-Zeit wird zwischendurch auch einmal - wie in einem "Hitlerjunge Quex" - aus der Sicht von Pabsts Sohn erzählt, der sich als Schüler indoktriniert mit der darwinistischen NS-Ideologie voll identifiziert, was seinen Vater in fassungslose, hilflose Distanziertheit treibt.

Es ist dann auch der Hauptteil des Buches, der zwischen 1939 und 1945 spielt und es ist der eindrücklichste, weil hier Großes gelingt. Man glaubt, spüren zu können, was am schwersten vorstellbar ist: der Alltag im Totalitären, wo alles ideologisch infiziert ist, man nicht mehr offen reden kann, nicht einmal mehr mit seinem eigenen Sohn. Und hinter allem drohen im Hintergrund KZ und Krieg. Eine zerstörerische Beklemmung legt sich über alle, die innerlich nicht mitmachen wollen.

Denn es ist die tragische Ironie, dass der Regimegegner Pabst nach seiner gescheiterten Hollywood-Episode kurz seine Mutter in Oberösterreich besucht. Kaum hat er die Passkontrollen und schäferhundbewachte Grenze zum Deutschen Reich überschritten, beginnt der Zweite Weltkrieg, und Pabst - trotz gültigem Schweizer Visum - sitzt in der Falle. Pabsts Frau wird während der Nazidiktatur in Depressionen und Alkohol versinken. Ihr Mann aber wird - weil er sich keinen anderen Lebensinhalt vorstellen kann - weiter Filme machen.

Kehlmann lässt keinen Zweifel daran, dass dies nicht ohne Schuldigwerden abgehen kann, dass der Totalitarismus alles infiziert, auch Unterhaltungsfilme, und dass man sich - gerade als Künstler - nicht raushalten kann.

"Lichtspiel" ist - bei aller Nähe zur Figur von G.W. Pabst - aber keine Biografie, sondern bleibt Roman. Und so kann Kehlmann auch einfach Situationen erfinden, wie die, dass Pabst bei seinem letzten Film in der NS-Zeit immer fanatischer den Zusammenbruch verdrängt, um "Der Fall Molander" in Prag fertigdrehen zu können.

Leni Riefenstahl hatte bis Ende 1944 an ihrem Film "Tiefland" gedreht und zynischerweise KZ-Insassen als Komparsen rekrutieren lassen. Kehlmann zeichnet sie als kalt, überheblich, herrisch als "Reichsgletscherspalte". Ihre Schuld - nicht nur in dieser Frage - ist lange diskutiert und festgestellt worden. Und G.W. Pabst? Er hat sich von seinem Teufelspakt künstlerisch nicht mehr erholt. Und menschlich? Das zu beurteilen, bleibt angenehmerweise dem Leser überlassen.

Daniel Kehlmann: "Lichtspiel" (Rowohlt, 275 Seiten, 26 Euro)
Kehlmann liest im Rahmen des Literaturfests am Dienstag, 28. November, um 19.30 Uhr in der Muffathalle, www.literaturhaus-muenchen.de

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