Kritik

Der Prachtband "Bob Dylan: Mixing Up The Medicine"

Ein neues Buch zeigt die Ausstellungsstücke des Bob Dylan Center, das in Tulsa eröffnet wurde
Dominik Petzold
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Eines der zahllosen Fotos aus der Ausstellung: Bob Dylan (3.v.links) mit The Band auf ihrer US-Tour im Jahr 1974.
Barry Feinstein Eines der zahllosen Fotos aus der Ausstellung: Bob Dylan (3.v.links) mit The Band auf ihrer US-Tour im Jahr 1974.

Als Musiker sah Bob Dylan nie zurück: Stets suchte er nach dem nächsten Arrangement, dem nächsten Sound, dem nächsten Stil. Umso überraschender ist, wie akribisch dieser unnostalgische Künstler alles sammelte, was in seiner Karriere so anfiel: Text-Manuskripte, Aufnahmen, Filmmaterial, Plakate, Zeichnungen, Hunderte Notizbücher und zigtausende Fotos.

2016 hat er sein riesiges Archiv zwei Institutionen in Tulsa überlassen, oder genauer gesagt: verkauft. "Ich bin froh, dass mein über Jahre zusammengetragenes Archiv endlich ein Zuhause gefunden hat", sagte er. Es sei bestens aufgehoben bei der Non-Profit-Organisation George Kaiser Family Foundation und der privaten University of Tulsa: Erstere hatte zuvor das Archiv von Dylans frühem Vorbild erworben und das Woody Guthrie Center eröffnet, zweitere sammelt Kunst- und Gebrauchsgegenstände der Native American Nations.

Ein Füllhorn für Fans

Hier also liegt nun auch das Erbe von Bob Dylan. "Ich finde das absolut einleuchtend und fühle mich sehr geehrt", sagt der Musealisierte. Seit vergangenem Jahr werden die Objekte, ergänzt um hinzugekaufte Sammlungen, im neu eröffneten Bob Dylan Center in Tulsa ausgestellt. Was einigermaßen kurios ist: Die Stadt in Oklahoma hat mit Dylans Historie nichts zu tun und ist von den zentralen Orten seines Lebens und seiner Karriere jeweils ein Stück entfernt: von Duluth und Hibbing in Minnesota, wo er geboren wurde und aufwuchs, rund 1400 Kilometer, von New York, dem Ort seines Durchbruchs, und von seiner jahrzehntelangen Heimat in Kalifornien fast exakt gleich weit: jeweils rund 2300 Kilometer.

Für deutsche Fans ist die Anreise noch länger und beschwerlicher, und so fügt es sich bestens, dass nun der 600 Seiten starke deutschsprachige Band "Bob Dylan: Mixing Up The Medicine" erschienen ist, quasi der Katalog zur Dauerausstellung des Museums. Es ist ein wunderbares, umfangreiches und teures Coffee-Table-Book zum Stöbern, unter anderem mit Tausenden bislang unveröffentlichten Fotos und Hunderten Text-Entwürfen zu Song-Klassikern, auf denen Dylan unentwegt durchstrich, überkritzelte und umformulierte.

Für Enthusiasten

Für Fans ist das ein Füllhorn, doch die Begleittexte zu diesen Ausstellungsstücken sind so einführend gehalten, dass der Band auch für Einsteiger gut lesbar ist. Außerdem haben Autoren und Künstler längere Essays zu Museumsstücken ihrer Wahl geschrieben. Manche wählten Song-Manuskripte und versuchten sich, wie Abertausende zuvor, in Exegese. Andere entschieden sich für interessantere Fundstücke, etwa Anne Margaret Daniel: Sie hörte sich Telefon-Mitschnitte aus den Jahren 1969 und 1971 an.

Da sprach Dylan mit seinem Freund Tony Glover, den er um 1960 in Minneapolis kennengelernt hatte, noch bevor er in New York sein Glück suchte und fand. Die Autorin konnte belauschen, wie der Weltstar und der Moderator eines kleinen Lokalradios ratschten: auf Augenhöhe, von Musikenthusiast zu Musikenthusiast, freundlich und warmherzig, entspannt und ohne Ehrfurcht. Diese Art von Umgang suchen die meisten überlebensgroßen Stars wohl sehnsüchtig, und die beiden blieben jahrzehntelang verbunden.

Überschwang und Pathos

Weitere Ausstellungs-Highlights sind im Buch etwas versteckt: die privaten Briefe, die Dylan von seinen Rockstar-Kollegen erhielt. Sie alle schreiben in freundschaftlichem Ton, und doch klingt - mit Ausnahmen wie bei Paul McCartney, der von gleich zu gleich schreibt - immer auch viel Ehrerbietung mit.

Zum Beispiel in dem handgeschriebenen Brief, den Bruce Springsteen auf seinem persönlichen Briefpapier verfasste. Er gratulierte Dylan zu dessen Memoiren "Chronicles Volume 1": Sie "machen mich glücklich, am Leben zu sein, und stolz, Musiker zu sein", schrieb Springsteen voll Überschwang und Pathos. "Wie üblich" sei Dylan damit Vorreiter und habe alle Kollegen unter Druck gesetzt. Zunächst aber müssten diese nach der Lektüre Lücken in ihren Plattensammlungen füllen: "Ich muss auf der Stelle die ,Seeräuber-Jenny' hören!", schrieb Springsteen. So also brachte Bob den Boss zu Brecht.

In die umgekehrte Richtung ist allerdings nichts zu erfahren. Denn in dem riesigen Archiv in Tulsa finden sich fast keine Briefe, die Bob Dylan verfasst hat. Denn eines, so die Erklärung, hasst der Literaturnobelpreisträger von ganzem Herzen: Briefe schreiben.

"Bob Dylan: Mixing Up The Medicine", herausgegeben von Mark Davidson und Parker Fishel (Droemer, 608 Seiten, 98 Euro)

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