Der Snob und der Wildfang

Ob Thomas Mann Ende der 70er Jahre wirklich "tot und begraben im Regal" lag, wie Heinrich Breloer in seinem neuen Buch "Ein tadelloses Glück" behauptet, dürften die treuen Mitglieder der "Gemeinde" Mann ganz sicher bestreiten.
Aber selbst diese würden Breloer zugestehen, dass er gemeinsam mit Horst Königstein für eine große Renaissance des Zauberers verantwortlich war, als er im Jahr 2001 mit Staraufgebot den Dreiteiler "Die Manns - Ein Jahrhundertroman" ins Fernsehen brachte.
Eine ganze neue Generation verstand durch die Serie, wie die Geschichte Deutschlands anhand des Schicksals der Manns analysiert und nacherzählt werden konnte. Und Elisabeth Mann Borgese, Thomas Manns Lieblingstochter und Gesprächspartnerin Breloers im Dreiteiler, wurde zum neuen und uneingeschränkt sympathischen Star der Familie.
Ein Vierteljahrhundert später legt der 82-jährige Breloer nun zum 150. Geburtstag des Autors einen Roman vor - auch wenn Breloer diesen Begriff verweigert und lieber von der "Freiheit des romanesken Erzählens" spricht. Das Buch ist gewissermaßen die Vorgeschichte zu dem 1923 einsetzenden TV-Dreiteiler. "Ein tadelloses Glück" zeigt, wie Thomas Mann als Künstler und Mensch seine Position im Leben fand.
Thomas Manns Suche nach dem geordneten Leben
Früh verstand er, dass er sein Leben als Maskenspiel begreifen musste und seine Homosexualität allenfalls in der Literatur ausleben könnte, um seinen Traum von Größe zu verwirklichen. Denn dem "Urning", dem "Stiefkind der Natur", droht - wie Mann als Lübecker Schüler heimlich mit seinem Freund Otto in der "Psychopathia sexualis" liest - unverschuldet ein Leben am Rande der Gesellschaft.
Seltsamerweise überspringt Breloer die wichtige Entstehungszeit der "Buddenbrooks" und die Zeit mit Bruder Heinrich in Italien. Denn bald schon sitzt Thomas Mann in der neuen Münchner Tonhalle und sein Auge fällt auf Katia Pringsheim, eine der besten Partien Münchens. Diese stand mit ihren vier Geschwistern als Reproduktion des Kaulbach-Gemäldes "Kinderkarneval" schon vor über einem Jahrzehnt auf seinem Lübecker Schreibtisch. Doch er muss warten, bis seine Bewunderin Elsa Bernstein den aufstrebenden Autor auf einem ihrer literarischen Salons mit Katias Mutter Hedwid Pringsheim bekannt macht.
So sehr Thomas Mann die Damen mit Bildung, Manieren und vor allem seiner Kunst beeindruckt, so wenig Interesse kann der selbstbewusste, steife Snob bei dem acht Jahre jüngeren Wildfang Katia wecken. Eine Ehe scheint der jungen Studentin, die gerade erst die eigene Welt entdeckt, ein völlig entfernter Planet zu sein. Aber Thomas Mann ist hartnäckig.
Es wird mehr als ein Jahr (und 300 Buchseiten) dauern, bis Thomas Manns Wunsch nach einem selbst aufgezwungenen, geordneten Leben dann doch im Standesamt seine Erfüllung findet und fast scheint es, als sei Hedwig Pringsheim darüber weitaus glücklicher als Katia.
Heinrich Breloer ist kein so eleganter Stilist wie Colm Tóibín, der 2021 mit "Der Zauberer" einen einfühlsamen Roman über Thomas Mann verfasste. Dennoch ist "Ein tadelloses Glück" ein sorgsam recherchierter und mit viel Münchner Lokalkolorit unterhaltsam gestalteter Einstieg in das Mann-Jahr.
Heinrich Breloer stellt "Ein tadelloses Glück" (DVA, 462 Seiten, 26 Euro) am 13. Januar 2025 um 19 Uhr im Literaturhaus vor (Salvatorplatz 1)